Flüchtlinge entlang der Balkanroute.

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Brüssel/Wien – Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen bei ihrem Krisengipfel am Montag die Balkanroute für gesperrt erklären. "Diese Route ist jetzt geschlossen", heißt es in der vorbereiteten Gipfelerklärung, die der Deutschen Presseagentur vorlag. Die EU-Chefs werden auch zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoğlu zusammentreffen. Die Türkei soll Flüchtlinge ohne Asylanspruch rasch zurücknehmen.

Über Monate hinweg hatte entlang der Balkanroute ein Land die Flüchtlinge zu Hunderttausenden an das nächste weitergereicht. Dann gingen Stacheldrahtzäune hoch, Grenzer bezogen Stellung. Mazedonien lässt kaum noch Flüchtlinge aus Griechenland passieren. Dort strandeten bereits zehntausende Menschen.

Schutz in Griechenland suchen

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) verteidigte die Schließung der Balkanroute. Staaten wie Österreich, Deutschland und Schweden könnten nicht alle Menschen aufnehmen, die hierherkommen wollen, sagte er in der ARD-Sendung "Anne Will" am Sonntagabend. Die Menschen an der mazedonischen Grenze könnten auch im EU-Staat Griechenland Schutz suchen. Griechenland habe pro Kopf gerechnet weit weniger Flüchtlinge im Land als Österreich und könne zudem bald mit massiver EU-Unterstützung rechnen. Zur Situation an der griechisch-mazedonischen Grenze sagte Kurz: "Die Bilder sind furchtbar, aber wir sollten nicht den Fehler machen zu glauben, dass es ohne diese Bilder gehen wird."

Mitterlehner: Kommunikation "hätte besser laufen können"

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) verteidigte die Maßnahmen Österreichs in am Sonntagabend in der ORF-Diskussion "Im Zentrum". "Mit unserer Entscheidung haben wir erreicht, dass Lösungen diskutiert werden", sagte Mitterlehner. Die Vorgehensweise finde er richtig, die Kommunikation hätte "vielleicht besser laufen" können, man hätte Vorabstimmungen treffen können.

Deutscher Justizminister pocht auf Verteilung in der EU

Der deutsche Justizminister Heiko Maas erklärte, einzelne Staaten könnten mit Grenzschließungen die weltweiten Migrationsprobleme nicht lösen, das führe nur zu Dominoeffekten. Die Flüchtlinge müssten in Europa verteilt werden. Zudem gelte es, Fluchtursachen zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund sei die Feuerpause in Syrien sehr wichtig.

Zeitungsübernahme durch Türkei belastet Gespräche

Von der Türkei erhoffen sich die 28 Staats- und Regierungschefs Zusagen für eine rasche Rücknahme von Personen ohne Asylanspruch. Die Gespräche werden belastet von der staatlichen Übernahme der regierungskritischen Zeitung "Zaman" und dem Umgang der Regierung mit Menschen- und Grundrechten wie der Pressefreiheit.

Merkel traf Davutoğlu

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel beriet in Brüssel bereits mit Davutoğlu mehrere Stunden lang die Konsequenzen der Flüchtlingskrise, bestätigten deutsche Regierungskreise Montagfrüh. An dem Gespräch in der türkischen Botschaft nahm auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil, dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft innehat.

Deutschland trägt Kurs mit

Der eintägige Gipfel am Montag ist eine wichtige Wegmarke für Merkel. Sie hat in der Krise nur noch wenig europäische Verbündete, darunter Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Am kommenden Sonntag wird in drei deutschen Bundesländern gewählt. Der harte Kurs zur Schließung der Balkanroute wird dem Vernehmen nach von Deutschland mitgetragen.

Vereinbarungen gebrochen

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras kritisierte am Montag, dass zwischen diesem und dem vorangegangenen EU-Gipfel im Februar Vereinbarungen gebrochen worden seien. "Das ist ein Problem für unser Haus Europa." Dadurch sei eine schwierige Situation entstanden.

Beim vergangenen EU-Gipfel hatte Merkel Tsipras zugesagt, die Balkanroute bis zum nächsten EU-Gipfel im März offen zu halten. Österreich und die Balkanstaaten haben diese Route aber inzwischen weitgehend dichtgemacht, was nunmehr vom Gipfel bestätigt werden soll. Zu den Gründungsprinzipien der EU gehörten eine Lastenteilung und Solidarität, mahnte Tsipras. Regeln müssten von allen eingehalten werden. "Jeder muss Entscheidungen umsetzen."

