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Eine Unzahl von Göttern (links Anubis) nahm im alten Ägypten Einfluss auf Könige (rechts Ramses II.) und das gemeine Volk gleichermaßen. Womöglich waren sie es, die komplexe Gesellschaften erst ermöglichten.

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Vancouver/Wien – Religion ist vermutlich der wirksamste Mechanismus der Geschichte, um Menschen dazu zu bringen, an einem Strang zu ziehen und Eigeninteressen hintan zu stellen. Möglicherweise war der Glaube an eine übernatürliche Macht sogar die treibende Kraft dahinter, dass einst aus kleinen Grüppchen gut organisierte Gesellschaften erwuchsen – das zumindest ist das Ergebnis einer aktuellen Studie kanadischer Wissenschafter. Die Forscher gehen davon aus, dass erst unter den wachsamen Augen strafender Götter große, auf Kooperation basierende soziale Einheiten entstehen konnten.

Bereits frühere Feldstudien haben nachgewiesen, dass Menschen durchweg freigiebiger gegenüber Mitgläubigen sind, wenn ihr Pantheon moralische Regeln vorgibt, allwissend ist und bei Verfehlungen auch strafend eingreift. Für die Beurteilung dieser Mechanismen wurden in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auch evolutionstheoretische Ansätze populär.

Religion vs. Egoismus

Auf dieser Grundlage sieht es allerdings auf den ersten Blick so aus, als würde die evolutionäre Fitness des Einzelnen untergraben, wenn er aus Furcht vor göttlichen Sanktionen auf die Verfolgung von Eigeninteressen verzichtet. Der Theorie zufolge müsste Religion also über kurz oder lang der natürlichen Selektion zum Opfer fallen – wenn da nicht auch gewisse Vorteile für das größere Ganze wären: Zum einen hält der soziale Druck Einzelpersonen von womöglich asozialem Verhalten ab. Zum anderen ergibt sich aus der religionsbedingten Kooperation auch ein Vorsprung im Wettbewerb mit anderen Gruppen.

Wie aber lässt sich dieser übergeordnete Zusammenhang zwischen Kooperation und Religion beweisen? Um eine Antwort darauf zu finden, haben Benjamin Grant Purzycki und seine Kollegen von der University of British Columbia einen neuen Ansatz gewählt: Die Anthropologen setzten für ihre im Fachjournal Nature erschiene Studie auf kontrollierte Spielexperimente mit fast 600 Testpersonen aus acht kleinen Gesellschaften rund um den Globus. Dabei sollten die Teilnehmer Geldstücke an Mitglieder der eigenen Religionsgemeinschaft aus der näheren Umgebung und vom anderen Ende der Welt verteilen.

Angst vor dem strafenden Gott

Das Ergebnis bestätigte die These: Je mehr die Probanden ihren Gott bzw. ihre Götter als allwissend, moralistisch und strafend empfanden, umso eher waren sie bereit, ihr Geld einem in weiter ferne lebenden Fremden zu überlassen. Triebfeder dieser Freigiebigkeit war allerdings nicht die Hoffnung auf göttliche Belohnung. Qualitative Interviews verrieten, dass vielmehr die Furcht vor überirdischen Strafen die Teilnehmer zur Kooperation animierten.

Purzycki und seine Kollegen liefern damit den bisher besten Beweis dafür, dass der Glaube an überirdische Bestrafung als Instrument diente, um Kooperation in frühen menschlichen Gesellschaften zu gewährleisten. So gesehen könnte ein bedeutender Teil des Erfolges der heutigen Zivilisation in den Händen von Göttern liegen, unabhängig davon, ob sie existieren oder nicht. (Thomas Bergmayr, 11.2.2016)