Kurz nach dem Tränengaseinsatz tauchte dieses Transparent auf.

Foto: Adelheid Wölfl

Es geht um kleine Kinder und Herbergssuche, das Überwinden von Wasser, als handle es sich um das Rote Meer, und es geht um das Gelobte Land. Die Berichterstattung über die Flüchtlinge auf der sogenannten Balkanroute nimmt seit Monaten Bezüge zu kraftvollen, zuweilen biblischen Geschichten auf. Das Bild des Babys in Idomeni erinnerte an Jesus, der in einem Stall, in einer Krippe schlafen musste.

Es löste jedenfalls starke Schutz- und Versorgungswünsche aus. Tatsächlich überlebt ein Baby nicht, wenn keiner auf seine Bedürfnisse eingeht. Das Baby in der Kälte und im Dreck von Idomeni multiplizierte so quasi die Geschichte der Herbergssuche. Das "Baby" als die symbolische Figur für Unschuld und Abhängigkeit spielt aber bereits seit Monaten eine Rolle.

Am 16. September, als Ungarn die Grenze schloss, bewarfen einige Migranten die ungarische Polizei mit Steinen und Gegenständen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Es gab Verletzte. Einige Flüchtlinge behaupteten, bei diesem Tränengaseinsatz sei ein Baby gestorben – was sich als falsch herausstellte. Als Ende Februar Flüchtlinge das Metalltor in Idomeni aushebelten und die Polizei wieder Tränengas einsetzte, gab es sofort wieder das Gerücht, ein Baby sei durch das Tränengas gestorben.

"They killer our Baby"

Innerhalb kurzer Zeit wurde ein Plakat auf dem Grenzzaun aufgehängt: "They killer our Baby", stand darauf. Das Absurde war: Viele Flüchtlinge in Idomeni hatten an diesem Tag von dem "Sturm der Grenze" gar nichts mitbekommen. Die Grenzorte auf der Fluchtroute sind Orte medialer Inszenierungen. Medienleute sind auch Akteure und nicht nur Beobachter. Zuweilen war das nicht zu vermeiden, weil man angesprochen wurde: Flüchtlinge wollten Essen oder Wasser, sie wollten wissen, wo der Bus ist oder wie viel das Taxi kostet. Es gab gerade am Anfang zu wenig Informationen und Helfer. Doch ähnlich wie Helfer wurden Journalisten auch zu Verbündeten. Manche Migranten sagen offen, dass ihnen Bilder von Menschen, die vor Tränengas flüchten, "helfen" würden.

Deswegen kann man vor Ort zuweilen nicht mehr beurteilen, ob manche Flüchtlinge nur deshalb so handeln, wie sie handeln, weil Kameras auf sie gerichtet sind und sie eine bestimmte Botschaft vermitteln wollen oder, ob sie auch ohne Journalisten so handeln würden. Jedenfalls verändern Medien die Dynamik. Hinzu kommt, dass insbesondere Idomeni in den vergangenen Wochen zum Ort der Selbstdarstellung von politischen Aktivisten wurde, die vor der Kulisse des Flüchtlingselends ihre Ideologien bewerben wollen.

Auch Flüchtlinge werden instrumentalisiert

Es ging diesen politischen Aktivisten vor allem darum, gegen die Schließung der Balkanroute zu protestieren oder zu "beweisen", dass man "mit Zäunen und Tränengas keine Flüchtlinge aufhalten" kann, weil das zu einer Art Credo geworden war. Der gefährliche Gang durch den Fluss diese Woche wurde auch von Aktivisten und Journalisten "begleitet".

Auch die Flüchtlinge werden also instrumentalisiert. Dabei suchen die meisten Schutz, sie wollen keine Konfrontation mit der Polizei, und sie wollen sich ganz sicher nicht unnötig in Gefahr bringen. (Adelheid Wölfl, 16.3.2016)