Ein türkischer Panzer im Kurdengebiet.

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Die Türken haben am Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit eine neue Realität gesehen: Schlagzeilen an den Zeitungstrafiken über den sich abzeichnenden Kriegseintritt ihres Landes, manche besorgt, die anderen grimmig-entschlossen, je nach Position zur konservativ-religiösen Regierung von Premier Ahmet Davutoğlu und Staatschef Tayyip Erdoğan.

"Keinen Schritt zurück", ruft das islamische Boulevardblatt Yeni Şafak und zeigt türkische Panzer in voller Fahrt über einen Feldweg. "Wer bedroht die Türkei?", fragt ungläubig Cumhuriyet, die wichtigste Oppositionszeitung des Landes. Sie listet auf: die syrische Kurdenpartei PYD, das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, der Iran. Manche Türken mögen sich darüber die Augen reiben.

50 Ziele

50 Ziele nahm die türkische Armee innerhalb von 17 Stunden unter Feuer, vornehmlich Stellungen der Kurdenmiliz YPG, des militärischen Arms der PYD, die zumindest die türkische Regierung als Terrororganisation betrachtet, so meldet das Massenblatt Hürriyet. Von "hunderten Geschoßen" berichtet Yeni Şafak zufrieden. Mindestens 25 Mitglieder der YPG seien dabei getötet worden.

"Die Türkei ist kein Land, das von der Tribüne aus zuschaut", erklärt Vizepremier Yalçın Akdoğan den Bürgern. Seine Begründung für den plötzlichen Angriff auf die syrischen Kurden: Sie hätten die "rote Linie" überschritten, die Ankara für sich gezogen hat – keine PYD-Präsenz in Syrien westlich des Euphrats. Dort sind die Kurdenpartei und ihre Miliz allerdings nicht erst seit Samstag, dem Beginn des türkischen Artilleriefeuers.

"Schwelle zum Krieg"

"Wir stehen an der Schwelle zum Krieg", schreibt Murat Yetkin, ein vielbeachteter regierungskritischer Kolumnist. Yetkin zeichnet die Entwicklung der vergangenen drei Tage nach: die konfusen Erklärungen des Außenministers Mevlüt Cavusoğlu über die Vorbereitungen zum Einmarsch der Armee in Syrien, im Verein mit den saudischen Luftstreitkräften, oder vielmehr die Unmöglichkeit einer solchen Intervention ohne "Strategie"; die Ankündigung des PYD-Kovorsitzenden Salih Müslim, dass die syrischen Kurden Widerstand gegen den Ansturm der Türken leisten würden; die Mahnung von US-Vizepräsident Joe Biden an Davutoğlu schließlich, doch von den Angriffen auf die PYD abzulassen.

Denn für die Amerikaner ist die syrische Kurdenmiliz bekanntlich noch der schlagkräftigste Partner auf dem Boden im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Die augenscheinlich emotionale Konfusion in Ankara über die für die Türkei wichtigere Bedrohung in Syrien kleidete Cumhuriyet in eine Schlagzeile, die auf einen alten türkischen Kriegs- und Liebesfilm anspielt: "Atesten Gömlek" – das "Hemd der Flammen". Darin steckte eine türkische Unabhängigkeitskämpferin am Ende des Ersten Weltkriegs, hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu zwei Offizieren der neuen Armee. Für Ankara sind das heute PYD und IS. Im Film entscheidet sich die Protagonistin nur für einen der wackeren Kämpfer. (Markus Bernath, 15.2.2016)