Bild nicht mehr verfügbar.

Kinder, die ohne Sex gezeugt werden: Bei In-vitro-Fertilisation (IVF) wird die Eizelle mit einer Nadel angestochen, dann wird Sperma infiltriert. Ein neuer Film zeigt es in Echtzeit.

Foto: picturedesk / Science Photo Library / Richard G. Rawlins, Ph.D.

Maria Arlamovsky und Klaus Vavrik in Diskussion.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Mit welcher Motivation ist dieser Film entstanden?

Maria Arlamovsky: Wir leben im 21. Jahrhundert. Reproduktionsmedizin macht Dinge möglich, über die in Österreich kaum jemand Bescheid weiß. Ich wollte zeigen, was es bedeutet, wenn biologische Prozesse in Einzelteile zerlegt werden. In "Future Baby" füge ich Bilder zusammen, die sonst getrennt gezeigt werden. Ziel ist es, eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, der auch Nichtmediziner folgen können. Das fehlt.

Klaus Vavrik: Der Film ist gelungen, über weite Strecken neutral und gänzlich unkommentiert. Mir fehlt aber die Perspektive der Kinder. Es geht fast nur um elterliche Wunscherfüllung.

Arlamovsky: Das stimmt so nicht, das Thema ist vielschichtig, es kommt ein Spenderkind zu Wort, aber auch Leihmütter und Eizellspenderinnen. Ich wollte mir mit diesem Film einen Überblick über den Status quo verschaffen. Es ist toll, was die Medizin heute alles kann. Reproduktionsmedizin erfüllt Bedürfnisse, bei denen das früher nicht möglich war. Gleichzeitig ist Kinderkriegen ein global organisierter Markt geworden.

STANDARD: Sind Sie für oder gegen die Reproduktionsmedizin?

Vavrik: Ich bin nicht gegen Reproduktionsmedizin, habe aber Bedenken. Der Film zeigt nicht die Not und die möglichen Folgeschäden für Kinder. Wir haben in Österreich eine extrem hohe Mehrlings- und Frühgeburtenrate durch Reproduktionsmedizin. Es fehlen Limits, etwa was die Zahl eingesetzter Eizellen betrifft. Die Leidtragenden sind Kinder, die deshalb mit Behinderung leben.

STANDARD: Was fehlt?

Vavrik: Sicherheitsnetze. Eine verpflichtende fachliche Beratung der Eltern, die unabhängig von der Kinderwunscheinrichtung stattfindet. Psychologische Begleitung in schwierigen Zeiten. In Schweden ist der Single-Embryonen-Transfer im Gesetz verankert. Ungenügend geregelt ist auch das Recht der Kinder, altersgemäß über ihre Herkunft zu erfahren. Das kann Grund für massive psychische Probleme sein. Die Reproduktionsmedizin überprüft nicht die Gesundheit der Kinder, die sie erzeugt hat.

Arlamovsky: Das wahre Problem ist, dass viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch über ihre Limits gehen. Kein Kind bekommen zu können ist per se schmerzlich, es ist ein Zustand, den man als Not bezeichnen kann. Da sucht man eine Kinderwunschklinik auf und hört von einem Arzt, welche Varianten es zur Problemlösung gibt. Das macht Hoffnung. Zuerst eine Hormonbehandlung, wenn es nicht klappt, dann In-vitro-Fertilisation, eventuell mit einer genetischen Präimplantationsdiagnostik, um eine Selektion des besten Embryos vorzunehmen. Wenn das auch nicht funktioniert, sind plötzlich Eizell- oder Spermaspenden Thema. Paare geraten in den Sog der Reproduktion, es gibt kaum Möglichkeiten auszusteigen.

Vavrik: Reproduktionsmedizin ist ein Business. Der beratende Arzt ist auch der Verkäufer. Das finde ich unethisch. Viele Ärzte färben schön, wenn sie versichern, mit Präimplantationsdiagnostik ließen sich Behinderungen vermeiden. 97 Prozent sind unvorhersagbar. Auch die Umstände der Geburt, die Verhältnisse, in denen Kinder aufwachsen, sind entscheidend für ihre Entwicklung. Davon erzählen Reproduktionsmediziner nichts. Ich sehe viele überforderte Eltern in der Ambulanz. Wer sich Unterstützung bei Frühgeburten oder Mehrlingen nicht leisten kann, kommt an eine Grenze, von der er vorher nicht dachte, dass sie auftauchen könnte.

