I. Die Prateröffnung
Wo die Donau ihre unregulierten Verzweigungen wie Tentakel über das Wiener Becken streckte, lag einst eine Flussinsel namens Pratum. Das war freilich kein Begriff, der im Volksmund weit verbreitet war. Es ist die lateinische Bezeichnung für Wiese oder Weide, und das ist schon der konkrete Hinweis auf eine herrschaftliche Begriffsherkunft. Tatsächlich ist Pratum erstmals in einer Schenkungsurkunde von Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, aus dem Jahr 1162 schriftlich belegt: "Ab una parte per rivum, qui vocatur Sweckanth, ab alter parte per Danubivm usque ad villam que Manswerth appellatur." Das Allod Pratum war also eine Gegend zwischen "dem Fluss, der Schwechat genannt wird", und der Donau "bei dem Dorf, das Mannswörth genannt wird".
Im Deutschen wurde daraus Pratter oder Bratter, und es blieb auch nicht bei der Wiese. Der Name bezeichnete bald ebenso den nordwestlich angrenzenden Auwald Freudenau. Nachdem das Gebiet im Besitz mehrerer Klöster, Orden und Gemeinden war, ließ König Ferdinand I. 1537 eine breite Schneise durch diesen unberührten Forst schlagen und eine Kastanienallee anlegen. Sie führte in gerader Linie von den Toren der Favorita, einem höfischen Sommersitz am Ort des heutigen Palais Augarten, zu einem kleinen Jagdhäuschen im Wald.
23 Jahre später verfügte sein mittlerweile regierender Sohn Maximilian II., das Gebiet als ein dem Adel vorbehaltenes Jagdareal einzuzäunen. Der jagte Hasen, Wildschweine, Wölfe, Dachse und belustigte sich an "Fuchsprellen" und "Schnepfenpürsten".
Unter den Habsburgern wurde es zur Tradition, das allgemeine Betretungsverbot zu erneuern. 1592 setzte Rudolf II. in einer Klausel fest, dass der kaiserliche Forstknecht Hanns Bengel den Zutritt ausdrücklich gestatten durfte. Das tat Bengel selten. Der Überlieferung nach soll er sogar einen eindringenden Buben halbtot geschlagen haben. Manche Quellen behaupten, dass der Spottname Bengel von diesem Hanns stammt. Tatsächlich dürfte es auf "bang", den germanischen Wortstamm für "schlagen", und daraus abgeleitet "Prügel" zurückzuführen sein.
1641 wiederholte Ferdinand III. das Verbot, Übertreter sollten neben Geldbußen mit "gefängnus am Leib nach Ungnade gestraffet" werden. 1687 wurde dem Forstmeister Niklas Schlosser befohlen, keine "gemainen und gar handtwerchs Leut in den Pratter hineinfahren und gehen" zu lassen. "Niemandt alß waß Cavalliers und Dames, Kayl. Räth, Secretarien und waß von denen Vornemberen Hoff Cammer Beamten" durfte den Prater betreten.
Unter Maria Theresia wurde 1759 ein Erlass geregelt, wonach auch dem erlauchten Publikum nur das Betreten der Hauptallee erlaubt war, und nur ganz kleine Hündlein "solle den Damesen erlaubt seyn" mitzunehmen. Auch "Numero Wagen", also Fiaker, durften nicht einfahren. Erst Kaiser Joseph II. konnte sich am 7. April 1766 in einem Avertissement im "Wienerischen Diarium", dem Vorläufer der heutigen Wiener Zeitung, dazu durchringen, die allgemeine Öffnung des Praters zu verkünden:
Die Wiener nahmen das Angebot bereitwillig an. Bereits am 14. April richtete der Oberstjägermeister eine Anfrage an den Hof, ob auch der Verkauf von "Thee, Coffee, gefrohrnen" erlaubt sei. War er. In kürzester Zeit erhielten 66 "Wein-Würthe", 46 "Bier-Würthe", "allerhand Cofffee-Sieder, Lebzelter, Fleischselcher, Bradelpratter, Kaßstecher", ein "Limonihandler", eine "Krapfenbacherin", ein "Chocolattenmacher", ein Händler mit "Sallath und Räthig" und eine Reihe von Öbstlern Gewerbeberechtigungen für den Prater. Zwischen ihren Hütten und Zelten, die sogar bei der großen Wiener Häusernummerierung von 1770 berücksichtigt wurden, stellten sie im Auwald Tische für ihre Gäste auf.
