Nicht nur schulpflichtige Flüchtlingskinder wurden in Schulen in Österreich eingeschult. Es gibt auch ältere, nicht mehr schulpflichtige, geflüchtete Jugendliche. Um sie kümmern sich berufsbildende Schulen.

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Wien – Für Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter ist die Sache klar: Sie müssen auch in Österreich in die Schule gehen. Was aber ist mit älteren Flüchtlingsjugendlichen, die nicht mehr schulpflichtig sind? Wohin mit ihnen?

Um sie kümmern sich die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS). In acht Bundesländern (Ausnahme Burgenland) gibt es mittlerweile 45 "Übergangsstufen", in denen jugendliche Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse in einem Jahr auf den späteren Besuch einer BMHS oder auf eine Lehre vorbereitet werden. Das Bildungsministerium stellt dafür von seinen insgesamt fast 24 Millionen Euro aus dem "Integrationstopf" des Finanzressorts rund zwei Millionen Euro bereit (siehe Wissen unten).

"Wir haben damit für jugendliche Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse, die die Schulpflicht in einem anderen Land erfüllt haben, ein maßgeschneidertes Lehrgangsangebot", sagt Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) zum STANDARD: "Im Zentrum stehen das Erlernen der Unterrichtssprache, die Wiederholung, Ergänzung und Sicherung des erforderlichen Wissens und Könnens für den erfolgreichen Besuch einer ersten BMHS-Klasse."

Eigener Lehrplan

Unter Federführung des für den berufsbildenden Schulbereich zuständigen Sektionschefs Christian Dorninger wurde im Herbst ein eigener Lehrplan entwickelt, der neben Fächern wie Deutsch als Fremdsprache, Englisch, Geschichte und Geografie, Mathematik und Naturwissenschaften auch alternative Gegenstandsbereiche wie Werkstätte und Produktionstechnik sowie ein kaufmännisches, gastronomisches oder Computerpraktikum beinhaltet.

"Mit diesem innovativen Angebot helfen wir den Jugendlichen, einen guten Start in den berufsbildenden Schulen zu schaffen", sagt Heinisch-Hosek. Je zwei Wochenstunden sind für Sport, Religion (laut den auch für alle anderen Schüler geltenden Lehrplänen je nach Konfession) und Persönlichkeitsbildung vorgesehen.

Und es funktioniert gut, erzählt Heinrich Himmer, der Vizevorsitzende der BMHS-Lehrergewerkschaft (FSG): "Derzeit werden in diesen berufsbildenden Übergangsklassen 860 Flüchtlingsjugendliche in ganz Österreich betreut, und wir haben sehr gute Rückmeldungen von den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern."

Lehrer nur freiwillig dabei

Diese machen ausschließlich freiwillig mit, wer nicht will, muss nicht, die Pädagoginnen und Pädagogen werden dafür extra bezahlt aus dem Extrabudget für Integrationsmaßnahmen. Laut Lehrbeauftragtengesetz sind das 56,10 Euro für eine Wochenstunde Fachtheorie beziehungsweise 38,60 Euro für Fachpraxisstunden. Die Unterrichtsstunden in den Übergangsklassen werden nicht auf die Lehrverpflichtung angerechnet.

Die jungen Flüchtlinge erfahren meist von Betreuungseinrichtungen von der Möglichkeit, hier in die Schule zu gehen, um dann entweder über den schulischen Weg in einer BMHS oder in einer Lehre eine Berufsausbildung zu machen: "Sonst haben sie keine Möglichkeit, so eine Schule zu besuchen, weil sie ja nicht mehr schulpflichtig sind", sagt Himmer.

Ihm hätten Lehrerinnen und Lehrer, die mit Flüchtlingen arbeiten, erzählt: "Das sind die engagiertesten Schüler seit langem, weil die was machen wollen."

Ein Drittel Deutschunterricht

Im Zentrum des Unterrichts steht die Sprachförderung. Zehn der 31 Wochenstunden entfallen auf Deutsch. "Das ist extrem wichtig, um im berufsbildenden Bereich andocken zu können", sagt Himmer, der selbst in Wien an einer BHS unterrichtet.

Die Flüchtlinge sind aber nicht nur unter sich in eigenen Klassen, in denen im Schnitt 15 bis 20 Leute sitzen (Mindestzahl 12), sondern sie werden, wenn es sprachlich machbar und sinnvoll ist, in bestimmten Bereichen, etwa bei der Werkstattpraxis, auch mit den anderen Schülerinnen und Schülern gemeinsam unterrichtet.

Fachkräftemangel

Einzige Voraussetzung für die Flüchtlinge sind Grundkenntnisse in Englisch, seitens der Schulen muss es räumliche Möglichkeiten für diese Klassen geben.

Die geflüchteten Jugendlichen in den Kursen sind "genauso bunt wie die Schülerinnen und Schüler in den anderen Klassen. Manche sind so gut unterwegs, dass sie schon früher in eine normale BMHS-Klasse wechseln könnten", erzählt der sozialdemokratische Gewerkschafter: "Es ist wichtig – für diese Jugendlichen, aber auch für uns als Gesellschaft –, dass sie eine Perspektive bekommen."

Zumal in Österreich ja auch ein Fachkräftemangel herrsche, vor allem im technischen Bereich: "Da bildet man Leute aus, die das können und die wir brauchen."

"Packerl" von der Flucht

Zu leicht solle man sich die Sache aber weder für Lehrende noch die Flüchtlinge vorstellen, warnt Himmer: "Es ist natürlich anspruchsvoll für beide Seiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, zum einen die Sprache, aber vor allem: Diese Jugendlichen bringen ja alle ihr 'Packerl' von der Flucht mit. Belastungen, Traumatisierungen. Auch damit werden die Lehrerinnen und Lehrer konfrontiert, was nicht immer leicht ist."

Trotzdem ist Himmer von dem Modell überzeugt: "Je schneller die Flüchtlinge Anschluss an die Sprache und eine Ausbildung bekommen, desto schneller wird Integration gelingen. In acht Wertekursstunden geht das nicht. Sie brauchen Antworten auf die Frage: Was ist mit meinem Leben? In diesen Klassen bekommen sie Halt und eine Ausbildung." (Lisa Nimmervoll, 30.3.2016)