Die blinden Tasterinnen üben auf Tastmatten mit Raster, Auffälligkeiten zu verorten. Bei der Zero Project Conference in Wien wurde die Methode schon im Vorjahr gezeigt. Heuer war dort der Verein Konekt aus Belgien vertreten, der ebenso Kontakt von Menschen mit Behinderung zum ersten Arbeitsmarkt herstellt.

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Eine blinde medizinische Tastuntersucherin bei der Arbeit in einer Frauenarztpraxis in Deutschland. In dem Nachbarland wurde das Projekt von Gynäkologe Frank Hoffmann ins Leben gerufen.

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Wien – Elf Monate lang wurden vier Frauen darin geschult, Auffälligkeiten in der Brust zu ertasten. Eine der Damen ist über 40 Jahre alt und hatte noch nie zuvor einen Job. Eine andere arbeitete als Beamtin, bis ihre schwächer werdende Sehkraft dies verunmöglichte. Die vier sind schwer sehbehindert oder blind. Im März erhalten sie offiziell ein Zertifikat, das bisher niemand in Österreich getragen hat: Sie werden medizinische Tastuntersucherinnen.

Das Projekt begann in Deutschland, wo der Gynäkologe Frank Hoffmann eine Optimierung der Tastuntersuchung zur Brustkrebs-Früherkennung suchte und auf die Idee kam, blinde Frauen, deren Tastsinn oft viel sensibler ist, dafür nach einer standardisierten Methode auszubilden. Zu diesem Zweck gründete er das Sozialunternehmen Discovering Hands.

Die Tastausbildung soll Frauen mit Sehbehinderung ermöglichen, im regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – was für Menschen mit Behinderung zuletzt immer schwieriger wurde.

"Für alle Win-win-Situation"

"Es ist für alle Beteiligten eine Win-win-Situation", zeigt sich Annette Hkimi-Blaschke, Geschäftsführerin von Discovering Hands Österreich, überzeugt. "Aus einer Behinderung wird eine Begabung." Zugleich haben die Untersuchten etwas davon, wenn ein Knoten früher erkannt wird. Die Tastmethode sei als Ergänzung zu den bildgebenden Verfahren und der Untersuchung von Gynäkologen gedacht – zum Beispiel für Frauen, die zwischen zwei Mammografie-Terminen einen weiteren Check wünschen.

Im Lauf des ersten Halbjahrs 2016 soll in Wien eine Pilotphase starten, in deren Rahmen die Frauen in Arztpraxen und einem Röntgeninstitut arbeiten – und mittels Abgleich bildgebender Verfahren untersucht wird, wie groß (oder klein) die Gewebeveränderungen sind, die sie finden. Die Frauen werden bei Discovering Hands Österreich angestellt. Die Untersuchung dauert zwischen 30 und 45 Minuten und soll, nach der Pilotphase, 80 Euro kosten – inklusive ärztlicher Leistung, denn eine Diagnose darf nur der Arzt stellen.

Drei weitere in Ausbildung

Die Ausbildung inklusive Praktikum wurde vom Sozialministeriumservice, dem AMS und der Pensionsversicherungsanstalt finanziert. Heuer sollen sie drei weitere Frauen absolvieren. Dabei wird ihre kommunikative Kompetenz geschult, aber vor allem das Tasten, unter anderem mithilfe spezieller Matten, auf denen sich ein Raster befindet. Dieses Raster stellen die Tasterinnen dann auch bei Patientinnen mittels Klebestreifen her. Es ermöglicht ihnen, Gewebeveränderungen zu orten und deren Lage weiterzugeben. So kann der Arzt nachvollziehen, wo etwas entdeckt wurde.

Auch in Kolumbien geht das Projekt derzeit in eine Pilotphase. In weiteren Ländern finden darüber Gespräche statt.

Als Helfer im Kindergarten

Ein anderes Konzept für Menschen mit Behinderung im regulären Arbeitsmarkt findet derzeit in Belgien Verbreitung. Vertreter des Vereins Konekt reisten vor kurzem im Rahmen der Zero Project Conference nach Wien, um von der Initiative LetsCo! zu berichten. Bei dieser halfen bisher fast 300 Menschen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung von sozialer Unterstützung leben, in Kindergärten und Pflegeheimen mit. "Wir sehen uns an, welche Talente sie haben, und setzen sie dann schrittweise ein", sagt Koen Denweer. Man beginne mit einem halben Tag pro Woche und steigere die Zeitspanne behutsam. Wichtig seien eine Aufgabe – etwa Mitspielen, Smalltalk oder Aufräumen – und Anerkennung.

"Bekannt und beliebt"

"Viele haben vorher kaum soziale Kontakte gehabt und wurden dann in ihrem Ort richtiggehend bekannt und beliebt", sagt Denweer. Etwa drei Viertel der Teilnehmer können nach sechs Wochen Praktikum weiter in der Einrichtung tätig sein. Als nächsten Schritt will Konekt das Projekt auf private Unternehmen ausdehnen. (Gudrun Springer, 25.2.2016)