Am 1. Mai 1766 wurde dem Sprachlehrer Johann Damen zudem genehmigt, "Hutschen nach niederländischer Art", ein Ringelspiel und eine "Machine per modum einer Schlittenfart" aufzustellen – unter der Bedingung, dass in der Nähe der Attraktionen nicht mit Böllern geschossen werde. Keinen Monat nach seiner Öffnung war der Prater bereits ein Vergnügungspark. Als "Wurstelprater" ist er es bis heute geblieben.
II. Von hans myst zum Wursteltheater
Mit der Wurst vom Fleischselcher hat der Name allerdings nichts zu tun. Er stammt indirekt von der Figur des Hanswurst, die auf den "hans myst" in Sebastian Brants "Narrenschiff" zurückgeht. Hanswurst, so erklärte Martin Luther 1541 in einer Streitschrift, wird gebraucht "wider die groben Tölpel, so klug sein wollen, doch ungereimt und ungeschickt zur Sachen reden und tun".
In den 1730er-Jahren sollte der mittlerweile zum festen Charakter gewordene Hanswurst von den Bühnen der deutschsprachigen Komödien verschwinden, weil man sich um deren Qualität sorgte. Bald wurde er wirklich in die Puppentheater verdrängt. Dort konnte er sich vor leuchtenden Kinderaugen aber vom Tölpel zum Helden rehabilitieren: Hanswurst wurde zum Kasperl, und Kasperlbühnen gab es schon in den Anfangstagen des Praters. Der "Wurschtl", den laut Wienerlied "kana daschlogn kaun", wurde zum Namenspatron des Vergnügungsparks.
Auch Wolfgang Amadé Mozart setzte dem Prater und dem Kasperl im September 1788 ein musikalisches Denkmal. Laut seinem Kanon "Gehn wir im Prater" dürfte es damals nicht immer ganz sauber gewesen sein.
III. Elemente bezwingen, Fantasie beflügeln
Die 1537 angelegte Kastanienallee, nun Hauptallee genannt, strukturierte das junge Naherholungsgebiet bereits. Adel und Großbürgertum frequentierten sie zu Fuß und zu Ross, Bürger, Handwerker und Militärangehörige tummelten sich im Wurstelprater. Bis 1775 hatte an Sonn- und Feiertagen vor zehn Uhr vormittags aber weiterhin niemand Zutritt zu dem Gelände; am Hof befürchtete man, dass das Volk den Prater dem Kirchgang vorziehe.
Ab 1781 wurde an dem einen Ende der Hauptallee statt des Jagdhäuschens das Lusthaus errichtet. Bis 1786 entstanden am anderen Ende drei Kaffeehäuser. Vom Praterstern ausgehend gezählt wurden sie der Einfachheit halber erstes, zweites und drittes Kaffeehaus genannt. In den Cafés vermischten sich die gesellschaftlichen Schichten, und anders als in der Innenstadt durften sich darin sogar Frauen aufhalten.
Die Schaulust der Wienerinnen und Wiener verlangte aber bald nach mehr als Kaffee und Ringelspiel. Schausteller und abenteuerlustige Unternehmer versuchten sie durch immer atemberaubendere Darbietungen zu stillen. So zeigten Johann Georg Stuwer und seine Nachkommen ab 1773 in der Venediger Au nördlich des Wurstelpraters über hundert Jahre hinweg mehrmals jährlich imposante Feuerwerke.
Penibel einer szenischen Dramaturgie folgend wurden zeitgenössische Ereignisse, mythologische Motive und literarische Stoffe in Feuerbildern erzählt. Auf einem 125 Meter langen und 50 Meter hohen Gerüst bahnten sich die Flammen ihren Weg zwischen nicht brennbaren Elementen und erhellten so die davorgespannten bunten Pergamentflächen. Oft bestaunten zehntausende Zuschauer die geselligen Veranstaltungen. Schon nach diesen ersten Jahrzehnten war der Prater weit über die Grenzen bekannt. Um den Zauber der Walpurgisnacht zu beschreiben, ließ Goethe den Mephisto 1808 im "Faust" rufen: "Hier ist's so lustig wie im Prater!"
