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Der Verdächtige Faycal Cheffou ist den belgischen Behörden nach dem Hinweis eines Taxifahrers bereits in der Nacht auf Freitag ins Netz gegangen.

Foto: REUTERS/Belgian Federal Police

Am Freitag gingen die Razzien in Belgien, Frankreich und Deutschland weiter. Fast ein Dutzend Terrorverdächtige wurden festgenommen.

Foto: APA/AFP/dpa/MARIUS BECKER

Brüssel/Athen – Der dritte Attentäter vom Brüsseler Flughafen soll nach einem Zeitungsbericht gefasst und identifiziert worden sein. Die Zeitung "Le Soir" berichtete am Samstag unter Berufung auf gute Quellen, der in der Nacht zum Freitag festgenommene Faycal C. sei von dem Taxifahrer identifiziert worden, der das Terrorkommando zum Flughafen gebracht habe.

Seit dem Bombenanschlag am Brüsseler Flughafen am Dienstag mit mindestens elf Toten war fieberhaft nach dem Mann gesucht worden. Auf dem Bild der Überwachungskamera ist er in der Flughafenhalle rechts von den beiden Selbstmordattentätern Najim Laachraoui (24) und Ibrahim El Bakraoui (29) mit weißer Jacke und schwarzem Hut zu sehen.

Nach der Festnahme von Faycal C. hatte es bereits am Freitag Spekulationen gegeben, wonach es sich bei ihm um den Gesuchten handeln könnte. Die Staatsanwaltschaft hatte am Freitag die Festnahme von C. bestätigt, aber keine Angaben zu Verbindungen zu den Flughafenattentätern gemacht. Mittlerweile wurde er und ein zweiter gefasster Verdächtiger von der Bundesanwaltschaft offiziell der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten beschuldigt.

In Brüssel wird nun eine Klarstellung der Staatsanwaltschaft erwartet, ob es sich bei dem Mann um den tagelang gesuchten dritten Attentäter vom Flughafen handelt. Wie der Sender RTBF berichtete, wird noch auf das Ergebnis einer DNA-Analyse gewartet.

Fahndung nach Helfern

Die Sicherheitsbehörden fahnden indessen weiter nach mehreren mutmaßlichen Terrorhelfern. Nach Informationen der "Welt am Sonntag" sollen sich mindestens acht Verdächtige in Syrien aufhalten oder in Europa auf der Flucht sein. Die meisten davon seien Franzosen und Belgier, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die Gesuchten sollen zu den Kontaktpersonen des mutmaßlichen Drahtziehers der Pariser Anschläge, Abdelhamid Abaaoud, und des in Belgien gefassten Terrorhelfers Salah Abdeslam, zählen.

Nach Ermittlungsergebnissen aus Frankreich und Belgien soll der mutmaßliche Kopf der europäischen IS-Terrorzellen der Algerier Mohamed Belkaid gewesen sein, der bei einem Polizeieinsatz in Belgien erschossen wurde. Er soll gemeinsam mit Najim Laachraoui, einem Bombenbauer und späteren Brüssel-Attentäter, die Terrorkommandos bei den Pariser Attentaten von Belgien aus per Telefon angeleitet und koordiniert haben, wie das Sonntagsblatt weiter berichtete.

Festnahme in Italien

Italiens Polizei hat einen in Belgien gesuchten Algerier mit mutmaßlichen Verbindungen zu den Verantwortlichen der Terroranschläge von Brüssel und Paris festgenommen. Der Mann gehöre zu einer Bande von Passfälschern, die mit den Attentätern in Verbindung gestanden habe, teilte die italienische Polizei am Samstag auf Twitter mit.

Der mit europäischem Haftbefehl gesuchte 40-jähriger Algerier sei auf Betreiben der belgischen Justiz am Samstag in der süditalienischen Region Salerno festgenommen worden, berichteten italienische Medien unter Berufung auf die Polizei. Er sei im Zusammenhang mit gefälschten Papieren gesucht worden, die von Selbstmordattentätern in Paris und Brüssel verwendet worden seien. Der Mann sei bei einem gemeinsamen Einsatz von Antiterroreinheiten und einem Sondereinsatzkommando aus Rom in der Stadt Bellizzi gefasst worden. Er soll in den kommenden Tagen an Belgien ausgeliefert werden.

Weiter berichteten italienische Medien, der Algerier sei ins Visier der Sicherheitsbehörden des Landes geraten, als seine Aufenthaltsgenehmigung geprüft worden sei. Demnach war nach einem Mann seines Namens bereits seit Anfang Jänner gesucht worden.

