Das männliche Wadenbein ist deutlich seltener zu sehen.

Foto: apa/Klaus-Dietmar Gabbert

"Die Ergebnisse sind erschütternd", sagt Martina Thiele, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg. Eine kürzlich erschienene britische Studie, die bisher größte ihrer Art, zeigt, wie oft und in welcher Weise Frauen und Männer in Medien vorkommen. Untersucht wurden mithilfe von AI (Artificial Intelligence) mehr als 2,3 Millionen Artikel in 950 Onlinepublikationen über einen Zeitraum von sechs Monaten. 77 Prozent aller in Texten erwähnten Personen sind Männer. Bildlich dargestellt sind 30 Prozent Frauen, hier ist der Unterschied also etwas geringer.

"Ich bin sehr beeindruckt von dem großen Sample, also der Quantität der Studie", ergänzt Thiele, "aber die Ergebnisse bestätigen das, was in klassischen Studien seit den 1970er-Jahren herauskommt: Männer sind in den Medien dominant. Daran hat sich nichts geändert." Sie lobt, dass in der Studie, die ein Team vom Intelligent Systems Laboratory an der Universität Bristol unter Nello Christianini mit der Journalismusforscherin Cynthia Carter von der Universität Cardiff verfasst hat, auch qualitative Aspekte erfasst werden. Es wird also untersucht, in welchem Zusammenhang Frauen beziehungsweise Männer repräsentiert sind. Auch hier sind die Ergebnisse wenig überraschend: Frauen kommen, wenn überhaupt, am ehesten in den Bereichen Mode, Unterhaltung und Kunst vor. In Sport und Politik sind sie am wenigsten vertreten.

Wohin mit Conchita?

"Das zeigt einmal mehr die sogenannte Ambivalenz der Sichtbarkeit", erklärt Thiele, "weil mehr Sichtbarkeit nicht automatisch mehr Ansehen bedeutet." Sie verweist außerdem auf den "face-ism-/bodyism-Index", mit dem in der Medienforschung seit den 1980er-Jahren operiert wird: "Er zeigt, dass Männer sehr viel öfter im Porträt dargestellt werden, von Frauen werden oft nur einzelne Körperteile wie Beine oder Brüste gezeigt." Dies habe sich in den letzten Jahrzehnten auch in deutschsprachigen Medien nur sehr wenig verändert. "Es gibt einige wenige Frauen in Spitzenpostionen, wir sprechen hier vom Merkeleffekt. Durch Politikerinnen wie Merkel ändert sich quantitativ ein kleines bisschen, qualitativ aber kaum etwas."

"Grundsätzlich finde ich die Studie gut", betont Thiele, die aktuell zu Stereotypen in den Medien forscht, "aber sie reproduziert Geschlechterdualismen". Sie basiert auf automatischer Gesichtserkennung, die erst die Bearbeitung von derartigen Datenmengen in kurzer Zeit erlaubt. "Die Gesichtserkennung funktioniert schon recht gut", sagt Monika Henzinger, Professorin am Institut für Informatik der Universität Wien, und verweist auf eine diesbezügliche Studie aus dem deutschsprachigen Raum (Machine Learning Applied to Perception: Decision-Images for Gender Classification) Für Uneindeutigkeiten ist dabei aber kein Platz: "Ich frage mich, was die Gesichtserkennung zum Beispiel mit einem Foto von Conchita Wurst anfängt", sagt Thiele.

Gegensteuern

Auch für FJUM-Geschäftsführerin Daniela Kraus sind die Ergebnisse der neuen Studie nicht überraschend: "Die Studie bestätigt Befunde wie sie – leider – seit Jahrzehnten gezogen werden müssen. Frauen sind in Medien unterrepräsentiert, wenn es um Wirtschaft, Politik und Hard News geht. Ich denke, es ist wichtig, einen Schritt weiter zu gehen und zu fragen, wie konkret gegengesteuert werden kann."

Dafür führt sie ein ökonomisches Argument ins Treffen: "Medien haben schon längst Frauen als interessante Zielgruppe im Blick. Wäre es da nicht überlegenswert, wie Redaktionen diese Frauen noch besser erreichen können? Eine vielfältige Berichterstattung, die Frauen nicht marginalisiert, hat für weibliche Rezipientinnen höhere Anschlussfähigkeit, ist glaubwürdiger, interessanter und attraktiver." (Tanja Paar, 10.2.2016)