Feuer war dabei nicht das einzige Element, das die Fantasten publikumswirksam zu beherrschen trachteten. Durch die Luft Fliegen, der alte Traum des Menschen, sollte ebenfalls von der Feuerwerkswiese aus in Erfüllung gehen. Im Sommer 1784 stiegen Johann Georg Stuwer und sein Sohn Kaspar mehrere Male in Fesselballons auf, ihnen folgten internationale Luftfahrtpioniere wie Jean-Pierre Blanchard und Jakob Degen. In den 1820er-Jahren fuhren auch Wilhelmine Reichard und Elise Garnerin vom Prater auf. Die Französin Garnerin war 1799 bereits im Alter von acht Jahren mit Fallschirm im Gepäck von einem Ballon in tausend Metern Höhe gesprungen, 1826 wiederholte sie das Kunststück in Wien.
Die beschleunigte technische und wissenschaftliche Entwicklung im Zeitalter der Industrialisierung bildete im Prater ab 1782 auch eine Camera obscura ab. Ihre Funktionsweise – die Reflexion eines realen Abbilds durch Linsen und Spiegel auf eine glatte Oberfläche in einem dunklen Raum – war Gelehrten zwar schon seit Jahrhunderten bekannt. Nun wurde sie aber zum Allgemeingut. Der schlesische Journalist Carl Eduard Rainold schreibt in den "Erinnerungen an merkwürdige Gegenstände und Begebenheiten" über seinen ersten Besuch:
Täuschung war auch das Prinzip des Panoramas. 1801 errichtete dessen irischer Erfinder Robert Barker das erste derartige Rundgemälde im deutschsprachigen Raum im Prater. Besucher gelangten durch einen finsteren Gang auf eine Plattform in der Mitte eines zylindrischen Holzgebäudes mit 39 Meter Durchmesser. An die Wände war perspektivisch korrekt ein topografischer Rundblick auf London gemalt. Die relativ große Distanz auf die Bilder bei düsterer Beleuchtung, Nebeleffekte und verschiedene bewegliche Teile verstärkten die Illusion, lebhaft in der englischen Hauptstadt zu stehen.
Angesichts dieser Vorarbeiten überrascht es kaum, dass auch die früheste Geschichte des Kinos in Wien in den Prater führt. Zwischen 1896 und 1927 eröffneten sieben Lichtspielhäuser im Prater, wobei sich die Filmpioniere über den Namen ihrer Attraktion anfangs noch nicht ganz im Klaren waren. Theresia Klein pries ihr Kino 1905 gleichermaßen als Kinematographen und Biophotophon an. Sie versprach "singende, sprechende, pfeifende und lebende Bilder".
Neben dem Technischen war es das Exotische, das Fremde und das Befremdliche, das die Leute in den Prater zog. In Zirkussen und Praterhütten wurden wilde und dressierte Tiere gezeigt. Jan van Dinter präsentierte 1829 seine Riesenschlangen, und Louis Casanova und Carl Orbán führten 1854 im Affen-Theater ihre "Produktion sämmtlicher vierfüßiger Künstler im Reiten, Voltigieren, Seiltanzen und gymnastischen Darstellungen" auf.
Doch nicht nur Tiere wurden vorgeführt. 1858 wurde die Mexikanerin Julia Pastrana, der wegen Hypertrichose auch an üblicherweise unbehaarten Stellen Haare wuchsen, im Circus Renz zur Schau gestellt. "Riesen", "Liliputaner", "siamesische Zwillinge" und andere "Wundermenschen" wurden ohne moralische Bedenken hergezeigt. 1875 brachte der Praterunternehmer August Schaaf den "Rumpfmenschen" Nikolai Kobelkoff, der in Russland mit Arm- und Beinstümpfen zur Welt gekommen war, nach Wien. Seine Auftritte als Kunstschütze und Entfesselungskünstler brachten ihm so viel Geld ein, dass er mit seiner ebenfalls aus einer Praterfamilie stammenden Frau Anna Wilfert, 1913 das Fahrgeschäft Toboggan errichten konnte. Das Paar hatte elf Kinder, und der Rutschturm Toboggan blieb bis in die 1970er-Jahre im Besitz der Kobelkoffs.
