Péter Eötvös dirigiert ab Sonntag in der Wiener Staatsoper seine eigene Tschechow-Bearbeitung "Drei Schwestern".


Foto: Jean-François Leclercq

STANDARD: Ihre Oper "Drei Schwestern" ist fast 20 Jahre alt. Seit sie 1998 uraufgeführt wurde, hat sie etliche Produktionen erlebt. Sie ist zu einem Repertoirestück geworden. Hätten Sie je damit gerechnet, als Sie sie geschrieben haben?

Eötvös: Nein, natürlich nicht. Man kann nie damit rechnen. Wenn man eine Oper mit dem Gedanken schreibt, dass sie Repertoire werden soll, ist schon der ganze Ansatz falsch. Es freut mich aber sehr, dass diese Oper ihren Platz in der Literatur des 20. Jahrhunderts gefunden hat.

STANDARD: Was haben Sie also richtig gemacht?

Eötvös: Eigentlich bin ich nicht der Richtige, um danach gefragt zu werden. Aber ich glaube, eine Tendenz zu einer neuartigen Dramaturgie wurde damals von der Kritik und auch vom Publikum geschätzt: wie man eine lineare Geschichte durch Umgestaltung zu einer anderen Form bringen kann. Es ist nicht einfach eine vertonte Erzählung, sondern eine neue Form, die für die Oper geeignet ist. Ich habe das Stück etwa 15 Jahre lang nicht dirigiert. Erst jetzt merke ich, dass die Melodien sehr schön sind – es gibt viel, das man einfach nachsingen kann. Das ist wahrscheinlich wichtig.

STANDARD: Auch für die Sänger sind die Herausforderungen andere als in anderen zeitgenössischen Werken.

Eötvös: Ich habe wohl einen eigenen Stil für diese Oper gefunden. Sie kann von Sängern gesungen werden, die aus einem Opernhaus kommen – sie müssen keine Spezialisten für Neue Musik sein. Vielleicht gibt es eine bestimmte Rückkehr, wenn man so sagen möchte: Nach einem Stück wie den Soldaten von Bernd Alois Zimmermann, wo es darum ging, etwas aufzubrechen, wollte ich nicht mehr solche sprunghaften Gesangslinien haben. Ich finde, dass wir heute in einer anderen Epoche leben und es nicht mehr adäquat ist, das fortzusetzen. In den Drei Schwestern gibt es wieder eine Art melodische Führung, die allerdings kein Zitat ist. Es ist kein "Neo"-Stil.

STANDARD: Wenn Sie selbst im Nachhinein so von den Melodien überrascht waren – worauf haben Sie sich denn beim Komponieren konzentriert? Auf die Klangfarben?

Eötvös: Die Klangfarben sind sehr wichtig, sie spielen am Anfang der Arbeit eine große Rolle: So wie sich ein Maler seine Palette zusammenstellt. Wenn man die Linien zieht, ist das schon vorbereitet. Sehr wichtig bei diesem Stück ist, dass es zwei Orchester gibt: ein Ensemble im Graben, wo einzelne Instrumente im Zusammenhang mit Figuren auf der Bühne stehen, und ein großes Orchester hinter der Bühne.

STANDARD: Was hat Sie an Tschechow so fasziniert?

Eötvös: Die Atmosphäre. Musikalisch war die Aufgabe für mich leicht: Die Sprache ist einerseits sehr harmonisch, andererseits sind die Sätze sehr banal – auf die wunderbarste Weise. Man spürt, was die Gedanken dahinter sind. Das ist das Schöne daran. Wenn es philosophisch wird, wird es komisch. Man darf auch nicht vergessen, dass die Drei Schwestern für Tschechow eine Komödie waren. Er hat darum gebeten, das Stück nicht zu traurig aufzuführen. Das habe ich sehr ernst genommen und manche Charaktere sehr stark in die komödiantische Richtung geführt. Es ist aber nicht lustig, sondern komisch, grotesk.

STANDARD: Sie haben damals für die Komposition eigens Russisch gelernt.

Eötvös: Das ist übertrieben. Für mich war die Aussprache das Wichtigste: dass die Betonungen richtig sind, die Dauern der einzelnen Silben. Ich habe in der Oper eine Vorliebe für zwei Sprachen: Italienisch und Russisch – diese beiden Sprachen sind für die Sänger auch am angenehmsten, weil das Verhältnis zwischen Vokalen und Konsonanten ideal ist, besonders im Russischen. Das ist fantastisch – besonders die Konsonanten sind sehr stark.

STANDARD: Und Ungarisch?

Eötvös: Das habe ich noch nie gemacht! Das hat ganz banale Gründe. Der Einfluss von Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg ist so stark, dass ich das Gefühl hätte, zu nahe daran zu sein.

STANDARD: Sie waren bei den "Schwestern" auch Ihr eigener Librettist. Was waren die wichtigsten Änderungen des Textbuchs?

Eötvös: Ich habe kein Wort geändert, nur die Reihenfolge. Der Ausgangspunkt für mich war, dass meine Oper fast 100 Jahre nach der Uraufführung des Theaterstücks (1901) entstand. Am Ende gibt es bei Tschechow einen Epilog, in dem Olga sagt, sie hofft, dass sie die Menschen in der Zukunft verstehen werden. Das kommt bei mir am Anfang. Meine Antwort ist, dass sich die Situation nicht verändert hat, dass die Welt ganz genauso geblieben ist. (Daniel Ender, 3.3.2016)