Ungeschminkte 1970er-Tristesse als Rahmen für Trattoria-Küche in einer schönen Ecke des Wienerwalds.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Lumache di Mare im Talon, Meeresschnecken, leicht tomatisiert unter die Pasta gemischt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Über die Umstände, die 2014 das Ende der Traditionsadresse für italienische Delikatessen am Anfang der Wienzeile besiegelten, wird immer noch gestritten. Nach mehr als 150 Jahren war der Konkurs eröffnet worden, der legendäre Piccini mit seiner dezent noblen Fassade ist seitdem eine Baustelle und ein weiteres Mahnmal für die Degeneration des Naschmarkts.

Horst Hofbauer, Italodelikatessenimporteur und bis zuletzt Betreiber und Küchenchef in Personalunion, zog sich nach Innermanzing bei Altlengbach zurück. In der idyllisch zwischen Wald, Wiesen und Westautobahn gelegenen Gemeinde lachte er sich ein explizit abgewetztes Wirtshaus an, in dem er seit vergangenem Sommer authentische Trattoria-Küche auftischt – und dafür gestürmt wird.

Das Ambiente atmet den brachialrustikalen Stil der 1970er-Jahre, die Gäste rekrutieren sich aus alteingesessenen Einheimischen und zugezogenen Wien-Pendlern, der Name ist von einer lokalen, aus Italien gebürtigen Seidenfabrikantin des vorvorigen Jahrhunderts ausgeborgt. Und die Küche?

Pizza, Pasta Meerestiere

Ist mehr als beachtlich. Sicher, Pizza muss ein italienisches Lokal in derart exponierter Lage wohl zwangsläufig bieten. Hofbauer insistiert aber, dass sie nur wenig mehr als ein Drittel der Bestellungen ausmacht – obwohl etwa die im Steinofen gebackene "Valtellina" mit Bresaola, Grana und Rucola sich nicht vor dem verstecken muss, was in Wiener In-Adressen aus dem Ofen kommt.

Auch bei der Pasta lehnt Hofbauer sich aus dem Fenster: Ravioli al limone erweisen sich auf dem Teller zwar als Tortelli, die cremig zitronige Ricotta-Fülle ist aber gut abgeschmeckt, die Nussbutter, in der sie baden, reichlich – passt. Spaghetti Vongole sind nicht bloß bissfest, sondern mit einer großzügigen Portion Venusmuscheln versehen, den Sud aus goldbraunem Knofl, Peperoncino und Weißwein kriegen sie auch in Venedig nur an wenigen Adressen besser hin.

Als ob frische, wilde Muscheln an einem Ort wie diesem nicht schon exotisch genug wären, hat Hofbauer auch Lumache di Mare im Talon, Meeresschnecken (siehe Bild), die er leicht tomatisiert unter die Pasta mischt – fantastisches Aroma, fleischige Konsistenz und der Spaß, sich die gezwirbelten Dinger erst einmal aus der Schale zu fitzeln. Grandios, auch weil sich in Wien kaum ein Italowirt trauen würde, so angstfrei auf Spezialitäten zu setzen, die unkundige Gäste eventuell verschrecken könnten.

Echte Schweinereien

Das ist bei den Fleischgerichten kaum anders. Sicher, die üblichen Tantentäuschernummern wie Prosciutto mit Burrata und Feige oder Beiried auf Rucola mit Parmesan sind auch auf der Speisekarte.

Auf der schwarzen Tafel mit den tagesaktuellen Gerichten aber finden sich die echten Schweinereien. Lombardische Cassoeula zum Beispiel, ein urtümlicher Eintopf aus Ripperln, zweierlei Salsiccia, Sellerie, Paradeisern und Kohl, ideal für feuchtkaltes Wetter. Oder glitschig funkelnder Zampone mit Linsen, der legendäre gefüllte Schweinsfuß aus der Emilia Romagna. Porchetta, gerolltes Spanferkel mit allerhand Kräutern und Fenchelsamen, ist auch kein Essen für Fettverweigerer, aber halt so gut.

Nicht alles gerät gleichmäßig gut, die mächtige Zuchtgarnele in der – ansonsten tadellosen – Fischsuppe etwa sieht deutlich besser aus, als sie schmeckt. Auch die Unart, das frische Pizzabrot ausgiebig in Knoblauchöl zu baden, könnte überdacht werden. Angesichts der coolen Selbstverständlichkeit, mit der in diesem Wienerwald-Kaff italienische Hausmannskost zelebriert wird, erscheint das aber allemal als lässliche Sünde. (Severin Corti, RONDO, 22.4.2016)