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Kellner sein, heißt mehr als nur servieren.

Foto: apa/epa/bresciani

Mittagsservice in einer einfachen Brasserie im 14. Pariser Arrondissement. Der Ansturm ist groß, der Lärmpegel entsprechend hoch. Die Gäste drängen sich an den kleinen Tischen, dazwischen das Servierpersonal in schwarzen Gilets und langen weißen Schürzen. Flott, geschmeidig und mit hoher Präzision kreisen die Kellner und Kellnerinnen aneinander vorbei, hinein in die Küche und wieder heraus. Die meisten Mittagsgäste sind in Eile, auf sein Essen will hier niemand lange warten.

Schließlich bringt einer der Kellner das bestellte Steak Tatar – ein Gericht, das grob geschätzt von der Hälfte der Gäste des Lokals gegessen wird. Es wird nicht vorgemischt serviert, sondern noch in Einzelteilen – also Fleisch und alle Ingredienzien feinsäuberlich getrennt. "Wollen Sie es zubereiten, oder darf ich das machen?", fragt der junge Mann.

In der Regel wird man das natürlich ihn machen lassen, schließlich geht man nicht ins Restaurant, um selbst Hand anzulegen. Also streift der Kellner mit ernster Miene das faschierte Fleisch in eine Schüssel, würzt es behänd mit den zahlreichen Zutaten, die laut Lehrbuch hineingehören, und hält nur einmal kurz inne, um zu fragen, welchen Schärfegrad man denn bevorzuge, bevor er einige Tropfen Tabasco-Sauce dazugibt.

Auch in Österreichs Gastronomie feiert das Steak Tatar seit einigen Jahren ein beeindruckendes Comeback. Es löste das Carpaccio als beliebteste Form des rohen Fleischgenusses ab. Serviert wird das klassische Gericht allerdings nur selten so, wie es sich eigentlich gehören würde, in früheren Zeiten der Fall war und in vielen Pariser Lokalen bis heute ist: nicht in der Küche zubereitet, sondern im Speisesaal vor den Augen des Gasts.

Damit gehört das Steak Tatar zu jenen immer spärlicher angebotenen Gerichten, für deren ordnungsgemäße Präsentation nicht der Koch, sondern der Kellner zuständig ist. Zu diesen zählen auch der gleichfalls trendige Caesar's Salad und die weniger angesagten Crêpes Suzettes sowie etliche sonstige flambierte Gerichte.

Aromen im Speisesaal

Dasselbe gilt natürlich für große Fleischteile, ganze Geflügel oder Fische, die von Servicekräften elegant zerteilt, tranchiert, filetiert und angerichtet werden. Darunter Klassiker wie das Chateaubriand, also ein doppeltes Filetsteak; oder das in der Schweinsblase gegarte Bresse- oder Perlhuhn, dessen Aromen den Speiseaal füllen, wenn die Kellnerin oder der Kellner die pralle, heißluftgefüllte Blase ansticht; oder auch ein im Ganzen gebackener Fisch für zwei oder mehr Personen unter einer Salzkruste, die erst vor dem Gast aufgebrochen werden darf.

In Italien wiederum pflegen noch einige, aber nicht mehr allzu viele Lokale die schöne Tradition des Carrello, eines Servierwagens, auf dem Antipasti oder Desserts präsentiert werden. Oder, noch seltener, dessen beheizte Form, wenn darin die verschiedenen gesottenen Fleischstücke und Würste für den Bollitto Misto, das gemischte Gesottene, zum Tisch gefahren, am Wagen tranchiert und angerichtet werden.

In den trendigsten Lokalen dieser Welt wird allerdings kaum noch im Speiseraum angerichtet. Bis auf ein paar Saucen, die erst am Tisch über den Teller gegossen werden, erledigt heutzutage die Küche den überwiegenden Teil sowohl der Zubereitung als auch des Anrichtens. Damit nicht genug, setzt sich in den letzten Jahren vermehrt ein Stil durch, von dem man annimmt, dass er aus Skandinavien stammt, und bei dem die Speisen häufig von den Köchen selbst zu Tisch gebracht und erklärt werden.