Bei einer Razzia in einer Fälscherwerkstatt seien hunderte Digitalfotos gefunden worden, hieß es weiter. Darunter waren Aufnahmen von drei Männern, welche die Attentate von Paris am 13. November geplant hatten. Auch ein Foto des Brüsseler Attentäters Najim Laachraoui wurde entdeckt.

Anschlagpläne in Athener Wohnungen entdeckt

Unterdessen hat sich herausgestellt, dass die belgischen Behörden bereits seit einem Jahr Informationen über mögliche Anschlagspläne auf den Brüsseler Flughafen hatten: Die griechische Polizei soll vergangenes Jahr in zwei Wohnungen in Athen Pläne entdeckt haben, die auf einen Terroranschlag auf den Flughafen hindeuteten. Bereits damals seien die belgischen Behörden informiert worden, berichtete der Athener Nachrichtensender Skai am Samstag unter Berufung auf die griechische Polizei.

Unter anderem sei eine Karte des Flughafens von Brüssel gefunden worden. Dem Bericht zufolge wurden die Unterlagen in Wohnungen von Abdelhamid Abaaoud entdeckt, der als mutmaßlicher Drahtzieher der November-Anschläge von Paris gilt. Eine offizielle Erklärung der Polizei dazu gab es zunächst nicht.

EU-Experte warnt vor Angriffen auf Atomanlagen

Der Anti-Terror-Beauftragte der Europäischen Union, Gilles de Kerchove, hat vor einem Angriff auf belgische Atomanlagen gewarnt. "Ich wäre nicht überrascht, wenn in den nächsten fünf Jahren das Internet genutzt würde, um einen Angriff zu verüben", sagte de Kerchove der belgischen Zeitung "La Libre Belgique" vom Samstag.

Durch einen Hacker-Angriff könnten Attentäter laut dem EU-Koordinator die Kontrolle über die Schaltzentrale eines Atomkraftwerks übernehmen. Auch sei ein Angriff auf ein Kontrollzentrum für den Flugverkehr oder eine Schaltanlage für den Schienenverkehr denkbar. Die Cyber-Abwehr des belgischen Verteidigungsministeriums schätzte de Kerchove als "recht gut" ein. Zwar seien die USA, Großbritannien und Frankreich besser aufgestellt. "Aber ich denke, im Falle eines Angriffs ist unser Verteidigungsministerium recht gut", sagte der Belgier.

De Kerchove äußerte sich inmitten der Sorge um die Sicherheit der belgischen Atomanlagen Tihange und Doel. Nachdem bereits eine Reihe von Pannen Zweifel an der Sicherheit ausgelöst hatten, wuchs die Sorge nach den Anschlägen von Brüssel am Dienstag weiter. Die belgische Zeitung "La Derniere Heure" (DH) hatte am Donnerstag berichtet, die Selbstmordattentäter vom Flughafen und der U-Bahn-Station in Brüssel hätten ursprünglich einen Anschlag auf eine Atomeinrichtung geplant. Wegen der Festnahme von mutmaßlichen Komplizen seien sie jedoch unter Zeitdruck geraten und hätten sich auf die Ziele in Brüssel konzentriert.

Kein Terrorhintergrund bei Tod von Wachmann

Unterdessen haben sich Berichte ebenfalls von DH, wonach ein Wachmann eines Atomkraftwerks in der Gegend des südbelgischen Charleroi erschossen worden sei, als nicht ganz zutreffend erwiesen: Zwar wurde laut Staatsanwaltschaft in Belgien tatsächlich ein Sicherheitsmann durch mehrere Schüsse getötet, allerdings gebe es keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Auch die Information, der Dienstausweis des Toten sei gestohlen, wurde dementiert. Der Mann habe zudem nicht in einem Atomkraftwerk gearbeitet, sondern an einem Institut (Institut national des radioelements) in Fleurus bei Charleroi, das sich mit medizinischen Anwendungen von Radioaktivität befasst.

Rund ein Dutzend Festnahmen bei zahlreichen Razzien

In Belgien, Frankreich und Deutschland wurden am Freitag fast ein Dutzend Terrorverdächtige festgenommen. In Paris wurde ein Mann gefasst und damit nach Regierungsangaben ein Anschlagsplan vereitelt. In Deutschland nahm die Polizei zwei Männer fest, die zum Umfeld der Brüssel-Attentäter gehören könnten.

