Wien wächst, doch das Wohnungsangebot hinkt hinterher.

Foto: Putschögl

In der Lorenz-Reiter-Straße im elften Bezirk werden 50 Prozent der Wohnungen Smart-Wohnungen sein.

Visualisierung: trans_city

Die Idee, auf wenig Platz zu leben, gefällt der Wiener Künstlerin Christa Angelmaier. Sie wohnt seit Jahren auf 30 Quadratmetern. "Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf den Grundriss", sagt sie.

Das haben zumindest bisher viele anders gesehen: In Wien ist der Wohnbedarf pro Kopf in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Mittlerweile liegt er bei knapp 40 Quadratmetern. Eine Paarwohnung kommt also auf 80 Quadratmeter.

Nicht mehr leistbar

Das ist ziemlich viel Platz für zwei: "Ich glaube nicht, dass sich der Wohnraum pro Kopf linear auf die Wohnzufriedenheit auswirkt", sagt Anna Popelka vom Architekturbüro PPAG. Die Wohnung müsse aber groß genug sein, "um als Stütze im Leben begriffen zu werden".

Für immer mehr Menschen sind große Wohnungen auch gar nicht mehr leistbar: Besonders kompakte Wohnungen werden gesucht, sagt EHL-Wohnimmobilienexpertin Sandra Bauernfeind. Diese Suche ist schwierig geworden. Experten sprachen jüngst von einer Angebotslücke von 11.000 Wohnungen in Wien allein für das Vorjahr.

Gefahr von Crowding

Die Stadt reagiert darauf mit Smart-Wohnungen: Das sind Wohnungen mit kompakten Grundrissen ab 40 Quadratmetern. Am freifinanzierten Sektor werden indes Kleinwohnungen, Smartments und Mikro-Apartments gebaut.

"Bei einer Wohnung geht es darum, wie gut sie die Wohnbedürfnisse erfüllt", erklärt der Grazer Architekturpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger. Grundsätzlich könne durchaus sparsam, aber gleichzeitig in hoher Qualität gebaut werden – solange gut und mit architekturpsychologischem Know-how gearbeitet wird. In kleinen Wohnungen besteht nämlich die Gefahr von "Crowding", also Stress bedingt durch Enge. Das äußert sich durch Aggression, Depression und Konzentrationsschwierigkeiten. Dem kann laut Deinsberger-Deinsweger durch eine "persönliche Nische" für jeden Bewohner vorgebeugt werden.

Noch eine Gefahr: Der Wahrnehmungsraum ist aufgrund der Wohnungsgröße beschränkt – und muss, so der Experte, im Idealfall erweitert werden können, etwa durch eine schöne Aussicht. Steht einzig der triste Blick auf das Haus gegenüber zur Wahl, dann müsse dafür in der Wohnung für Vielfalt gesorgt werden.

Stauräume und Balkon

Für eine Erweiterung des Raumgefühls plädiert auch Mark Gilbert von dem Architekturbüro Transcity, das ein Wohnprojekt im elften Bezirk geplant hat. 50 Prozent der Einheiten sind Smart-Wohnungen. Die Nasszellen – Bad, WC, Küche – wurden als freistehender Block geplant, die restlichen Räume sind um den Block herum angeordnet. Bei kleinen Wohnungen sei auch ein großer Balkon wichtig, sagt Gilbert, sowie Stau- und Erschließungsräume.

Das bestätigt Bauernfeind: "Eine Zwei-Zimmer-Wohnung ohne Abstellraum ist auf Dauer schwierig." Noch ein Problem: "Dienende" Räume seien aufgrund von vorgeschriebenen Mindestgrößen und Bewegungsradien gleich groß wie bei ihren größeren Pendants, sagt Verena Mörkl vom Architekturbüro Superblock: "Was aber auf der Strecke bleibt, sind die Aufenthaltsräume."

Größenverhältnisse verschieben

Allgemein sprechen sich Planer dafür aus, das Wohnen neu zu denken: Viele Wohnungen, die heute gebaut werden, würden gar nicht mehr dem Bedarf entsprechen, sagt Popelka. Die klassische Wohnungsstruktur für die "kaum mehr existente" traditionelle Familie müsse aufgebrochen, die Größenverhältnisse innerhalb der Wohnung verschoben werden. Was in der Wohnung nicht mehr Platz hat – etwa Kochen für viele Gäste –, könne in gemeinschaftliche Räume ausgelagert werden.

Gerade beim Planen solcher Gemeinschaftsflächen müssten architekturpsychologische Aspekte beachtet werden, betont Deinsberger-Deinsweger. "Planer und Bauträger stecken in Österreich aber diesbezüglich noch in den Kinderschuhen." Bei Allgemeinflächen, die – wie oft kritisiert wird – nicht genutzt werden, seien planerische Fehler passiert. Dabei seien solche Kontaktmöglichkeiten wichtig. Sonst droht Vereinsamung.

Ein häufiger Fehler: Der Gemeinschaftsraum wird an eine Stelle verbannt, wo niemand vorbeigeht, so Deinsberger-Deinsweger. "Gemeinschaftsräume funktionieren, wenn sie betreut werden", sagt Mörkl. Für Gilbert sind besonders Räume wie die Waschküche wichtig, wo sich zufällige Treffen ergeben. Positiver Nebeneffekt: Wer die Nachbarn kennt, hat eine höhere Toleranzschwelle.

Entwicklung als Chance

In Wien gebe es (noch) keine Tradition, mit kleineren Flächen umzugehen, urteilt Christa Angelmaier: "In Paris muss eine Wohnung lediglich neun Quadratmeter haben, um als Wohnung zu gelten. Das wäre bei uns undenkbar."

Die derzeitige Entwicklung sieht Gilbert auch als Chance: "Traditionell musste man in die Mietwohnung eine Küche einbauen oder eine hohe Ablöse zahlen." Nun kämen Kleinstwohnungen teils bereits möbliert auf den Markt. Das sei ein Vorteil für Menschen mit geringem Startkapital – auch wenn die Miete etwas teurer ist.

Neue Herangehensweise

Einzige Antwort auf den steigenden Wohnbedarf sind Angebote wie die Smart-Wohnungen für Mörkl jedoch nicht. Auch Wohngemeinschaften und gemeinschaftliches Wohnen seien wichtige Methoden: "So einer starken Nachfrage kann man nur durch Innovation begegnen."

Und durch eine neue Herangehensweise an Wohnen auf wenig Platz: "Platzsparen ist ohne Rückschritt, ohne Verlust der grundsätzlichen Lebensqualität möglich", sagt Popelka. "Man muss nur bereit sein, alte Gewohnheiten aufzugeben – und neue Wege zu gehen." (Franziska Zoidl, 14.3.2016)