Franz-Josef Murau (dargestellt von vier Schauspielern) will den Familiensitz in Wolfsegg auslöschen: Christian Nickel, Martin Zauner, Udo Samel und Wolfgang Michael (v. li.).

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Wien – Bekanntlich hat Thomas Bernhard das in seinen Texten vielfach als "stumpfsinnig" gescholtene Leben auf dem Land selbst geführt. Und ebenso hat er als Bauernhofbewohner die Nähe zu echten Viehzüchtern genossen, während im Roman Auslöschung (1986) jegliche Affinität zur Landwirtschaft vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Darüber hinaus gelte es, vor Universitätsprofessoren und anderen Intellektuellen schnellstmöglich davonzurennen, so der Protagonist Franz-Josef Murau. Zugleich aber unterrichtet dieser nach Sabbatical-Stationen in London, Paris und Istanbul nun selbst in Rom den Privatschüler Gambetti in Literatur und Philosophie.

Diese listenreichen Widersprüche entfalten in Thomas Bernhards Werk herrliche Dynamiken. Der barocke Herabwürdigungs- und Hochstilisierungsfuror gibt den Texten Kraft. Und so war es gewiss nicht nur eine Überlegung der Kapazität, den Franz-Josef Murau aus dem 650-Seiten-Opus-magnum Bernhards in einer Bühnenfassung auf vier Schauspieler aufzuteilen. In Oliver Reeses Inszenierung "bekleiden" Wolfgang Michael, Christian Nickel, Udo Samel und Martin Zauner die inneren Widersprüche dieser Figur.

Nachdem er seine ihm verhasste Familie und deren nationalsozialistische Vergangenheit zurückgelassen hat, wird Murau durch den Unfalltod der Eltern und des Bruders erneut mit dem Erbe konfrontiert, dem Familiensitz auf Schloss Wolfsegg, auf dem einst Gauleiter und Kardinäle ein und aus gingen. Die Hakenkreuzfahne, die bis zum Schluss auf der Kindervilla wehte, habe die Mutter nur widerwillig eingezogen.

Die Beerdigungsvorbereitungen setzen jene nicht enden wollende Reflexion in Gang, die Reese im Theater in der Josefstadt höflich in schön portionierte Happen abpackt. Es fehlt dem Abend an jener Überdimensionalität, Monstrosität und Existenzialität, die dem Text innewohnt.

Bernhard-Wiederbelebung verlangt nach mehr als einem imposanten Bühnenbild: eine Kathedrale aus Holzstapeln (Hansjörg Hartung). Es reicht vor allem nicht aus, an der Rampe energisch zu deklamieren, wie es bis zur Pause der Fall ist. Vier Männer strapazieren da die Eingriffstaschen ihrer Bundfaltenhosen: Christian Nickel gibt den nervösen Ängstlichen, Martin Zauner den Wutentbrannten, Wolfgang Michael den trägen Abgründigen und Udo Samel – die Lichtgestalt dieses Abends – den Verschmitzten, stilvoll Heiteren. Samel bringt die Sätze zum Schwingen, weitet die Zwischenräume der Wörter, lüpft ihre Hintergründigkeit. Undenkbar, er wäre nicht dabei.

Ihre Zusammengehörigkeit als eine Person drücken die vier hin und wieder in netten Gesten aus: Sie fingern aneinander herum, zupfen am Stecktuch des anderen oder klauben bekümmert Fusseln vom Revers des Nächsten (was selbigem natürlich widerstrebt). Ohne Bedenken greifen sie auch in die Jackentasche des Nachbarn, als wäre es ihre eigene.

Minimaler Slapstick, ein wenig Objekttheater und Figurenimitationen (alle vier übernehmen Nebenrollen) geben dem Abend Farbe. Im Grunde aber zeigt sich diese Auslöschung einfallslos. Den sich echauffierenden Herren in olivgrünen Ermenegildo-Zegna-Anzügen (angeblich Bernhards Lieblingsmarke) hätte mehr Aufmunterung zum Theater gutgetan. (Margarete Affenzeller, 26.2.2016)