"Die Null in Sicht haben"

Die Türkei will nach Worten des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte eine Luftbrücke für Flüchtlinge nach Europa. "Das ist ein Wunsch der Türkei", sagte er am Montag in Brüssel. "Um das möglich zu machen, ist wichtig, dass wir die Null in Sicht haben", so Rutte in Hinblick auf die geforderte Reduktion von Flüchtlingszahlen. Sollte dies der Fall sein, werde auch die Europäische Union Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen.

"Humanitäre Krise"

Nach der weitgehenden Abschottung der Balkanroute campieren derzeit mehr als 10.000 Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze. Der Sprecher des UN-Hilfswerks UNHCR im Flüchtlingslager Idomeni sprach am Sonntag von einer "humanitären Krise" und einem "Weckruf für die führenden Politiker der EU".

Die EU-Staaten wollen laut Entwurf der Gipfelerklärung rasch über eine Nothilfe für Griechenland entscheiden. Die EU-Kommission hatte bis zu 700 Millionen Euro dafür vorgeschlagen. Vor dem nächsten Gipfel Mitte des Monats soll es dazu einen Beschluss geben. Griechenland soll auch beim Grenzschutz Hilfe erhalten.

Briten schicken Schiffe in die Ägäis

Großbritannien beteiligt sich unterdessen mit mehreren Schiffen und einem Hubschrauber an der Nato-Marinemission gegen Schlepper in der Ägäis. "Wir müssen das Geschäftsmodell der kriminellen Schlepper aufbrechen", sagte Premier David Cameron am Montag wenige Stunden vor seiner Abreise zum EU-Gipfel. Die Flüchtlinge müssten von ihrer "fruchtlosen und gefährlichen" Reise abgehalten werden.

Der von Deutschland geführte Nato-Einsatz hatte am Sonntag begonnen. Die Nato will dabei Informationen über Schlepper sammeln und diese an Griechenland, die Türkei und die EU-Grenzschutzagentur Frontex weitergeben, damit diese die Schlepper aufgreifen können.

Zentrale Stelle für Asylanträge geplant

Die EU-Kommission will einem Zeitungsbericht zufolge eine zentrale Stelle für die Beantragung von Asyl einrichten. Laut "Financial Times" soll der Vorschlag als Teil einer radikalen Reform der Flüchtlingspolitik beim Gipfel am 17. März vorgestellt werden. Derzeit müssen Asylwerber ihren Antrag in dem Land stellen, in dem sie erstmals EU-Boden betreten. Das sogenannte Dublin-System war wegen des großen Andrangs von Flüchtlingen aber de facto außer Kraft gesetzt.

Im vergangenen Jahr hatten in der EU so viele Menschen wie nie zuvor Asyl beantragt. Laut der Statistikbehörde Eurostat stellten rund 1,26 Millionen Menschen in den 28 EU-Ländern erstmals einen Asylantrag. Auf Deutschland entfiel dabei mit 441.800 Anträgen die bei weitem größte Zahl.

14 weitere Flüchtlingslager eröffnen

Im Lauf der Woche sollen Medienberichten zufolge in Griechenland 14 weitere Auffanglager eröffnet werden. Sie sollen 17.400 Menschen Schutz bieten, berichtete die Zeitung "Kathimerini" am Montag unter Berufung auf den jüngst gegründeten Flüchtlingskrisenstab der griechischen Regierung. Ein 15. Hotspot soll nächste Woche hinzukommen.

Nach Angaben des Krisenstabs halten sich derzeit 33.320 Flüchtlinge in Griechenland auf. Das Rote Kreuz geht Medienberichten zufolge sogar von mehr als 50.000 aus. Die bestehenden Registrierzentren und Auffanglager auf den griechischen Inseln, in Athen und Thessaloniki bieten nur Platz für ungefähr 17.000 Menschen.

Die meisten Flüchtlinge halten sich an der Grenze zu Mazedonien nahe dem Grenzort Idomeni auf – mehr als 13.000 sollen es sein. Wie griechische Medien berichteten, wollen die Menschen dort bleiben. Sie haben demnach Angst, die Grenze könnte zwischenzeitlich geöffnet werden, während sie selbst sich in einem weit entfernten Auffanglager befinden.

Situation an Österreichs Südgrenze

In der vergangenen Woche sind am südsteirischen Grenzübergang Spielfeld knapp 1.900 Flüchtlinge angekommen. Gut 50 von ihnen stellten einen Asylantrag in Österreich, 44 wurden wieder zurück nach Slowenien geschickt, ergibt sich aus den Zahlen der Vorwoche. Am Montag, 7. März, wurden keine Flüchtlinge erwartet, hieß es seitens der Polizei. (APA, red, 7.3.2016)