Mit der Chance auf einen Neuanfang hat die historische Abstimmung im brasilianischen Abgeordnetenhaus gegen Präsidentin Dilma Rousseff nichts zu tun. Das breite Votum für eine Amtsenthebung gehorcht zwar demokratischen Spielregeln, ist aber politisch ein Ränkespiel. Viele Abgeordnete wollen vor allem eins: sich selbst retten. Gegen mehr als die Hälfte von ihnen wird wegen Korruption ermittelt.

Nicht wenige spekulieren deshalb auf eine Einstellung der Ermittlungen unter einer neuen Regierung. Dabei richtete sich die Wut der Straße genau gegen diese verkrustete Politikerclique. Das Paradoxe: Erst der größte Korruptionsskandal in der brasilianischen Geschichte, in den Rousseff allem Anschein nach nicht verwickelt ist, hat ihren Sturz in Gang gebracht. Bisher kennt das Amtsenthebungsverfahren nur Verlierer: Die Gesellschaft ist tief gespalten, der Kongress paralysiert, und Lösungen zur Überwindung der Wirtschaftskrise sind nicht in Sicht.

Das Vertrauen vieler Brasilianer in ihre noch junge Demokratie ist jetzt erst recht erschüttert. Deshalb wird auch der Ruf nach generellen Neuwahlen in diesen Tagen lauter. Nur so wäre ein Neuanfang möglich. Das Problem ist, dass dafür die Verfassung geändert werden müsste und die Abgeordneten sich selbst entlassen müssten. Doch werden sie sich darauf einlassen? Die Verlockung der Macht ohne Abstimmung scheint vielen bisher zu verlockend. (Susann Kreutzmann, 18.4.2016)