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Eine Computersimulation der genetischen Wunderwaffe aus dem Labor: CRISPR/Cas9 ist derzeit Thema vieler Forschungsarbeiten und eines Patentstreits.

Illu.: picturedesk.com

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Emmanuelle Charpentier (links) kritisierte ein "Cell"-Paper. Feng Zhang (mitte) erhielt Unterstützung durch seinen Direktor. Jennifer Doudna (rechts) fand für das Paper auch nur kritische Worte.

Fotos: APA/EPA/AP
Grafik: STANDARD

Wien/Boston – Mit Humor kommentierte kürzlich Stephen S. Hall den Patentstreit rund um CRISPR/Cas9. Allen Akteuren, die die Entdeckung der vielversprechenden DNA-Schere für sich in Anspruch nehmen, könnte ein noch zu erfindender Rashomon-Preis zuerkannt werden, meinte der Buchautor in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Scientific American" – in Anlehnung an Akira Kurosawas gleichnamigen Filmklassiker, in dem ein Verbrechen aus der Sicht mehrerer Personen unterschiedlich beschrieben wird. Natürlich wurde im Zuge der Forschungsarbeiten an CRISPR/Cas9 kein Verbrechen begangen, die Frage nach der objektiven Wahrheit darf aber auch hier gestellt werden.

Was war passiert? CRISPR/Cas9 gilt als die revolutionärste wissenschaftliche Entdeckung seit Beginn des Biotech-Zeitalters. Dieses Immunabwehrsystem von Bakterien gegen Viren kann auch auf andere Organismen übertragen werden. Die Bakterien schneiden damit fremde Gene aus sich heraus. In einer fehlerhaften DNA ist damit Gen-Editing möglich, womit die Heilung von Erbkrankheiten theoretisch möglich wird. Als Entdecker werden weltweit die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, und die US-amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doudna gefeiert.

Doch der Neurowissenschafter Feng Zhang vom Broad Institute in Boston macht ihnen diesen Ruf streitig. Er hat mittels eines Schnellverfahrens die ersten Patente zu CRISPR/Cas9 erhalten, während die beiden Wissenschafterinnen den normalen Weg gingen. Doudnas Hochschule, die University of Berkeley, hat deshalb mit Erfolg die neuerliche Überprüfung beim amerikanischen Patentamt eingefordert.

Ein Text mit Folgen

Noch im Jänner hat das Fachblatt "Cell" "The Heroes of CRISPR", einen Text des US-amerikanischen Biologen Eric Lander, gebracht, in dem er die Rolle von Zhang hervorgehoben und die von Doudna und Charpentier kleingeredet hat. Die Pikanterie daran: Lander ist Direktor und Mitbegründer des Broad Institute, an dem Zhang forscht. Dieses nicht unwesentliche Detail hat er im Text verschwiegen. Die Folge: ein Shitstorm, der seinesgleichen in der Wissenschaftskommunikation sucht.

Lander wurde heftig angegriffen. Man bezeichnete ihn als "villain", also als Bösewicht, der genial und bösartig Geschichtsklitterung betreibe, Charpentier und Doudna reagierten recht eisig auf der Plattform PubMed Commons und kritisierten den Text als "sachlich falsch", "unvollständig" und "ungenau".

Auf der Website Jezebel wurde der Text als Beitrag gegen die Geschlechtergerechtigkeit gesehen. Lander habe die beiden Frauen aus der Entdeckung von CRISPR "herausgeschrieben". Andere Kommentatoren bezeichneten den Text als schamlosen Versuch, Zhang den Kampf um das Patentrecht zu erleichtern und danach den Nobelpreis zu ermöglichen. "Da haben wohl die Anwälte des Wissenschafters um Unterstützung gebeten", hieß es in einem Kommentar. Lander selbst weilte in der Antarktis und ließ per E-Mail wissen, dass derartige Texte natürlich Meinungen beinhalten, die nicht jeder teilen müsse.

Auch an den Max F. Perutz Laboratories in Wien, wo Charpentier im vergangenen Jahrzehnt beschäftigt war, bezeichnet man den Text als inhaltlich gebiast. Graham Warren, Direktor der Labs, weist zudem auf eine Landkarte im Text, in dem Boston, die Wirkungsstätte von Zhang als Zentrum der Welt erscheint – daneben ein relativ kleines Europa. Er nahm gegenüber dem STANDARD auch Stellung zu Vorwürfen aus der Wissenschaftscommunity, er habe Charpentier gehen lassen, obwohl klar gewesen sei, welches Potenzial in ihr stecke. Sie sei eine hervorragende Wissenschafterin gewesen, die sich auf Mikrobiologie spezialisieren wollte, einen Schwerpunkt, den es an den Labs nicht gab. Nur deshalb sei sie 2009 an die Universität im schwedischen Umea gewechselt.

Eingriff in die Keimbahn

Aber nicht nur Charpentier und Doudna, die in den letzten Jahren zahlreiche Preise gewannen, oder Zhang sind Namen, die rund um CRISPR/Cas9 immer wieder auftauchen. Harvard-Genetiker George Church gilt als einer der ersten Anwender der DNA-Schere. Chinesische Wissenschafter haben im vergangenen Jahr erstmals einen Eingriff in die menschliche Keimbahn ermöglicht und so eine ethische Debatte ausgelöst.

Die Frage, wer die neue Wunderwaffe der Genetik erfunden hat, wird die Patentrichter noch einige Zeit lang beschäftigen. Bis dahin wird das Nobelpreiskomitee wohl auch keine Entscheidung treffen, sagen Beobachter: Charpentier und Doudna gelten seit vergangenem Jahr als erste Anwärterinnen.

Der Patentstreit kann sich aber nicht nur auf die Vergabe des wichtigsten Wissenschaftspreises negativ auswirken. Das Magazin Wired berichtete vergangene Woche vom Börsengang des Biotech-Unternehmens Editas Medicine, das basierend auf Zhangs Patenten zwar einen guten Start hatte, aber einer doch ungewissen Zukunft entgegensieht. Das Unternehmen verspreche Anwendungen von CRISPR/Cas9, obwohl das genetische Werkzeug noch in den Kinderschuhen stecke. Klinische Versuche seien noch lange nicht möglich, selbst wenn Wissenschafter und Ethiker die fundamentale gesellschaftliche Bedeutung des Eingriffs in die Genetik negieren würden. Ob das nicht zu einer großen Blase werden könnte? Aber diese Frage haben sich Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier vielleicht auch gestellt. Sie sind ebenfalls Firmengründerinnen. (Peter Illetschko, 14.2.2016)