"Weißt du, dass die Grenzen geschlossen sind?" Zainab lächelt, während die Frage ins Arabische übersetzt wird. "Wie denn geschlossen?", fragt sie unbekümmert zurück. Sie hat mit ihrer vierjährigen Tochter in den vergangenen Wochen schon so viele Grenzen legal und illegal überquert. Der Übersetzer Abdul, selbst ein Flüchtling aus Syrien, erläutert ihr ausführlich die Lage. Er hat es an diesem Mittwoch schon so oft getan. Er erklärt der jungen Frau, dass die ganze Balkanroute geschlossen sei, dass sie ohne gültigen Reisepass und Visa nicht mehr weiterkommt, weil Österreich und Slowenien gar keine Flüchtlinge mehr hereinlassen und folgerecht Kroatien, Serbien und Mazedonien ihre Staatsgrenzen dichtgemacht haben.

Das Lächeln auf dem Gesicht von Zainab erstarrt. Sie senkt den Kopf, schweigt eine Weile, und dann redet sie und redet. Als Abdul sie unterbrechen will, hebt sie nur energisch und ablehnend die Hand und redet weiter. Abdul muss gar nicht übersetzten. Im arabischen Redefluss hört man Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Verbitterung, Wut, Enttäuschung heraus. Dann schweigt Zainab wieder, und Abdul erzählt auf Englisch nach, was man auch ohne Übersetzung erahnt hatte: Sie fragt, warum, warum gerade jetzt, für wie lange, was mit ihr und ihrer Tochter geschehen soll, ob man sie nun ausweisen würde und wohin?

So nahe, und doch so weit

Zainab Faksh (25) ist eine von hunderten Flüchtlingen, die vor rund drei Wochen auf der Durchreise in Serbien waren, als neue Regelungen auf der Balkanroute in Kraft getreten waren. Sie kamen bis zur kroatischen Grenze, konnten jedoch nicht weiter Richtung Österreich und Deutschland ziehen, weil auf ihren Papieren einige Stempel fehlten. Die serbische Grenzpolizei ließ sie nicht passieren, und sie wurden zurück ins Flüchtlingslager in der südserbischen Stadt Preševo nahe der Grenze zu Mazedonien transportiert. Man sagte ihnen, dass sie nur ihre Durchreisedokumente in Ordnung bringen und dann weiterziehen könnten. Nun ist die Balkanroute ganz geschlossen, und in Preševo stecken rund 650 Flüchtlinge, größtenteils aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, fest. In ganz Serbien sind es rund 2.000. Legal dürfen sie die Flüchtlingslager bis auf weiteres nicht verlassen.

Im Flüchtlingslager in Preševo sind derzeit etwa 650 Personen untergebracht.
Foto: AFP/DIMITAR DILKOFF

Zainab kommt aus Aleppo, wo sie Psychologie studiert hatte. Ihr Mann hätte sich noch vor zwei Jahren auf den Weg gemacht, erzählt sie, habe in der Zwischenzeit Asyl in Österreich bekommen und lebe in Wien. Alle seine Versuche, Einreisedokumente für sie und ihre Tochter zu besorgen, seien gescheitert, mit Argumenten über Familiennachzug kam er nicht an. Er wollte zurück nach Syrien, um sie abzuholen, aber man habe ihm gesagt, er dürfe Österreich wegen des Asylverfahrens nicht verlassen. Dann habe sie sich entschlossen, es mit ihrer Tochter allein zu versuchen. Sie sei sich des ganzen Risikos bewusst gewesen, auch der Todesgefahr, die die Bootsfahrt über die Ägäis mit sich bringt. Die syrisch-türkische Grenze hätte sie legal passiert, sei aber sofort weitergezogen und habe Schleppern 700 Dollar bezahlt, um sie und ihre Tochter nach Griechenland zu bringen. Nun stecken die beiden seit drei Wochen in Preševo fest. Ihr Handy hat sie unterwegs verloren, ab und zu leiht sie sich eines von anderen Flüchtlingen und telefoniert mit ihrem Mann übers Internet, zu dem man im ganzen Lager freien Zugang hat.