IV. Die Massen im Prater
Abseits der alltäglichen Kuriositäten war der Prater auch immer Schauplatz großer Fest- und Sportveranstaltungen. 1814 feierten die Teilnehmer des Wiener Kongresses ein großes Militärfest mit 18.000 Soldaten, die auf den Wiesen rund um das Lusthaus bewirtet wurden.
Bis 1847 fand jährlich am 1. Mai das Rennen der Laufer in der Hauptallee statt. Laufer war ein Lehrberuf mit der Aufgabe, die Straßen vor der Kutsche des adeligen Dienstgebers freizumachen. In der Nacht auch mit Fackel. An den Maifeiertagen zeigten nach dem Laufer-Rennen auch die Herrschaften selbst Präsenz. Mehrere hundert geschmückte Kutschen, im Jahr 1787 sogar 1.200 Stück, waren an der Hauptallee vor zehntausenden Schaulustigen aufgefädelt. Wenn die Gespanne am Abend heimfuhren, staute es sich oft vom Praterstern bis zum Stephansplatz.
Auch am 23. August 1848 herrschte reges Treiben im Prater. Die Stimmung war allerdings angespannt. Notstandsarbeiterinnen, die für Erdaushubarbeiten im Prater und in der Brigittenau angeheuert worden waren, um der Massenarbeitslosigkeit Einhalt zu gebieten, waren die Löhne drastisch gekürzt worden. Im Prater fanden sich rund tausend Menschen zu einer Demonstration zusammen. Der zeit seines Lebens kränkliche und als führungsschwach geltende Kaiser Ferdinand befürchtete offenbar Plünderungen und ließ die Nationalgarde die Proteste niederschlagen. Mit Feuerwaffen und Säbeln gingen die Soldaten gegen die Arbeiter vor. 22 Menschenleben kostete die Praterschlacht, hunderte wurden verletzt.
Es war nicht das erste Mal, dass Soldaten die Hoheit über den Prater übernahmen: Bereits 1619 hatten kaiserliche Truppen ein Heer des Grafen Thurn zurückgeschlagen, 1645 wurden Verhaue errichtet, um die einfallenden Schweden abzuwehren, 1683 schlägerten die osmanische Truppen hier Holz und Napoleon ließ 1809 Lager errichten und das Lusthaus besetzen.
Im Dezember 1848 jedenfalls dankte Ferdinand ab, und sein Neffe Franz Joseph übernahm den Thron. Nach der missglückten Revolution erachtete er die Gefahr weiterer Aufstände als gering und hatte keine Einwände, große Menschenmengen im Prater zu versammeln. Kaiserfeste gab es zu Franz Josephs Geburtstagsfeiern jährlich ab 1863, und bereits am 29. April 1854 besuchten rund 200.000 Gäste den Festakt anlässlich seiner Vermählung mit Elisabeth. Entlang der Hauptallee wurden 142 fast zehn Meter hohe Säulen mit Lustern installiert. Die Besucher belustigten sich bei musikalischen Aufführungen unter der Leitung der Strauß-Dynastie, aerostatischen und Fallschirmexperimente und natürlich dem großen Finale vor dem Zapfenstreich: einem Stuwer'schen Feuerwerk.
Auf der Wasserwiese wurde 1868, dem Jahr, in dem auch das Schweizerhaus eröffnete, das dritte deutsche Bundesschießen abgehalten. Nach Frankfurt und Bremen wurde Wien ausgewählt, obwohl der Deutsche Bund unter anderem wegen des Austritts Österreichs bereits zwei Jahre davor aufgehört hatte zu existieren. 3.400 Schützen aus fünf Nationen wechselten sich in einer riesigen Halle an 150 Schießständen ab. Zum Auftakt waren 150.000 Personen in einem Festmarsch von der Ringstraße zum Prater gezogen. Ab 1886 besetzte jährlich im Mai der Blumenkorso anlässlich des Frühlingsfests die Hauptallee; 1896 auch ein Radfahrerblumenkorso und 1925 ein Automobilblumenkorso.
