Flüchtlinge mit einem Schlauchboot auf dem Weg von der Türkei nach Lesbos. In Zukunft soll auf den griechischen Inseln – als Kooperation zwischen Ankara und Athen – das weitere Schicksal jedes Ankommenden innerhalb von 48 Stunden geklärt werden.

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Ein griechischer Regierungschef in Izmir, der erste in 95 Jahren, war schon harte Kost für manch wackeren Hellenen. Ein "türkischer Gendarm" auf den Inseln aber, mit Macht und Büro, ist nun definitiv zu viel: "In der schwierigsten Zeit seit 1974 regieren völlig inkompetente Leute Griechenland", polterte die wichtigste Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, dieser Tage. 1974 fiel die Junta, und Griechenland kehrte zur Demokratie zurück.

Nikos Toskas, der linke Minister für Zivilschutz, hatte der Öffentlichkeit erklärt, was vergangene Woche in Izmir zwischen der griechischen und türkischen Regierung unterzeichnet worden war. Unter anderem die Entsendung türkischer Staatsvertreter auf die Inseln in der Ostägäis, um die geplante Massenrücknahme von Flüchtlingen zu organisieren. Es ist ein wichtiges Detail, das zum Gelingen des großen Pakts zwischen der EU und der Türkei beitragen soll.

Geschichtliche Last

Rund 400 Jahre herrschten die Osmanen über den Großteil Griechenlands. Auf den Inseln der Ostägäis wie Lesbos oder Chios regierten sie am längsten mit eiserner Faust, vom Mittelalter bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Als Smyrna – das heutige Izmir – im türkischen Unabhängigkeitskrieg 1922 niedergebrannt wurde, rettete sich ein Teil der überlebenden Griechen auf die nächstgelegenen Inseln. 1,2 Millionen Griechen und knapp eine halbe Million Türken wurden am Ende zwangsumgesiedelt. Jetzt scheint der neue große Flüchtlingsstrom aus Nahost und Asien einen Teil der historischen Lasten zwischen beiden Ländern abzutragen.

Das bisher geltende Rücknahmeabkommen mit der Türkei aus dem Jahr 2001 habe nie wirklich funktioniert, erklärt ein Regierungsvertreter in Athen: "Es war eine Menge Bürokratie. Wir schickten eine Liste mit Namen von Migranten hinüber, die wir aus dem Land haben wollten. Zurück bekamen wir eine sehr viel kleinere Liste, die sie akzeptierten. Aber viele andere Namen hatten sie gar nicht erst angeschaut. Um all das zu vermeiden, braucht man jetzt eben ein gewisses Maß an Zusammenarbeit."

2014 nahm die Türkei ganze acht Migranten zurück, die illegal über die Grenze nach Griechenland gewechselt waren. Im vergangenen Jahr waren es immerhin 5148 Personen – freilich nur ein Bruchteil der 856.000 Flüchtlinge, die 2015 über die Ägäis kamen.

Reziprokes Verfahren

Die Absichtserklärung, die Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras und sein türkischer Kollege Ahmet Davutoglu vergangene Woche unterschrieben, ist noch nicht veröffentlicht worden. Umgesetzt werden soll sie auch erst nach dem EU-Türkei-Gipfel vom Freitag. Weil noch so vieles im Fluss ist, haben die Gerüchte über den "türkischen Gendarmen" auf den Inseln in Griechenland rasch um sich gegriffen. Es werde kein uniformierter Polizist sein, so heißt es aus griechischen Regierungskreisen, sondern ein Zivilbeamter aus der neuen türkischen Migrationsbehörde. Diese ist im Innenministerium angesiedelt. Die Entsendung von Beamten beruhe zudem auf Gegenseitigkeit: Athen wird auch Beamte in die Türkei schicken.

Die türkischen Vertreter werden ihren Schreibtisch in den sogenannten Hotspots auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros beziehen. Innerhalb von 48 Stunden soll dort dann jedes Flüchtlingsschicksal abgearbeitet werden, so ist zumindest die Vorstellung in Athen: Wer nicht sofort Asyl in Griechenland beantragt und dann auch dort bleiben muss, wird entweder als schutzbedürftiger Kriegsflüchtling oder als Wirtschaftsmigrant eingestuft; beide werden zurück in die Türkei gebracht. Aber auch die Asyloption wäre in Zukunft eingeschränkt. Denn die griechische Regierung hat bereits angekündigt, die Türkei zum sicheren Drittstaat zu erklären. Flüchtlinge hätten damit im Prinzip kein Argument mehr, aus der Türkei kommend im EU-Staat Griechenland um Asyl anzusuchen.

Menschenrechtler kritisieren das und weisen auf die politische Verfolgung in der Türkei hin. Die Idee mit der Rücknahme sei aber, die gefährliche Überfahrt über die Ägäis einfach "unattraktiv" zu machen und somit auch das Geschäft der Schlepper zu zerstören, erklärt Gerald Knaus, Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI), einer führenden Denkfabrik beim Thema Flüchtlingskrise. (Markus Bernath aus Athen, 19.3.2016)