"Wie waren so nahe", sagt Zainab traurig. Die sonst energische Frau wirkt so hilflos. Es ist die fürchterliche Erkenntnis eines Menschen, mit der sie plötzlich spricht, der kurz vor einem lebenswichtigen Ziel war und dem brutal die Tür vor der Nase zugeknallt worden ist.

Zu Hause ist, wo wir zusammen im Frieden leben

Am Tisch im leeren Speisesaal des Flüchtlingslagers sitzt auch Aysha (35, Name geändert) mit ihren drei Töchtern (fünf, zehn und fünfzehn Jahre alt). Die zwei Frauen aus Aleppo, die allein mit ihren Kindern reisen, halten zusammen. Ayshas Mann befindet sich in Berlin. Auch sie wartete vergebens darauf, dass ihr er ihr Dokumente für die Einreise nach Deutschland schickt. Auch sie wurde mit ihren Töchtern vor rund drei Wochen aus dem gleichen Grund wie Zainab von der kroatischen Grenze zurück nach Preševo geschickt.

"Mein Mann hat mir gesagt, dass wir uns zu Hause sehen, weil das Zuhause dort ist, wo wir alle zusammen in Frieden leben können", sagt Aysha und kann kaum die Tränen zurückhalten. Ihr Mann habe vor dem Krieg als Wirtschaftsfachmann für die Regierung gearbeitet. Als der Krieg ausbrach, wurde die Lage in Aleppo unerträglich, nicht nur wegen der Kämpfe und Bomben, sondern weil sowohl die reguläre syrische Armee als auch die vielen Rebellengruppen alles von der Bevölkerung geplündert hätten. Sie habe Schleppern pro Person 50 Dollar gezahlt, damit sie mit ihren Töchtern in die Türkei gebracht wird, und 450 Dollar pro Kopf für die Fahrt von der Türkei nach Griechenland. Das Geld habe ihr die Familie ihres Mannes gegeben. Im Boot hatte sie fürchterliche Angst um ihre Kinder, aber die Lage in Syrien sei so unerträglich gewesen, dass sie es in keine Sekunde bereut hätte, ihr Glück auf der Flucht zu versuchen.

Auf die Frage, ob sie denn wüssten, was sie in Deutschland erwartet, antworteten Aysha und ihre älteren Töchter, dass sie sich Deutschland wie Syrien vor dem Krieg vorstellen. Irgendwelcher größerer kultureller Differenzen seien sie sich nicht bewusst.

Dann ist irgendwie alles gesagt, was gesagt werden kann. Das Wort "Grenzschließung" bedrückt wieder die Runde. Aysha und Zainab schweigen entmutigt, bevor sie die Frage stellen, auf die es momentan keine Antwort gibt: "Was geschieht jetzt mit uns?". Es herrscht Stille. Nur Zainabs vierjährige Tochter spielt mit dem Fotoapparat und will lachend Fotos machen.

Ungewissheit

Auch der Übersetzer Abdulrahman Hij Hussein (24) schweigt. Er ist einer der ganz wenigen, der in Serbien bleiben möchte und gerade serbisches Asyl bekommen hat. Er arbeitet für das Zentrum für Integration von Jugendlichen, den lokalen Partner der internationalen Kinderrechtsorganisation Save the Children. Abdul ist wohl der einzige im Flüchtlingslager, der Grund zur Freude hat. Ihn bedrückt keine Ungewissheit.

Abdulrahman Hij Hussein (rechts) hält die Hand von der Tochter von Zainab Faksh. Die anderen sind Aysha und ihre drei Töchter.
Foto: Tatjana Ristic, Save the Children

Aus unendlichen Berichten von Flüchtlingen, die internationale Hilfsorganisation vor Ort sammeln, weiß man, dass das Flüchtlingslager in Preševo, verglichen mit anderen Flüchtlingscamps, geradezu ein Fünf-Sterne-Hotel ist. Es gibt kulturelle Veranstaltungen, Fußballturniere, Kinderspielplätze mit ausgebildeten Kinderbetreuern. Tatsächlich ist das Lager sauber, Kleidung und alles Notwendige werden in Hülle und Völle verteilt, es gibt warme Mahlzeiten, Familienunterkünfte.