V. Praterregulierung und Weltausstellung
Das Bundesschießen war eine der ersten Veranstaltungen, bei denen die Wiener und ihre Gäste geradewegs 4,4 Kilometer über die Hauptallee vom Praterstern zum Lusthaus promenieren konnten. Denn erst 1867 war ein Teil des Heustadlwassers, jenes Seitenarms der Donau, der den Prater durchflossen hatte, zugeschüttet worden. Anfang der 1870er-Jahre wurde die Donau zur Gänze begradigt, und nördlich des Praters entstand dadurch Bauland für das nach der Pyrotechnikerfamilie benannte Stuwerviertel – und für einen Bahnhof, der eigens für die größte Stadtmarketingaktion des Jahrhunderts errichtet wurde: die fünfte Weltausstellung 1873.
Der Prater wurde als Ausstellungsgelände gewählt, weil das Amüsement des Wurstel- und die Natürlichkeit des Grünen Praters es thematisch gut einfassten. Wegen des Zustands der Praterhütten und des uneinheitlichen Wegnetzes hielt es die Verwaltung aber für angebracht, das Areal unter der Ägide des Landschaftsarchitekten Lothar Abel komplett umzugestalten. 16 Hektar der 233 Hektar großen Ausstellungsfläche wurden neu bebaut. Das entsprach dem Zwölffachen der in London (1862) und dem Fünffachen der in Paris (1867) für die Weltausstellungen genutzten Flächen.
Die Weltausstellungskommission ordnete an, dass der Wurstelprater aus Imagegründen künftig Volksprater zu heißen habe. Abel ließ ihn mit allen Mitteln verschönern, Straßen asphaltieren, Bäume fällen, das Feuerwerksgerüst abreißen, Schaubuden schleifen und entlang eines neuen Leitsystems durch hübschere Häuschen ersetzen. Weltausstellungsdirektor Baron Schwarz habe "den Leuten, die sich nicht rasieren wollten, den halben Schnurrbart wegrasiert, die eine Hälfte des Kopfes glatt geschoren und sie gezwungen, endlich Hand an die Festtagstoilette zu legen. Jetzt erheben sich schon neue Praterhütten", schrieb das "Neue Wiener Tagblatt" 1872. Tatsächlich erhöhte sich die Zahl der Hütten von 82 auf 187.
Dem Prater werde so aber sein Charakter genommen, monierten viele. Die Feuerwerksallee hieß von nun an Ausstellungsstraße, und parallel zur Hauptallee wurden die eigentlichen Ausstellungsgebäude errichtet.
Eingerahmt von den Pavillons wurde mit Stahl, Holz und Gips das Wahrzeichen der Weltausstellung, die Rotunde, hochgezogen. Es war ein monumentaler Rundbau von 108 Metern Durchmesser, die weltweit größte Kuppel ihrer Zeit. Diesen Rekord übernahm die Rotunde vom Florentiner Dom Santa Maria del Fiore, der ihn mit 45 Metern Durchmesser für ganze 437 Jahre gehalten hatte. Gewaltig waren auch die Ausmaße des Industriepalasts mit einer Front von fast einem Kilometer Länge.
Rundherum zeigten 53.000 Aussteller aus 35 Ländern, erleuchtet von tausenden Gasglühlampen, Errungenschaften aus ihrer Heimat. Zwar sind sich Historiker einig, dass es dem Ruf Wiens als Weltstadt zuträglich war, bei der Ausstellung einen japanischen Garten, einen nordamerikanischen Wigwam, ein chinesisches Teehaus und einen schwedischen Jagdpavillon zu zeigen. Finanziell aber war die Messe ein Fiasko. Ausgaben von 19,1 Millionen Gulden, nach heutigem Wert über 200 Millionen Euro, standen Einnahmen von nur 4,3 Millionen Gulden gegenüber. Statt der erwarteten 20 Millionen Besucher kamen nur sieben Millionen Gäste.
