Abu Zubayr al-Faransi, "der Franzose" (IS-Propagandavideo), soll bei einem Selbstmordanschlag am Montag in Anbar dabeigewesen sein.

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Bagdad/Wien – Dass der "Islamische Staat" (IS) seinen Krieg internationalisiert, ist durch die Anschläge in europäischen Städten mittlerweile Gewissheit: IS-Experten wie Jacob Zen von der Jamestown Foundation, zitiert von "Al-Monitor", wissen zu berichten, dass es darüber einen Richtungsstreit in der Führung gab. Die den Internationalisierern entgegengesetzte Fraktion meint, man müsse die Kräfte darauf konzentrieren, die Gebiete im Irak und in Syrien abzusichern.

Wie steht Daesh (das im Ton abwertende arabische Akronym für "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien") heute wirklich da? Etwa ein Fünftel der Anfang 2015 im Irak und Syrien gehaltenen Territorien hat der IS tatsächlich wieder verloren; die Angaben weichen je nach Quelle voneinander ab, oft sind die Verhältnisse auch nicht klar. An mehreren Stellen ist der IS militärisch unter Druck – aber an seine Substanz geht es noch lange nicht. Noch immer leben etwa sechs Millionen Menschen auf IS-Territorium.

Rund um das antike Palmyra in Syrien, das seit Mai 2015 unter Kontrolle des IS ist, wird gekämpft, mithilfe der russischen Luftwaffe ist dort die syrische Regimearmee langsam im Vormarsch. Es geht dabei nicht nur um Palmyra, sondern auch um das strategisch wichtige Hinterland in Richtung des (ebenfalls vom IS gehaltenen) Deir ez-Zor sowie der irakischen Grenze. Von der anderen Seite wird der IS im Norden von den kurdisch geführten "Syrischen Demokratischen Kräften" bekämpft, die im Februar die Stadt al-Shadadi eingenommen haben.

Anders schaut es im Süden an der jordanischen Grenze bei Daraa aus: Da haben dem IS zugerechnete Rebellengruppen der Nusra-Front, die zu Al-Kaida gehört, soeben zwei Dörfer abgenommen.

Rückzug bei Ramadi

Im Irak hat sich der IS in den vergangenen Tagen aus dem Gebiet um die Stadt Hit, nordwestlich vom zu Jahresbeginn befreiten, aber dabei weitgehend zerstörten Ramadi, zurückgezogen. Dort ist die irakische Armee auf dem Vormarsch. Im Norden liegt die Hauptlast weiter auf den Schultern der kurdischen Peschmerga, wobei der Tod eines US-Marines in einem US-Stützpunkt bei Makhmur im Süden der irakisch-kurdischen Hauptstadt Erbil vor wenigen Tagen die Spekulationen darüber eingeheizt hat, wie viele US-Soldaten bereits direkt am Boden sind.

Der Marine starb bei einem Raketenangriff – Daesh scheint vermehrt der direkten Konfrontation auszuweichen. Auch im Irak gehören Anschläge zum Repertoire. Am Montag wurden mehrere irakische Soldaten bei einem Selbstmordattentat auf einen Checkpoint getötet; einer der Täter soll ein Franzose, Abu Zubayr al-Faransi (Bild), gewesen sein.

Die große Frage bleibt, ob der IS noch 2016 in seinen beiden "Hauptstädten" im Irak und Syrien, Mossul und Raqqa angegriffen werden wird. Die irakische Regierung von Haidar al-Abadi hatte das bereits für das Vorjahr angekündigt. Aber abgesehen von der militärischen Machbarkeit stellt sich die Frage, welches politische Angebot Bagdad für die arabischen Sunniten hat, deren Entfremdung vom Staat den IS-Vormarsch erst möglich gemacht hat.

Abadi ist politisch angeschlagen: Die Staatsfinanzen sind wegen des Kriegs und wegen des niedrigen Ölpreises ausgetrocknet; seine Reformagenda, zu der auch eine Regierungsumbildung gehört, stockt. Bei Massendemonstrationen und Sit-ins der Schiitengruppierung von Muktada al-Sadr seit dem Wochenende in Bagdad wird zwar genau das gefordert, was Abadi machen will – in dieser Konstellation tragen sie jedoch zu seiner Schwächung bei.

"Daesh" im Wandel

In Irak und in Syrien mag der IS den Zenit überschritten haben, aber andernorts setzt er sich fest oder konsolidiert sich gerade – Libyen, Afghanistan, Sinai, Subsahara. Daesh wird sich dabei mit Gewissheit wandeln: Die Führungsrolle der irakischen Gruppe rund um den "Kalifen" Abu Bakr al-Bagdadi – vielleicht nicht er selbst – könnte infrage gestellt werden, wenn der Irak nicht mehr das Zentrum ist. Es wird Richtungskämpfe geben, nicht nur strategisch-taktische und ideologische, sondern auch ethnische.

Und genauso, wie der IS nach Al-Kaida kam, wird die Geschichte des islamistischen Extremismus auch nach einem militärischen Sieg über den IS noch nicht vorbei sein. Und der Terrorismus wird, hoffentlich interpretierbar als Symptom des IS-Niedergangs, Europa noch länger begleiten. (Gudrun Harrer, 23.3.2016)