Doch es ist und bleibt ein Lager, und niemand darf es mehr verlassen. Die rund 650 Menschen plagt die Ungewissheit. "Sie haben die Nachricht, dass sie nicht mehr weiterkommen, noch nicht verdaut. Wir werden versuchen, ihnen zu helfen, die Zeit totzuschlagen, ihnen das Warten zu erleichtern", sagt die Ärztin Lea Maskarel Maričić von ADRA (Adventist Development and Relief Agency).

Niemand kommt durch – zumindest legal

Serbiens Innenministerium teilte mit, dass seit Wochenbeginn kein einziger Flüchtling aus Mazedonien legal nach Serbien eingereist sei. Ministerpräsident Aleksandar Vučić erklärte, dass Serbien sicherlich "kein Parkplatz für Flüchtlinge" werde und dass ihr Schicksal in den Händen der EU liege. Und in der EU weiß man offensichtlich noch nicht, was man mit den Flüchtlingen tun soll, die auf der Balkanroute steckengeblieben sind. Auch nicht mit 437 Menschen, die sich seit fast einer Woche unter katastrophalen Bedingungen im Niemandsland zwischen Serbien und Mazedonien befinden. Sechzig von ihnen konnte man überzeugen, nach Mazedonien zu gehen, am Freitag harrten noch alle anderen aus und drohten mit Hungerstreik, aus Angst, dass die Rückkehr nach Mazedonien das Ende des europäischen Traums bedeutet.

Serbische Aufsichtsbeamte im Lager in Preševo sagen, dass sich jeden Tag einige Flüchtlinge auf eigene Faust auf den Weg machen, obwohl alle Hilfsorganisationen auf die Flüchtlinge einreden, sich zunächst einige Monate zu gedulden. Eine Gruppe von jungen Irakern und Syrien beteuerte, dass sie es so lange versuchen würden, bis sie einen Weg nach Deutschland finden.

Angst um Kinder

Im Flüchtlingslager in Preševo gibt es mehr als 200 Kinder, viele von ihnen sind ohne Begleitung von Erwachsenen. Europol berichtete neulich von mehr als 10.000 Flüchtlingskindern, von denen jede Spur verlorengegangen ist.

Im besten Interesse der Kinder sind Hilfsorganisationen wie Save the Children bemüht, vor allem auch Minderjährige ohne Aufsicht von Erwachsenen auf der ganzen Balkanroute zu betreuen. Dabei gibt fast ein jeder älterer Teenager falsches Geburtsdatum an, um als Volljähriger Durchreisepapiere zu bekommen. Dutzende gaben so in den vergangenen Wochen den 1. Jänner 1998 als Geburtsdatum an.

"Ein Drittel der Asylbewerber in Europa sind Kinder", sagt Nevena Milutinović, Bürochefin von Save the Children in Belgrad. Ihre Organisation sei sehr besorgt, wie sich die neuen Maßnahmen (Grenzschließung) auf Kinder und ihre Familien auswirken würden, vor allem befürchten sie, dass Kinder nach alternativen Wegen in die EU suchen und zur leichten Beute für Schlepperbanden werden.

Diese Befürchtung teilen auch serbische Behörden, trotz verschärfter Kontrollen an der Grenze zu Mazedonien. Das Staatsfernsehen berichtete am Freitag, dass die Polizei einen Schlepper mit sechs Flüchtlingen in Südserbien festgenommen habe. Die Prozedur über ihre Abschiebung ist völlig unklar. Man ist auf einen illegalen Andrang von Flüchtlingen aus Griechenland in den kommenden Wochen vorbereitet und erwartet, trotz verschärfter Grenzkontrollen, ein Aufblühen des Geschäfts für Schlepperbanden. (Andrej Ivanji aus Preševo, 12.3.2016)