VI. Venedig und das Riesenrad
Die Hofkämmerer hofften, die Verluste durch mannigfaltige Folgeveranstaltungen auszugleichen. 1883 wurde auf dem Gelände die Internationale Elektrische Ausstellung Wien abgehalten, 1895 eine Hundeausstellung, 1896 die Tiroler und Vorarlberger Ausstellung und 1904 die Internationale Ausstellung für Spiritusverwertung und Gärungsindustrie. Es gab eine Adria-Ausstellung, eine Musikausstellung, eine Hygieneausstellung. Selbst ein Beduinenlager beherbergte die Rotunde.
So war es in einer Zeit, in der Fernreisen für die meisten unerschwinglich waren, möglich, fremde Kulturen und Völker kennenzulernen. Oder wenigstens deren stereotype Abbilder in der Ära des Kolonialismus. "Buffalo Bill's Wild West" gastierte mit 200 "Indianern" 1890 erstmals im Prater, und 1896 wurden 70 Angehörige des "wilden" Volks der Aschanti aus dem heutigen Ghana nach Wien verschifft und im Tiergarten am Schüttel halbnackt ausgestellt.
Dass Reisen und doch Daheimbleiben beim Volk beliebt und also für Betriebe lukrativ war, erkannten auch der Unternehmer Gabor Steiner und der Architekt Oskar Marmorek. Sie ließen 1895 eine nach dem Vorbild Venedigs erbaute Erlebniswelt in jenem Dreieck anlegen, das die Hauptallee und die Ausstellungsstraße vom Praterstern aus beschrieben. Die Kanäle, auf denen echte venezianische Gondeln von echten venezianischen Gondolieri bewegt wurden, waren von von begehbaren Häusern begrenzt und von authentischen Brücken überspannt. "Venedig in Wien", wie die bauliche Impression der Lagunenstadt naheliegenderweise genannt wurde, zog als einer der ersten Themenparks der Welt bis zu 20.000 Besucher täglich an.
Steiner investierte die Einnahmen geradewegs. Er ließ den englischen Ingenieur Walter Basset Basset 1897 im Randbereich des Parks, auf der Kaiserwiese, ein Riesenrad errichten. Es zählte mit 61 Metern Durchmessern zu den größten der Welt, war aber trotzdem nur als temporäre Attraktion gedacht. Während "Venedig in Wien", das laut "Wiener Bauindustrie-Zeitung" "erfreulicher Weise nicht, kaum dass man es lieben und schätzen gelernt, wieder verloren gehe, sondern dem eine längere Dauer beschieden sein soll", nach nur fünf Jahren zusperrte, steht das Riesenrad als Wiener Wahrzeichen bis heute.
VII. Die neue Körperlichkeit
Obwohl erst in den 1870er-Jahren runderneuert, geriet der Prater mit seinen Fahrgeschäften zur Jahrhundertwende unter Zugzwang. Vor allem in den USA wurden waghalsige Achterbahnen eingeführt, also bemühte man sich auch in Wien um neue Publikumsmagnete. Der erste Watschenmann, ein schlichter Kraftmesser, wurde 1890 aufgestellt. Im Jahr 1922 nahm eine Automatenhalle ihren Betrieb auf, 1926 das erste Autodrom, 1928 die Liliputbahn, 1930 das Planetarium, und 1933 feierte die Geisterbahn Weltpremiere in Wien.
Während in der Frühzeit des Praters Attraktionen wie Camera Obscura, Panorama und Feuerwerke den Sehsinn und die Fantasie beflügelten, stieg im beginnenden 20. Jahrhundert also die Popularität von Geräten und Fahrgeschäften, die die körperliche Wahrnehmung stimulierten.
Und so zogen die ausladenden Gelände im Prater auch immer mehr Sportbegeisterte an. Am 18. Dezember 1898 organisierte Mark Douglas Nicholson, der englische Wegbereiter des Fußballs in Österreich, das erste inoffizielle Länderspiel zwischen englischen Gastarbeitern und Wienern im Prater. Die Österreicher, die vor 2.500 Zuschauern 1:4 unterlagen, liefen in weißen Leibchen und schwarzen Hosen auf. Diese Kombination trugen die Spieler des Nationalteams fast hundert Jahre lang als Heim- und nach Hans Krankls Intervention 2002 als Auswärtsdress.
