Stumpfe Säbel über den Kopf schwingend, gekleidet in edler Volkstracht, tanzen die Männer der indigenen Volksgruppe der Khasi zu der Musik der Tangmuri. Die Klangfarbe des Doppelrohrblasinstruments erinnert an eine Klarinette, die Melodien an Jazz. Dazu werden die Kesseltrommeln gespielt, regelmäßig wird mit Gewehren in die Luft geschossen. Die Ziegenböcke spazieren trotzdem ruhig, wie von der Musik hypnotisiert, mit dem Umzug tausender Menschen einen Hügel hinauf – zu ihrer Opferung. In Smit im nordostindischen Bundesstaat Meghalaya wird Erntedank gefeiert.

Das Dorf ist das Zentrum der Khasi. Das indigene Volk hat mehr als 1,1 Millionen Angehörige, hauptsächlich in Meghalaya. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und bedeutet "Heimat der Wolken". Die Region ist sehr regenreich und von üppigem Grün und dichten Wäldern geprägt.

Die Khasi folgen einer animistischen Naturreligion mit männlichen und weiblichen Gottheiten, mit guten und bösen Naturgeistern. Die sollen nun durch die Tieropfer für das kommende Jahr milde gestimmt werden. Es gibt aber weder religiöse Bauten noch Idole, geschlachtet wird im Freien. Denn das Göttliche manifestiert sich in der Natur. Vor allem Wälder sind heilig. Bäume dürfen nur gefällt werden, wenn sie alleine stehen. Es ist verpönt, auch nur ein Blatt zu pflücken oder ein Objekt, so klein wie eine Samenkapsel, aus dem Wald mitzunehmen. Selbst ein achtlos eingesteckter Stein kann zu großem Unglück für die ganze Familie führen. Die bösen Geister folgen den "Dieben" aus dem Wald heraus, heißt es.

Das Erntedankfest in Smit wird mit Tieropferungen, Musik und Festmahlen gefeiert. Es ist die einzige Gelegenheit im Jahr, zu der sich alle Stämme treffen können.
Foto: Julia Schilly

Umweltschutz mit Poesie

John Starfields lebt im Dorf Mabhlang auf den Khasi-Hügeln, zu denen auch heilige Wälder gehören. Der junge Mann verdient sich als Fremdenführer etwas dazu. Die unberührte Natur zieht jedes Jahr viele Touristen aus der ganzen Welt an. Im Wald nahe seinem zu Hause gibt es neben 400 Baumarten auch Stachelschweine, Wildkatzen oder Füchse. Auch die Asche der Toten wird hier unter speziell angeordneten Steinen begraben. "Wer etwas mitnimmt, den verfolgen die bösen Geister", ist auch er überzeugt.

"Unsere Ahnen waren doch klug. Sie haben diese Geschichten erzählt, um die Wälder zu beschützen. Umweltschutz mit poetischem Fundament, das ist gelungen", sagt Wanphai Nongrum und lacht. Der 42-jährige Sozialarbeiter ist selbst Khasi und träumt davon, die alten Erzählungen in einem Buch zu sammeln. Denn das Wissen darum stirbt aus. Während der Kolonialzeit wurde intensiv missioniert, weshalb sich heute die meisten Khasi auch zum Christentum bekennen – die alten Riten gehen zunehmend verloren. Darin geht es auch oft um Naturphänomene, Pflanzen und Tiere und deren Erhalt und Verehrung.

Die "Living Root Bridges" sind typisch für Meghalaya im Nordosten Indiens. Aus Luftwurzeln bauen die Khasi wachsende Brücken.
Foto: AFP/Biju BORO

Die Beziehung der Khasi zur Natur ist besonders, aber nicht einzigartig: Indigene Völker spielen beim Schutz von Wäldern weltweit eine Schlüsselrolle. Das bestätigte eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2011. In der Studie wurden Entwaldungsraten anhand von Satellitenaufnahmen von Waldbränden analysiert. In indigenen Gebieten ging die Rate der Brände demnach zwischen 2000 bis 2008 verhältnismäßig stark zurück.

Dennoch kommt es immer wieder vor, dass die Menschen aus ihrem Land vertrieben werden. 80 Prozent der weltweiten Naturschutzgebiete liegen auf dem traditionellen Land indigener Gemeinden. Weltweit gibt es aus diesem Grund Millionen von Indigenen, die zu "Naturschutzflüchtlingen" geworden sind.

Doch nicht nur in der Natur läuft bei den Khasi einiges anders. In Shillong, der etwa 17 Kilometer nördlich von Smit gelegenen Hauptstadt von Meghalaya, sieht man das schon am Straßenbild. Die Frauen tragen selbstbewusst kurze Röcke und hohe Schuhe. Khasi bedeutet "von einer Frau geboren": Die Menschen leben in einer matrilinearen Gesellschaftsform. Das bedeutet, dass sich die Erbfolge nach der Mütterlinie richtet – die jüngste Tochter erbt das Vermögen und wird Oberhaupt. Das ist in der Verfassung des Bundesstaates verankert. Nach der Heirat zieht der Ehemann zur Ehefrau. Alle Kinder tragen den Namen der Mutter. Während der britischen Kolonialzeit versuchten zwar Beamte die Autorität der Frauen zu schwächen, doch sie scheiterten. "Manchmal, wenn ich das anderen Männern in Indien schildere, lachen sie. Aber wir Khasi-Männer sind stolz auf unsere Tradition", sagt Nongrum.

Die Natur gilt den Khasi als heilig, die Wälder werden verehrt.
Foto: Julia Schilly

Starke Frauen, wenig Macht

Doch die "khaddu", die jüngste Tochter, übernimmt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Sie ist für die Versorgung der Eltern verantwortlich. Das Erbe sichert also keinesfalls die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Chance auf Selbstentfaltung.

"Die matrilineare Gesellschaft ist auch Wurzel vieler Probleme", sagt Shannon Dona Massar, eine Mitgründerin der Faith Foundation. Die Jugendorganisation agiert sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Die Situation in Shillong verdeutlicht Massar in einem Slum. Wie so oft regnet es im ewig bewölkten Meghalaya in Strömen. Die aus Wellblech und Holzlatten gezimmerte Siedlung kann nur durch einen schmalen Aufgang über provisorisch befestigte Holzstiegen erreicht werden, an denen an diesem Tag eine übelriechende Brühe hinabfließt. Das ist die andere Lebensrealität der Khasi, fernab der üppigen grünen Wälder auf dem Land.

Junge Frauen sind hier einem besonderen Risiko in Bezug auf sexuelle Gewalt und Zwangsheirat ausgesetzt. In einem Versammlungsraum im Slum sitzen Kinder. Bianca ist 15 und weiß genau, was sie nicht will: "Heiraten und Kinder bekommen." Die anderen Mädchen um sie herum nicken. (Julia Schilly aus Smit, 29.3.2016)