Anja Plaschg ud Laurence Rupp in Ruth Beckermanns "Die Geträumten"

Foto: Beckermann

Szene aus Sigmund Steiners "Holz Erde Fleisch"

Foto: Diagonale

Graz – Bei einer Zeitung würde man von einem sanften Relaunch sprechen: Unter der Leitung von Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber – beide im besten Außenminister-Alter (Christoph Grissemann) – hat sich die Diagonale ein popaffineres Image zugelegt. Atmosphärisch und inhaltlich scheint das Festival nun stärker der Nachwuchsförderung zugetan, was man in diesem Jahrgang schon an einer besonders hohen Anzahl an Kurzfilmprogrammen ablesen konnte.

Freilich lebt ein nationales Festival von der Konfrontation unterschiedlicher Teile. Bei den Specials gäbe es noch Raum nachzuschärfen, zu präzisieren. Die Personale für Produzentin Gabriele Kranzelbinder korrespondierte zwar mit einem der zentralen Diskussionsfelder des Festivals, den Ungleichheiten in der Filmbranche hinsichtlich geschlechtergerechter Lohnverhältnisse und Fördermittelvergabe. Mit kleinem Wermutstropfen: Unter einem Mangel an Öffentlichkeit laborieren Kranzelbinders Produktionen nicht unbedingt.

Mehr Gelegenheiten der Verdichtung bot der Schwerpunkt Österreich: zum Vergessen, in dem Programme mehrerer Institutionen rund um die Geschichtsrevisionen der Waldheim-Zeit gebündelt wurden. Dieser wies auch einen kleinen Ruth-Beckermann-Schwerpunkt auf: Abgesehen von ihrem Reisefilm nach Osteuropa, Die papierene Brücke, gab die Filmemacherin in einem Work-in-Progress-Gespräch Einblick in ihr neuestes Projekt – einen Kompilationsfilm aus TV- und selbstgedrehten Bildern rund um die Affäre Waldheim.

Affekte der Liebe

Für ihre aktuelle Arbeit Die Geträumten wurde Beckermann dann am Samstagabend ausgezeichnet: für den besten Spielfilm, wohlgemerkt, handelt es sich doch um ihr erstes Projekt mit Schauspielern. Anja Plaschg und Laurence Rupp intonieren die Liebesbriefe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan (als Buch unter dem Titel Herzzeit erschienen) im Wiener Funkhaus; zwischen den Aufnahmen gleiten sie in ihre Alltagsrollen zurück, rauchen und plaudern, wobei die Affekte des Austauschs zwischen Dichterin und Dichter auf betörende Weise nachwirken und -hallen.

Es ist ein schöner Preis für einen Film, der keine geschlossene Welt baut, sondern den Möglichkeiten der Anverwandlung, der Wirkmächtigkeit eines hintergründig politischen Textes nachspürt.

Sigmund Steiners Holz Erde Fleisch wurde als bester Dokumentarfilm prämiert – auch dies eine stimmige Entscheidung. Das Porträt dreier Kleinbauern besticht durch seine Umsicht, Ruhe und Konzentration, mit denen es Schwierigkeiten zwischen Generationen erkundet, Traditionen weiterzugeben, anzunehmen.

Vater als Bankräuber

Auch Antoinette Zwirchmayr beschäftigt sich in ihrem Film Josef – Täterprofil meines Vaters, für den sie den Preis für innovatives Kino erhielt, mit einem Stück Familiengeschichte als "fait divers": Der Vater überfiel als junger Mann in einer Kurzschlussaktion eine Bank. Davon erfährt man allerdings nur in dem von Angelika Reitzer komprimierten Off-Kommentar. Die Bildebene schafft mit assoziativen Fragmenten einen Resonanzraum: Ein nackter Mann krümmt sich in Posen, Erinnerungsartefakte sind zu Stillleben arrangiert. Besonders intensiv gerät jene Passage, die den Überfall mit Perchtenmasken bebildert.

Etliche Arbeiten aus dem Kurzfilmbereich – von Patrick Vollraths Alles wird gut bis zu Filmen von Siegfried Fruhauf und Peter Tscherkassky – waren schon international erfolgreich. Doch es gab auch Neues zu entdecken wie Clemens von Wedemeyers Science-Fiction-Kurzfilm Esiod 2015, der zeitgenössische Wien-Bilder auf zwingende Weise für ein dystopisches Drama um die Kapitalisierung von Erinnerungen nutzt. Katrina Daschners Perlenmeere verbindet Aufnahmen von Unterwasserpflanzen mit Makroansichten nackter Haut – und schafft dabei einen schönen Dialog amorph-sinnlicher Texturen. Auf einer anderen Strecke fährt Arthur Summereders The French Road, Detroit MI: Er folgt den Reifenspuren illegaler Autorennen in einer ökonomisch maroden Stadt – ein Film von äußerster Reduktion, in dem man das Benzin förmlich zu riechen meint. (Dominik Kamalzadeh, 13.3.2016)