1899 eröffnete der noch immer in seiner Urform bestehende WAC-Platz neben der Jesuitenwiese, damals als "der größte Sportplatz des Continents" beschrieben. Trotz der Beliebtheit des neuen Sports wurde das Fußballspielen im Prater 1900 behördlich verboten. 15 Jahre später – das Kicken hatte seinen schlechten Ruf überwunden – entbrannte in Wien eine langwierige Debatte um den Bau eines Zentralstadions. Der Standort Bienenhüttenwiese neben dem früheren Ausstellungsgelände stach Schönnbrunn, Augarten, Cobenzl und Hohe Warte aus. Der erste Spatenstich ließ bis 1929 auf sich warten, zur II. Arbeiterolympiade am 11. Juli 1931 wurde das 60.000 Zuschauer fassende Praterstadion eröffnet.
Architekt Otto Ernst Schweizer entwarf einen Sportkomplex, zu dem auch Tennisplätze und das Stadionbad auf einem danebenliegenden Waldstück namens Rondeaumais gehörte. Bis heute verfügt es über die größte künstliche Wasserfläche Österreichs.
Bereits 1878 hatte der vier Jahre zuvor gegründete Wiener Trabrenn-Verein den Bau der Trabrennbahn Krieau in direkter Nachbarschaft der Rotunde durchgesetzt. Wo noch wenige Jahre davor die Pavillons der Aussteller von der Welt erzählt hatten, dominierten nun die österreichischen und ungarischen Traber den Pferdesport.
Der Breitensport hat den Prater nicht wieder losgelassen. Die Hauptallee ist noch heute eine der beliebtesten Laufstrecken der Wiener, und auch der Marathon als Höhepunkt jeder Saison führt vom Praterstern zum Lusthaus und retour. Selbst in Österreich als Nischenphänomene geltende Sportarten wie Lacrosse, Ultimate Frisbee, Hockey und Baseball haben heute im Prater ihre Heimstätte, während andere, wie das vor über hundert Jahren ausgeübte Cricket, wieder gänzlich verschwunden sind. Nur der Cricketer-Platz an der Meiereistraße erinnert noch an den weniger erfolgreichen Versuch, den Wiener eine englische Sportart schmackhaft zu machen.
VIII. Zerstörung und Wiederaufbau
Auch wenn die vielen neuen Zeitvertreibe eine Aufbruchsstimmung vermuten lassen, standen dem Prater dunkle Jahre bevor. Der Erste Weltkrieg ging noch relativ glimpflich an ihm vorüber. Schäden blieben aus, nur für Kriegspropaganda musste er herhalten. Bei der großen Kriegsausstellung von 1916 wurde geplünderte Beute aus den verfeindeten Nationen gezeigt, und wer nicht selbst in die Schlacht ziehen musste, konnte sie bis zur Harmlosigkeit verwässert in einem "Spielplatz" aus Schützengräben nachempfinden. 1918, die Entbehrungen im Land waren noch gewachsen, zeigte eine Ersatzmittelschau, wie man etwa durch Brennnesseln satt wird und aus Hundehaaren Kinderkleidung herstellt.
Zum Raub der Flammen, noch ohne kriegerische Motive, wurde 1937 die Rotunde. Am 17. September breitete sich aus unbekannt gebliebener Ursache ab 12.36 Uhr das Feuer von einer Kuppelsäule aus, keine Stunde später war das Runddach eingestürzt. Die Löschzüge waren noch am Folgetag beschäftigt, und erst am 22. September konnte mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. In der "Wiener Zeitung" war am Tag nach dem Brand zu lesen:
Im Jahr darauf kam das nationalsozialistische Regime durch den "Anschluss" auch in Österreich an die Macht, und ein Drittel aller Betriebe im Prater wurde "arisiert". Zwar gingen die Wiener auch in den Kriegstagen in Massen in den Prater, die Fahrgeschäfte konnten sich viele aber nicht mehr leisten. Die Freizeitaktivität der meisten erschöpfte sich im Spazierengehen.
