Bosnische Flüchtlinge im Wiener Arsenal warten im Juni 1992 auf medizinische Betreuung.

Foto: Andy Urban

Wie kann ein Land zehntausende Menschen mit fremder Muttersprache und einem anderen kulturellen Hintergrund gut am Arbeitsmarkt integrieren? Diese Frage gilt seit Beginn der Flüchtlingskrise als eine der aktuell zentralen Herausforderungen in Europa.

Während Vorhersagen für die Zukunft schwierig sind, lässt sich vielleicht etwas aus der Vergangenheit lernen. Das gilt besonders für Österreich, das bereits Anfang der 1990er-Jahre Zielland einer großen Fluchtbewegung war. Etwa 90.000 Menschen kamen vor dem Bosnienkrieg nach Österreich, die allermeisten sind geblieben.

Bosnier gut untergekommen

Vor kurzem hat die Statistik Austria eine Studie über die Arbeitsmarktsituation von Migranten präsentiert. Die Untersuchung stammt zwar aus dem Jahr 2014, die Zahlen sind also nicht ganz neu. Doch ein klarer Trend wird erkennbar: Bosnier sind am Jobmarkt gut untergekommen. Deutlich wird das, wenn man ihre Situation mit den anderen großen nichtdeutschsprachigen Migrantengruppen, Serben und Türken, vergleicht.

So liegt die Arbeitslosigkeit unter Bosniern in Österreich bei 6,7 Prozent, bei Türken sind es mehr als 15 Prozent. Nur 65 Prozent der Türken und 55 Prozent der Serben im arbeitsfähigen Alter haben einen Job – bei Bosniern sind es über 70 Prozent.

Die Situation der Bosnier ist nicht rosig. Sie sind etwa häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Österreicher, und viele fühlen sich im Job überqualifiziert. Doch es erscheint von Interesse, jene Ursachen zu finden, die ihnen einen vergleichsweise guten Übergang in Österreich ermöglicht haben.

Besser gebildet

Die Spurensuche beginnt bei dem Arbeitsmarktexperten August Gächter. "Die bosnischen Kriegsflüchtlinge waren eine einmalige Gruppe, was ihre Integrationschancen in Österreich betrifft", sagt er. Einer der wesentlichen Gründe dafür war, dass die Menschen eine solide Ausbildung aus ihrer Heimat mitbrachten.

Laut Industriestaatenorganisation OECD haben doppelt so viele Bosnier in Österreich einen Abschluss, der über Pflichtschulniveau hinausgeht, als die Türken. Diese Quote ist aber auch deutlich höher als unter den Serben.

Hinzu kommt laut Gächter, dass viele Bosnier Berufe ausgeübt haben, die in Österreich dem "mittleren Segment" am Arbeitsmarkt zuzurechnen sind, gemeint sind etwa Handwerkerberufe. "Genau diese Jobs sind am österreichischen Arbeitsmarkt traditionell stark nachgefragt, sagt Gächter. "Das hat den Bosniern geholfen."

Arbeitende Frauen

Neben der besseren Ausbildung gibt es noch eine Auffälligkeit. Dass die Bosnier am Arbeitsmarkt gut abschneiden, liegt zu einem Gutteil an den Frauen. Sie arbeiten viel häufiger als andere Migrantinnen, besonders Türkinnen. Das mag auf den ersten Blick erstaunen. Mehr als die Hälfte der Kriegsflüchtlinge waren Muslime, was ja oft mit fehlenden Frauenrechten assoziiert wird. Doch es war Teil des Alltags im sozialistischen System, dass Frauen arbeiten – auch in Jugoslawien.

Der norwegische Soziologe Marko Valenta hat die bosnische Diaspora in ganz Europa untersucht. "Es ist immer das gleiche Bild", sagt er. Bosnierinnen sind am Arbeitsmarkt deutlich besser integriert als viele andere Migrantinnen. Das führt dazu, dass sich das Haushaltseinkommen bosnischer Familien erhöht.

Gleich verloren

Mehr Geld macht die Familien mobiler, was die Wahrscheinlichkeit der Ghettobildung unter Einwanderern senkt. Eine bessere Durchmischung an Schulen und am Arbeitsmarkt erhöht aber in der Regel die Chancen für Einwanderer, sagt Valenta.

Der Soziologe führt die stärkere Partizipation der Frauen aber auch auf einen speziellen Faktor zurück. Flucht habe zu einer Verschiebung in den Geschlechterrollen geführt. "Männer wie Frauen müssen die Sprache erlernen, sich um Dokumente kümmern. Sie sind nach einer Flucht gleich verloren, was im Falle der Bosnier Unterschiede in den Geschlechterrollen zusätzlich nivelliert hat."

Weniger sichtbar

Die Integration erleichtert hat den Bosniern schließlich auch die Stimmung in Österreich, sagt der Arbeitsmarktexperte Gächter. "Das Mitgefühl und damit die Hilfsbereitschaft gegenüber den Kriegsflüchtlingen war groß." Hinzu kamen staatliche Integrationsprojekte, so der Forscher. Bosnier erhielten leichter Beschäftigungsbewilligungen. Es gab für sie Ausnahmen beim Mindestlohn im Kollektivvertrag.

Zahlen der EU-Grundrechteagentur zeigen zudem, dass sich Bosnier nur selten diskriminiert fühlen, was laut dem Soziologen Valenta allein schon daran liegt, "dass sie als europäische Einwanderer weniger sichtbar sind als etwa Menschen aus Nahost".

Andere Voraussetzungen

Vergleicht man die heutige Situation mit jener der 90er-Jahre, lässt sich sagen, dass nichts dafür spricht, dass sich das bosnische Modell kopieren ließe. Die Voraussetzungen sind andere.

Die Flüchtlinge aus Afghanistan sind meist schlecht ausgebildet, viele haben keine Schule besucht. Hinzu kommt, dass die Schulsysteme in Syrien und Irak kaum mit jenen in Europa vergleichbar sind. Auch die Rolle der Frauen in den arabischen Ländern ist eine andere.

Eine Lehre für künftige Integrationsprojekte gibt es aber, sagt Valenta. "Die Erfahrung mit der bosnischen Diaspora zeigt, dass es Sinn machen kann, mitgeflüchtete Frauen gezielt zu fördern, damit sie sich eine Arbeit suchen und eine finden. Denn gut eingebundene Frauen können offensichtlich die Integration der ganzen Gruppe erleichtern." Auch wenn Frauen nachgeholt werden, sollte dieser Familiennachzug eher schnell als langsam über die Bühne gehen. Valenta: "Wenn die Männer viel früher da sind, müssen sie die Frauen, die nachkommen, erst recht an der Hand nehmen und ihnen alles zeigen. Genau dadurch werden Frauen aber eher in Passivität gedrängt." (András Szigetvari, 9.2.2016)