Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Foto: APA/AFP/ADEM ALTAN

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Grenzübergang Öncüpinar bleibt geschlossen.

Foto: Reuters/Orsal

Syrische Flüchtlinge harren an der Grenze zur Türkei aus.

Foto: AFP/BULENT KILIC

Öncüpinar/Istanbul – Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die am Montag zu Gesprächen mit der türkischen Führung über die Flüchtlingskrise nach Ankara reiste, zeigte sich entsetzt über das Leid der syrischen Bevölkerung. "Wir sind nicht nur entsetzt, sondern auch schockiert über das Leid von zehntausenden Menschen durch die Bombardierungen, die mitunter von russischer Seite stammen", sagte Merkel in Ankara. Die Kanzlerin machte deutlich, dass Russland damit auch gegen eine entsprechende Uno-Resolution verstoße, die sich gegen Angriffe auf die Zivilbevölkerung richte. Deutschland und die Türkei forderten von Russland die Einhaltung dieser Resolution, sagte Merkel.

Nach einer Unterredung mit Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu einigten sich Deutschland und die Türkei auf eine gemeinsame Soforthilfeaktion an der türkisch-syrischen Grenze. Eine entsprechende bilaterale Aktion gemeinsam mit Hilfsorganisationen werde umgehend beginnen, kündigte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu am Montag nach dem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin an.

Dramatische Situation an der Grenze

Durch die Gefechte zwischen Rebellen- und Regierungstruppen in der nordsyrischen Provinz Aleppo wurden zahlreiche Menschen zur Flucht gezwungen und warten nun an der syrisch-türkischen Grenze auf die Einreise in die Türkei. Der Grenzübergang Öncüpinar blieb den Flüchtlingen jedoch verschlossen. Erdogan kündigte an, die Flüchtlinge wenn nötig ins Land zu lassen, ohne dafür einen Zeitpunkt zu nennen.

Die rund 50.000 Flüchtlinge warten trotz Winterkälte seit Tagen darauf, dass die Türkei ihre Grenze wieder öffnet. Es fehlt an Unterkünften, sanitären Anlagen und Trinkwasser. Ärzte ohne Grenzen bezeichnete die Situation der Menschen als "hoffnungslos". Die Regierung in Ankara hat humanitäre Hilfe angekündigt. Die Flüchtlinge sollen jedoch auf der syrischen Seite mit Lebensmitteln und Notunterkünften versorgt werden.

Aleppo liegt nur 60 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Immer noch leben dort hunderttausende Menschen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu rechnet damit, dass weitere zehntausend Menschen auf dem Weg in die Türkei sind. Die Türkei versorgt bereits 2,5 Millionen Flüchtlinge. Nur noch schwerverletzte Menschen werden über die Grenze gelassen. Am Freitag waren das zum Beispiel 15 Personen.

Neues Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze

Angesichts der dramatischen Lage ist im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei ein weiteres Flüchtlingslager errichtet worden. "Wir haben ein zusätzliches Camp für 10.000 Menschen aufgebaut", sagte der Sprecher der regierungsnahen türkischen Hilfsorganisation IHH, Serkan Nergis, am Montag der Nachrichtenagentur AFP.

Das neue Lager komme nun zu acht bereits bestehenden Flüchtlingscamps rund um die syrische Grenzstadt Azaz hinzu. In dem Grenzgebiet harren derzeit auf syrischer Seite zehntausende Menschen aus, die vor einer durch russische Bombenangriffe unterstützten Regierungsoffensive aus der umkämpften Provinz Aleppo geflohen sind.

Der Gouverneur der türkischen Grenzprovinz Kilis rechnet mit bis zu 70.000 Schutzsuchenden, am Wochenende hielten sich nach seinen Angaben bereits mehr als 30.000 Menschen nahe Azaz unweit der türkischen Grenze auf.

Regierungstruppen rücken im Norden weiter

Die syrische Armee setzt nach Berichten aus dem Kampfgebiet ihre Offensive nördlich von Aleppo fort und ist am Montag weiter in Richtung türkische Grenze vorgestoßen. Unterstützt werde sie dabei von der russischen Luftwaffe und Milizen, die vom Iran Hilfe erhielten, berichteten Rebellen, Einwohner und die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London.

Hintergrund des Merkel-Besuchs in Ankara ist ein Ende November zwischen der EU und der Türkei vereinbarter Aktionsplan. Die Regierung in Ankara sagt darin unter anderem zu, die Grenzen besser zu schützen. Im Gegenzug hat die EU der Türkei mindestens drei Milliarden Euro für die Versorgung der nach türkischen Regierungsangaben knapp drei Millionen Flüchtlinge im Land versprochen. Zudem sollen die EU-Beitrittsverhandlungen und die Gespräche zur visafreien Einreise für Türken beschleunigt werden.

Ende 2015 war zwischen der EU und der Türkei ein Plan vereinbart worden, um die unkontrollierten Flüchtlingsströme nach Europa zu stoppen. Brüssel versprach Ankara die Zahlung von drei Milliarden Euro, im Gegenzug sollte die Türkei für eine Kontrolle der türkisch-europäischen Grenze sorgen. Ende Jänner forderte Ankara jedoch bereits eine Erhöhung der Zahlungen auf fünf Milliarden Euro. (APA, july, vos, 8.2.2016)