Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig präsentierte jüngst seine Pläne für einen Umbau des Wiener Wohnbausystems, der durch aktuelle Entwicklungen herausgefordert wird: Die Bevölkerungszahl Wiens steigt massiv (2015 um plus 43.000 Menschen), gleichzeitig stagnieren die vom Bund überwiesenen Wohnbaufördermittel.

Wohnraum für Flüchtlinge ist ein aktuelles Thema, allerdings nur ein Spezialfall des allgemeinen Bedarfs an "leistbarem Wohnen". Gleichzeitig wird die Investition in soziale Infrastruktur, die eine Voraussetzung für Wohnbau ist, durch die Stabilitätskriterien erschwert. Es bleibt eine Herausforderung, wie man das nötige Tempo im Wohnbau mit Qualitätssicherung vereint.

Ludwig reagiert darauf mit einem "Drehen an Schrauben" – sicherlich die stärkste Veränderung seit der Einführung der "sozialen Nachhaltigkeit" als Beurteilungskriterium für Wohnbauprojekte zwei Jahre nach seinem Amtsantritt 2007: Er will mehr, schneller, preiswerter und nachhaltiger bauen.

Dass eine Offensive nötig ist, kann kaum bestritten werden: Eine Steigerung der Bevölkerung Wiens auf etwa zwei Millionen bis 2029 wird prognostiziert, dabei geht man von einem jährlichen Zuwachs um etwa 20.000 Personen aus, der seit 2012 immer überschritten wurde.

Das rot-grüne Regierungsübereinkommen für Wien sieht den Bau von 10.000 Wohnungen pro Jahr vor. Für das vergangene Jahr (mit hoffentlich außergewöhnlich hohem Zuwachs) wären doppelt so viele benötigt worden. Insofern ist es notwendig und unterstützenswert, dass Ludwig eine Steigerung der jährlichen Neubauleistung, mehr Gemeindewohnungen und ein Programm für Wohnungen in Holzbauweise vorschlägt.

Sofortprogramm mit Holzbau

Aber der Teufel steckt im Detail, deshalb ist es sinnvoll, einige Aspekte noch einmal auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen. Stichwort Sofortprogramm in Holzbauweise: Ludwig stellt fest, dass es "keine gesonderte Wohnform speziell für Asylberechtigte" geben soll, und dem kann nur zugestimmt werden. Leistbares Wohnen ist eine zentrale Aufgabe der Stadt, allerdings sollte dieses leistbare Wohnen mit anderen Wohnformen gemischt werden, um Segregation zu vermeiden. Es wäre deshalb sinnvoll, derartige Bauten als "Siedlungskerne" für größere Wohnbaugebiete zu verwenden. Wenn die Schnellbauten eines Tages nicht mehr benötigt werden, böte sich an ihrer Stelle der in vielen Siedlungen benötigte, flexible Raum, um ergänzende Nutzungen unterzubringen.

Es gibt allerdings auch Punkte, die kritikwürdig sind. Ein Spezifikum des Wiener Wohnbaus ist die Qualitätsorientierung. Jedes geförderte Wohnhaus muss entweder vom Grundstücksbeirat qualitativ begutachtet werden oder sich einem "Bauträgerwettbewerb" stellen. Der herausragende internationale Ruf des Wiener Wohnbaus gründet zu einem großen Teil genau darauf.

Qualitätssicherung gefährdet

Die Offensive erlaubt es nun erstmals, dass Bauträger Förderung erhalten können, ohne sich dieser Qualitätssicherung zu stellen. Vorerst nur, wenn eine positive Bewertung durch die bundeseigene Wohnbau-Investitionsbank (WBIB) vorliegt. Die WBIB wird aber garantiert nicht so strenge Qualitätskriterien wie in Wien anwenden; und damit ist eine Tür geöffnet, die zum raschen Verfall der Wiener Wohnbauqualität führen kann. Viel Zeit wird dadurch nicht gewonnen, der Grundstücksbeirat war in den letzten Jahren kaum ausgelastet.

Ebenso ablehnenswert: Die "Kosten der Freiraumgestaltung" sollen zukünftig gedeckelt werden. Der Freiraum im Wiener Wohnbau hat bis vor kurzem ein trauriges Dasein geführt, das erst in den letzten Jahren durch breite Anstrengungen zu einem langsam erblühenden, zarten Pflänzchen geworden ist. Gerade heute, in Zeiten massiven Bevölkerungswachstums, ist die Qualität der städtischen Freiräume für alle Wienerinnen und Wiener von höchster Bedeutung. Dazu kommt, dass der Anteil der Freiraumgestaltung an den Gesamtkosten des Wohnbaus geradezu unsichtbar gering ist.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Infrastrukturkommission soll zum "Lenkungs- und Steuerungsgremium" werden – das sagt an sich noch nicht viel, der gelernte Wiener merkt bei solchen Formulierungen aber auf: Wird dadurch etwas besser? Diese Kommission erlaubt größere Wohnbauvorhaben nur dann, wenn die dafür nötige soziale und technische Infrastruktur gesichert ist. Das kann man natürlich entkoppeln, um den Wohnbau zu beschleunigen – aber das bedeutet, dass dann die genauso notwendige Verkehrs- und Schulinfrastruktur fehlt.

Zur die Stellplatzverpflichtung: Bis vor kurzem musste man in Wien für jede neue Wohnung einen Parkplatz bauen, derzeit 0,7 Parkplätze pro Wohnung, Ludwig will das weiter reduzieren. Das ist positiv – allerdings nur, wenn das durch eine entsprechende Mobilitätspolitik für die Neubaugebiete, für deren Umfeld und die Stadt insgesamt flankiert wird. Wenn stattdessen Pkws einfach im öffentlichen Raum geparkt werden, ist das kontraproduktiv.

Offensive zur Bauausstellung

Wien startet dieser Tage mit einer Internationalen Bauausstellung (IBA) zum Thema Wohnbau. Das ist ein kluges Konzept, allerdings hatte man bisher den Eindruck, dass die Wiener IBA vor allem der Präsentation des bereits Erreichten dient, statt Neues zu entwickeln. Die notwendigen Änderungen im Wiener Wohnbau könnten Anlass sein, dieses Neuentwickeln in die IBA zu integrieren und dadurch den aktuellen Bedarf zu bedienen. Es darf keinesfalls dazu kommen, dass der Wiener Wohnbau seine Errungenschaften verliert. Gerade jetzt, wo zeitlicher und finanzieller Druck besteht, muss umso mehr auf hochwertige Planung und Qualitätssicherung gesetzt werden, statt zu behaupten, dass gesparte Planungskosten irgendetwas billiger machen. Billig und schnell allein wird später teuer. (Robert Temel, Renate Hammer, Patrick Jaritz, 28.2.2016)