STANDARD: Das gilt für alle Eltern?

Vavrik: Der Staat hat hier eine besondere Verantwortung, weil er erstens für mögliche Folgen aufkommen muss und weil dieser medizinische Eingriff zweitens auch ein Geschäft zwischen Anbieter und Kunde ist. Reproduktionsmedizin ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt. Es ist die Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen zu schaffen. Wer hat den Schaden, wer den Nutzen? Das sind zentrale Fragen. Es geht darum, dass politisch Verantwortliche endlich Position beziehen. Vor allem im Sinne der Kinderrechte, zu denen man sich verpflichtet hat.

Arlamovsky: Es wäre naiv zu glauben, dass Reproduktionsmedizin heute auf nationaler Ebene geregelt werden kann. Man braucht nur nach Bratislava zu fahren, dort sind bereits Dinge möglich, die in Österreich verboten sind. Ich denke auch, dass sich die Entwicklungen nicht aufhalten lassen. Erstaunlicherweise gibt es aber international keine Instanz, die in Sachen Reproduktionsmedizin Rahmenbedingungen festlegen würde, nicht einmal die WHO steigt in den Diskurs ein. Es gibt zwar Zusammenschlüsse von Reproduktionsmedizinern bzw. Reproduktionskliniken, das ist alles extrem gut organisiert, aber keine neutrale Stelle. Dabei sind wir noch lange nicht am Ende der Entwicklungen. Mit der neuen Genschere CRISPR/Cas9 kann man auch ins Genom eingreifen. Wir sprechen nicht über Gentomaten, sondern über Menschen.

STANDARD: Was sollte passieren?

Arlamovsky: Es gibt so viele Ungereimtheiten. Es gibt den Bereich, der als Reproduktion mithilfe Dritter bezeichnet wird, also Spermaspender, Eizellspenderinnen. Oder Leihmütter, die ihre Gebärmutter sozusagen vermieten, um ein Kind auszutragen, das rein genetisch nichts mit ihnen zu tun hat. Fremde Eizelle mit Sperma aus dem Reagenzglas verschmolzen und neun Monate in ihrem Bauch ausgetragen: Wer kümmert sich um die Rechte dieser Leihmütter? Es gibt zwar theoretisch Limits für Eizellspenden. Doch niemand stellt fest, ob sie eingehalten werden.

Vavrik: Ein Register, in dem die Herkunft eines Kindes exakt verzeichnet ist, wäre eine Möglichkeit. Zudem ließe sich auch feststellen, wie es IVF-Kindern langfristig geht. Das wissen wir nicht.

STANDARD: Ein Vermerk in der Geburtsurkunde sozusagen?

Arlamovsky: In Spanien existiert dieses Recht auf Auskunft zur Herkunft, so wie in Österreich, zum Beispiel gar nicht.

Vavrik: Nicht in der Geburtsurkunde, sondern in einem medizinischen Register. Es wäre auch für die Nachbetreuung hilfreich.

Arlamovsky: Das halte ich für schwierig, auf diese Weise sind Kinder ein bisschen wie Versuchskaninchen. Mein nächstes Projekt ist ein Film über Spenderkinder.

Vavrik: Gerade in der unkontrollierten Situation sind Spenderkinder Versuchskaninchen. Es geht um Qualitätskontrolle, nicht was die Kinder, sondern was die medizinische Methode betrifft.

Arlamovsky: Viele Kinder, die heute erwachsen sind, leiden aber gerade darunter, dass sie sich wie Versuchskaninchen fühlen. Das passiert automatisch, wenn sie ständig zu Screenings müssen.

Vavrik: Es werden auch Kinder nach Herzoperationen nachkontrolliert, um die Methoden zu verbessern. Das wäre im Sinne der Kinder. Derzeit herrscht Blindflug, und das, obwohl es neun Prozent aller neugeborenen Kinder betrifft.

STANDARD: Was ist die Alternative zur Reproduktionsmedizin?

Arlamovsky: Pflegschaft und Adoption. Dieser Bereich ist streng geregelt. Wer adoptieren will, hat strenge Auflagen. Schwule dürfen nicht. Die dürfen aber Pflegekinder aufnehmen. Warum lässt man sie nicht adoptieren? Auch diese Inkonsistenzen führen dazu, dass sich Reproduktionsmedizin ungeregelt entwickelt. Es wäre schön, wenn mein Film eine breite öffentliche Diskussion anregen könnte. (Karin Pollack, 17.4.2016)