Gil Galasso ärgert diese Entwicklung. "Seit einigen Jahrzehnten besteht eine Art Verbindung zwischen den Köchen und den Medien, die darauf abzielt, die Gastronomie mit der Küche gleichzusetzen", sagt Galasso, der den Begriff Gastronomie nicht im deutschsprachigen Sinn von Gastgewerbe verwendet, sondern als Franzose darunter die hohe Kunst des Kochens, Empfangens und Servierens versteht. Der extreme Starrummel um die Köche sei eine Fehlentwicklung und gehe auf Kosten eines gepflegten Service.

"Dabei handelt es sich um einen Rückschritt", sagt der 47-Jährige, der in einer Berufsschule in Biarritz unterrichtet, "wenn das so weitergeht, werden wir die Rechnung dafür bald präsentiert bekommen. Dann wird es immer weniger junge Leute geben, die den Kellnerberuf erlernen. Und irgendwann werden die Köche feststellen müssen, dass es kein professionelles Personal mehr gibt, das ihre Gerichte gebührend zu servieren versteht."

Verteidiger

Galasso hat den Kampf zur Verteidigung seines Berufs aufgenommen, er schreibt Artikel zum Thema und veröffentlicht Bücher mit Titeln wie "Neuer Zugang zum Service im Speiseraum". Ja sogar ein Kunstgeschichtestudium hat er mit der Doktorarbeit abgeschlossen: "Die Kunst des Tranchierens, Geschichte und Herausforderungen".

Besonders wenig hält er von servierenden Köchen. "Ein Koch hat naturgemäß keinerlei Ausbildung, was das Servieren betrifft. Dadurch leidet die Gesamtqualität der Bewirtung, schließlich besucht kaum ein Gast ein Restaurant einzig und allein wegen des kulinarischen Erlebnisses." Nicht gelten lässt Galasso das Argument, nach dem es viele Gäste begrüßen würden, dass der Koch am Tisch erscheint und seine Kreation selbst beschreibt. "In Sachen Kommunikation ist der Koch ebenso wenig ausgebildet, folglich leidet auch das gesamte Verhältnis des Betriebs zum Gast", ist er überzeugt.

Nun gibt es auf der anderen Seite noch genügend Restaurateure, die das Anrichten bei Tisch hochhalten. Unter ihnen der französische Starkoch und globale Unternehmer Joël Robuchon. Erst im Vorjahr eröffnete der mit insgesamt 28 Michelin-Sternen ausgestattete Küchenchef und Wirt in Bordeaux sein Restaurant La Grande Maison, wo er ausdrücklich die lange Tradition des "Service à table" und des Tranchierens durch den Maître d'hôtel wieder aufleben lassen will, wie er sagt.

Auch in Österreich gibt es einige Restaurants, die bis heute den Service in Ehren halten und zudem erkennen, dass etliche Gerichte nur profitieren können von einer gepflegten Präsentation. Unter ihnen und allen voran Heinz Reitbauers Steirereck mit seinem legendären Brotwagen sowie dem sogar im internationalen Vergleich spektakulären und bestens sortierten Käsewagen.

Servierende Köche wird man hier so bald nicht finden. "Ich halte das für keine sehr gute Entwicklung", sagt Heinz Reitbauer, "hier haben wir zu viel Respekt vor dem Beruf des Kellners, als dass wir ihn durch servierende Köche untergraben würden." Zudem könne ein professionell agierender Service nur ein Plus für den Gast und somit für den Betrieb bedeuten, fügt er an.

So sieht das auch Gil Galasso, wenn er betont, dass es die Aufgabe des Servicepersonals sei, dem Gericht seinen Mehrwert zu verleihen. "Ein Gericht, das etwa 20 Euro wert ist, wenn es die Küche verlässt, erreicht erst durch unsere Arbeit einen Wert von 30 Euro", sagt der Maître d'hôtel. Das unterstreiche, so schließt er, dass im Zentrum jeder erfolgsversprechenden gastronomischen Bemühung nicht der Küchenchef stehen darf. Sondern der Gast. (Georges Desrues, RONDO, 12.2.2016)