Im April 1945 tobte die "Schlacht um Wien". Die Soldaten der deutschen 6. Panzerdivision und sowjetische Truppen des XX. Garde-Schützenkorps trafen in den Au- und Waldgebieten des Praters aufeinander, die Luftangriffe der Sowjets trafen auch den Wurstelprater verheerend. Danach ragte das Riesenrad als verkohltes Gerippe aus einem Meer von Schutt. 353 Bombentrichter wurden gezählt. Hans Schaffelhofer schrieb in der "Steffel-Post":
Bis 1953 dauerte der Wiederaufbau, in diesem Jahr wurde auch das "arisierte" Riesenrad an die Nachkommen Eduard Steiners, des 1944 in Auschwitz ermordeten letzten rechtmäßigen Besitzers, restituiert. Neue Schaubuden und Attraktionen veränderten das Gesicht des Wurstelpraters, weit tiefer gingen aber die Eingriffe in die Infrastruktur des Naherholungsgebiets. Gewässer wurden trockengelegt, und seit 1970 durchschneidet mit der Südosttangente die meistbefahrene Autobahn des Landes Wiens grüne Lunge. Am Ausstellungsgelände wurden die neue Messe, die Wirtschaftsuniversität und das Büroareal Viertel Zwei und an den Rändern des Praters das Freudenauer Kraftwerk, die Trasse der U2 und 2008 ein 32 Millionen Euro teurer Eingangsbereich zum Wurstelprater errichtet, der bei den Bewohnern nicht weniger umstritten war als die 1982 hierher verlegte Mikronation "Kugelmugel" bei den Behörden.
IX. Am Ende bleibt keiner verschont
Lange Jahre stand der Prater im zwielichtigen Ruf, Taschlzieher und Kleinkriminelle anzulocken. Oder richtige Verbrecher, wie den "ringlgschbüübsizza", der laut H.C. Artmann "scho sim weiwa daschlong" hat. Die Spielsüchtigen trieb es in halbseidene "Casinos". Wer über Prostitution in Wien sprach, meinte allzu oft nur den "Praterstrich".
Trotz aller Verwerfungen und des nicht immer besten Images ist aber vor allem der Wurstelprater auch nach 250 Jahren ein Ort der Magie, für den die Millionenstadt nur mehr als Umfassung dient, sobald man ihn betritt. Der Geruch von Zuckerwatte, Langosch und gebrannten Mandeln, die tanzenden Lichter der Fahrgeschäfte und ihr fiepsender Soundtrack geben den Besuchern ein zeitloses Gefühl der Kindlichkeit.
Oder, wie es Matti Bunzl, der Direktor des Wien-Museums, im Katalogvorwort zur soeben eröffneten Ausstellung "In den Prater!" beschreibt: "In bestimmten Momenten sind die normalen Regeln der Gesellschaft ausgesetzt. [Der Prater] ist Teil der Stadt und doch in (fast) jeder Hinsicht außerhalb ihrer sozialen Beschränkungen. Er ist Teil unserer Zeit und doch immer versucht, die Gegenwart zu überwinden."
Und damit nähern wir uns mit Felix Salten, dem Autor des Kinderbuchs "Bambi" und mutmaßlich auch des Erotikromans "Josefine Mutzenbacher: Meine 365 Liebhaber", dem Abschluss dieser kleinen Prater-Geschichte. 1911 schrieb er über einen zu Ende gehenden Tag in seinem "Wurstelprater":
Genau hundert Jahre später schrieben Nino Mandl und Natalie Ofenböck alias Krixi, Kraxi und die Kroxn in ihrem neuen Wienerlied "Hallo" eine Quasi-Hommage an den Prater: "Hallo, ich glaube, du wirst was versäumen / Der Prater hat alles, von dem alle träumen / Achterbahn, Autofahren, Autodrom, Praterdome / Jeder wird glücklich, keiner bleibt verschont." (Michael Matzenberger, 7.4.2016)