Der designierte Chef der libyschen Regierung Fayed Serraj (2. v. re.) in Tripolis.

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Ein Dutzend Mal hat das Parlament in Tobruk nun vergeblich versucht, Premier Fayed Serraj das Vertrauen auszusprechen. Eine kleine Minderheit von Anhängern von General Haftar "hat mit allen Mitteln" – wie sich ein Anwesender ausdrückte – verhindert, dass die Abgeordneten am Montag in den Sitzungssaal gelangen konnten. Sie wollen sicherstellen, dass der General seine Funktion als Armeechef auch in Zukunft behalten und seinen Kampf gegen Islamisten in Bengasi ungehindert weiterführen kann. Ein Komitee aus je sechs Befürwortern und Gegnern der Einheitsregierung soll nun nach einem Kompromiss suchen. Es ist am Dienstag zum ersten Mal zusammengetreten.

Die Regierung der Nationalen Einheit ist Ende März auf dem Seeweg nach Tripolis gekommen und residiert weiterhin in einer Marinebasis. Geschützt wird sie von Marinekräften. Lokale Medien sind sich sicher, dass entgegen offiziellen Beteuerungen auch kleine Kontingente von Spezialeinheiten aus Italien, Frankreich und Großbritannien in Libyen sind.

Serraj hat große Schwierigkeiten, die Kontrolle über das Land zu gewinnen, obwohl EU und UN die Einheitsregierung bereits als einzig legitime Vertretung eingestuft haben. Trotzdem weigert sich die Regierung in Tobruk – sie war bisher international anerkannt –, die Macht zu übergeben. Das soll erst nach einem Vertrauensvotum im Parlament geschehen.

Die Gegenregierung in Tripolis ist zwar nicht offiziell zurückgetreten, sondern zerbröselt langsam. Serrajs Leute konnten deshalb am Montag die administrative Kontrolle über die ersten Ministerien übernehmen und wollen auch gleich mit der Arbeit beginnen. Auch verschiedene soziale und regionale Organisationen und ein Dutzend Städte haben sich hinter die Einheitsregierung gestellt. Aber die Lage bleibt kompliziert und unübersichtlich. In beiden der bisherigen Machtblöcke im Osten und im Westen des Landes gibt es gleichermaßen Gegner und Unterstützer der politischen Verständigung, die Mitte Dezember im marokkanischen Shikrat geschlossen worden war. Das gilt auch für die mit ihnen liierten Milizen und Sicherheitskräfte.

Uno kehrt zurück

Mit den Besuchen der Außenminister der wichtigsten europäischen Länder in den vergangenen Tagen ist der politische Boykott von Tripolis, den die internationale Gemeinschaft seit dem Sommer 2014 befolgte, Geschichte. Der UN-Libyen-Gesandte Martin Kob ler hat angekündigt, dass die Mitarbeiter seiner Mission in den nächsten Tagen von Tunis nach Tripolis zurückkehren werden. Im Moment sind sie noch auf der Suche nach einem geeigneten Hauptquartier, das die Anforderungen an ihre Sicherheitsstandards erfüllt. Tunesien hat als erstes Land angekündigt, seine Botschaft in Tripolis wieder eröffnen zu wollen.

Die Sicherheitslage bleibt angespannt. In Tripolis sind weiterhin rivalisierende Milizen auf den Straßen. Am vergangenen Samstag kam es zu heftigen Gefechten. Beide Seiten betonten später, die Ursachen seien nichtpolitischer Natur gewesen. Am selben Tag wurde eine Villa des Vizechefs der Einheitsregierung angegriffen und der Finanzchef der Fluggesellschaft Afriqiyah entführt.

Prekäre Versorgungslage

Ohne funktionierende Administration bricht in Tripolis langsam auch die Versorgung zusammen. Der Sprecher des Gesundheitsministeriums spricht von einem Notstand und hat angekündigt, dass ab der kommenden Woche Spitäler schrittweise geschlossen werden müssten, das treffe vor allem Nieren- und Diabetes-Patienten. Das World Food Programm (WFP) muss Nahrungsmittelrationen an Bedürftige verteilen – und das in einem eigentlich wohlhabenden Land.

Die Spaltung mit den Machtkämpfen und der Vormarsch des IS haben aber dazu geführt, dass die Ölförderungen – von der das Land zu 95 Prozent abhängig ist – auf einen historischen Tiefstand gefallen ist. Wenn Serraj tatsächlich mit der Regierungsarbeit beginnen kann, muss er zunächst die Versorgung der Menschen sicherstellen und die Kontrolle über die Ölförderanlagen erlangen. (Astrid Frefel, 19.4.2016)