Die Polizei in Brüssel hat am Freitag insgesamt drei Personen im Zusammenhang mit den in Frankreich vereitelten Anschlagsplänen festgenommen. Zwei davon seien am Bein verletzt worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Einer von ihnen sei beim Polizeieinsatz in Schaerbeek in Gewahrsam genommen worden. Von den sechs am Donnerstag festgenommenen Personen seien mittlerweile drei wieder auf freiem Fuß.

Unter den Festgenommenen sei ein Mann, der in unmittelbarer Nähe des Gebäudes der Staatsanwaltschaft in der Brüsseler Innenstadt aufgegriffen wurde, teilte die Staatsanwaltschaft in Brüssel mit. Die Ermittler äußerten sich nicht dazu, in welchem Zusammenhang dieser Mann zu den Anschlägen vom Dienstag mit mindestens 31 Toten steht. Spekulationen, wonach der Mann der noch flüchtige Verdächtige vom Flughafen-Terrorkommando sein könnte, wurden laut Medienberichten zunächst nicht bestätigt.

Verdächtiger mit Sprengstoff

Bei einem Anti-Terror-Einsatz in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek wurde am Freitag ein Verdächtiger verletzt und festgenommen. Der Mann stehe im Zusammenhang mit den Attentaten in Brüssel, sagte der Bürgermeister der Gemeinde, Bernard Clerfayt, dem öffentlichen Sender RTBF. Nach Informationen des Senders hatte der Verdächtige einen Rucksack oder einen Koffer mit Sprengstoff dabei. Laut RTBF gab es bei der Razzia drei Explosionen.

Kurz nach der Polizei-Razzia in Schaerbeek ist am Freitag die Metrostation Arts-Loi zwischen der Innenstadt und dem Europaviertel evakuiert worden. Dies berichteten die Zeitungen "Le Soir" sowie "La Derniere Heure" übereinstimmend unter Verweis auf Journalisten vor Ort. Arts-Loi befindet sich nur einen Stop von Maelbeek entfernt, wo am Dienstag eine Bombe 20 Menschen tötete. Nach Medienberichten gab es später Entwarnung.

In der Nacht auf Freitag hatte es Razzien unter anderem in Schaerbeek gegeben, bei denen laut Staatsanwaltschaft sechs Verdächtige festgenommen wurden. In der Gemeinde Forest hatten die Ermittler RTBF zufolge am Freitagfrüh einen weiteren Verdächtigen festgenommen. Die Einsätze sollen in Verbindung mit den Anschlägen am Brüsseler Flughafen sowie in einer Metro gestanden haben, bei denen am Dienstag insgesamt 31 Menschen ums Leben gekommen und rund 300 weitere verletzt wurden.

Identität bestätigt

Die Brüsseler Staatsanwaltschaft bestätigte zudem, dass der 24-jährige Najim Laachraoui einer der beiden Selbstmordattentäter vom Brüsseler Flughafen ist. Laachraoui war auf den Bildern einer Überwachungskamera links zu sehen. Der andere, am Foto mittlere Flughafen-Attentäter war bereits als Ibrahim El Bakraoui identifiziert worden. Nach einem dritten Mann wird noch gesucht.

Die Brüsseler Attentäter sollen Verbindungen zu den islamistischen Drahtziehern der Anschläge von Paris und Saint-Denis gehabt haben, bei denen am 13. November 130 Menschen ermordet wurden.

Das französische Innenministerium teilte mit, einen Anschlagsplan im "fortgeschrittenen Stadium" vereitelt zu haben. In einem Pariser Vorort wurde ein Terrorverdächtiger festgenommen, der nach Medienberichten Verbindungen zum mutmaßlichen Planer der Pariser Anschläge vom November gehabt haben soll. Zusammen mit dem als Kopf dieser Anschläge geltenden Islamisten Abdelhamid Abaaoud soll er 2015 in Brüssel verurteilt worden sein.

In Argenteuil nordwestlich von Paris wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung laut Medien geringe Mengen Sprengstoff gefunden. Nach dem Bericht des Senders RTBF stand die Razzia in Schaerbeck vom Freitag in mit der Polizeiaktion in Argenteuil in Zusammenhang.

Marokkaner in Gießen festgenommen

Der Terrorverdacht gegen zwei in Gießen und Düsseldorf festgenommene Männer hat sich nicht erhärtet. Es gebe keinerlei belastbare Hinweise darauf, dass die Männer etwas mit den Terroranschlägen in Brüssel zu hätten, sagte eine Sprecherin der deutschen Bundesanwaltschaft am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe.

