Wien – Sie kommen immer wieder, die Hundstage im Hochsommer – und sie werden wahrscheinlich weiterhin von Jahr zu Jahr heißer. Der junge belgische Choreograf Jan Martens betitelt sein erstes abendfüllendes Gruppenstück, das am Wochenende im Tanzquartier Wien zu sehen war, mit The Dog Days Are Over. Für seine Tänzerinnen und Tänzer ist das ein schweißtreibender Marathon, aber der hatte nicht die Klimaerwärmung zum Thema, sondern die Überhitzung des Körpers auf dem Fleischmarkt der industrialisierten Attraktivitätsnormen.

Derlei Normen sind alles andere als neu. Aber in der modernen Disziplingesellschaft ging es vor allem um uniforme Fassaden, während nun die postmoderne Kontrollgesellschaft mit ihrer hinterfotzigen Fitnessideologie weitaus tiefer tönende Saiten aufzieht. Deren Anpassungsdruck meint Martens auch, wenn er seine kleine Truppe sich in Reih und Glied aufstellen lässt und aus einem lockeren Wippen in den Knien ein kollektives Hüpfen startet. Alle acht sind nette junge Leute von ein wenig unterschiedlicher Gestalt, studiofertig in bunter Freizeitkleidung. Ein Mann klinkt sich zu Beginn aus und spielt fortan, die Szene von einem Sessel aus beobachtend, den Kontroll-Wauwau.

Martens führt hier unser supernettes System vor, in dem das Individuelle als Maskerade echt überzeugend wirkt und das metronomhaft-mechanische Hüpfen mit seiner akustischen Gleichförmigkeit die gleichrichtende innere Regel ist. Wenn das Publikum sich nach einer halben Stunde einbildet, das ginge die restlichen vierzig Minuten so weiter, dann hat es sich getäuscht. Denn nun setzen Variationen zum bloßen Auf-und-ab-Hüpfen in verschiedenen Formationen und Ortswechseln ein: Ausfallhüpfer machen den Anfang, und es wird komplexer. Aber – die innere Regel wird nie außer Kraft gesetzt, auch nicht, wenn Beine hochschnellen, schließlich doch Musik erklingt, das Licht dunkelrosa wird und die Gymnastik in ihrer ganzen Schönheit ins düstere Spiel kommt.

Hallo, hier bin ich

Das erinnert an die unvergesslichen Choreografien Hüpfen zentral und Mariensprünge der Wienerin Andrea Bold von vor 15 Jahren, in deren Sprünge noch ein komplexer Witz gemischt war, der die Zukunft, also unsere Gegenwart, aber bereits andeutete. Hüpfen heißt auch, auf sich aufmerksam machen zu wollen – "Hier bin ich, hier!" -, und das hat sich jetzt, wie Martens zeigt, institutionalisiert und mechanisiert: Danke, liebe Sozialmedienwirtschaft. Der frenetische Applaus am Ende des Stücks war gerechtfertigt, auch der in Richtung des Choreografen, von dem in Zukunft wohl noch einiges zu erwarten ist. (Helmut Ploebst, 3.4.2016)