Das betreffe vor allem den 28-jährigen Marokkaner, der am Gießener Bahnhof festgenommen worden war. Die Bundesanwaltschaft stehe in engem Austausch mit den Brüsseler Behörden.

Bei einer Identitätskontrolle durch die Bundespolizei war bei dem 28-Jährigen festgestellt worden, dass er unter verschiedenen falschen Namen eingereist war und Asyl beantragt hatte. Zwei Kurznachrichten auf seinem Handy sollen bei den Ermittlern Verdacht erregt haben: Eine soll den Namen des U-Bahn-Attentäters von Brüssel, Khalid El Bakraoui, beinhaltet haben. Eine weitere Nachricht habe nur das Wort "fin" – französisch für "Ende" enthalten. Diese Nachricht soll kurz vor den blutigen Anschlägen gesendet worden sein.

Nach Informationen des Senders RBB unter Berufung auf Sicherheitskreise soll es sich um eine Verwechslung gehandelt haben. Der Mann habe einen Bekannten, dessen Namen fast identisch mit dem des Attentäters sei. Bei dem Wort "fin" werde davon ausgegangen, dass es sich um das aus dem Arabischen transkribierte Wort "wo" handle.

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hatte zuvor mitgeteilt, dass bei der Durchsuchung der Düsseldorfer Wohnung des Salafisten Samir E. nichts Verdächtiges entdecken worden sei. "Es wurde nichts gefunden, was auch nur annähernd Bezüge zu Sprengstoff, Zündern oder Ähnlichem hat", sagte ein Sprecher. Auch die Auswertung des Handys des Verdächtigen habe keine Verbindungen zu Islamisten ergeben. Da die Ermittlungen aber noch liefen, bleibe der 28-Jährige in Haft.

Samir E. gilt als Randfigur der salafistisch-jihadistischen Szene in NRW. Er war nach Informationen des Magazins "Der Spiegel" und der dpa ebenso wie der Brüsseler Flughafen-Attentäter Ibrahim El Bakraoui im Sommer 2015 von den türkischen Behörden im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien aufgegriffen worden. Beide seien gemeinsam in einem Flugzeug nach Amsterdam abgeschoben worden, dem Ausgangspunkt ihrer Reise. Die Behörden untersuchen nun, ob sich E. und Bakraoui näher gekannt haben und gemeinsam unterwegs waren.

Deutscher Justizminister warnt vor neuen Anschlägen

Der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) hat unterdessen vor neuen Attentaten auch in Deutschland gewarnt. "Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass der internationale Terrorismus eine Dauerschleife um Deutschland herum zieht", sagte Maas der "Saarbrücker Zeitung" vom Samstag. Die Bundesrepublik sei seit längerer Zeit ein potenzielles Anschlagsziel.

Die Behörden täten alles, "um solche Anschläge zu verhindern und die Menschen in Deutschland so gut wie möglich zu schützen". Den Bundesbürgern riet Maas, nicht in Panik zu verfallen. "Wenn wir jetzt komplett in Angst und Schrecken erstarren, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht", sagte er.

Schutz von Bürgern, nicht Daten

Die deutsche Bundesregierung hat nach Angaben von Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) derzeit keine Hinweise auf geplante Anschläge in Deutschland, sodass "wir Veranstaltungen absagen oder bestimmte Gebiete sperren müssten". Das sagte de Maiziere der Zeitung "Bild am Sonntag" aus Berlin. Die Lage sei jedoch "angespannt".

"In einem freiheitlichen Europa stehen wir für gemeinsame Werte ein, auch wir stehen deshalb im Zielspektrum von Terroristen", sagte de Maiziere. "Unsere Freiheit macht uns zum Feind der Terroristen." Er forderte die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu auf, wieder enger mit US-Geheimdiensten zu kooperieren. Die Zusammenarbeit mit den USA sei "wichtiger denn je".

Der Minister verlangte nach den Anschlägen von Brüssel zudem einen besseren Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in der EU. Im Zweifel müsse der Datenschutz zurückstehen. "In Zeiten ernsthafter Gefahren" müsse "klar sein, dass der Datenschutz nicht wichtiger ist als der Schutz der Bürgerinnen und Bürger", sagte de Maiziere.

Antiterrorismuskonferenz in Berlin

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte indessen eine große Antiterrorismuskonferenz für den Sommer in Berlin an. Dabei solle es vor allem um Prävention von Extremismus unter jungen Menschen gehen, sagte Steinmeier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Deutschland führt derzeit den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). (APA, 27.3.2016)