Offen, engagiert und multikulturell – dafür steht die Arbeit der Architektinnen Heide Schicht und Astghik Der Sakarian (re.).

Foto: Ruth Ehrmann

Ich wollte nie als weiblicher Architekt bezeichnet werden", sagte die jüngst verstorbene Stararchitektin Zaha Hadid vor wenigen Jahren, als sie anlässlich einer ihrer vielen Preisverleihungen zur Rolle der Frau in der Architektur befragt wurde. Sie wollte wie ihre männlichen Kollegen nach der Qualität ihrer Ideen und ihres Werks beurteilt werden.

Erst später in ihrer Karriere ließ die durchsetzungsstarke Architektin durchblicken, wie hoch die Hürden gewesen waren, die sie hatte nehmen müssen, und wie wichtig ihre Pionierrolle für andere gewesen war. "Immer wieder haben mir Männer auf die Schulter geklopft und gesagt: 'Nicht schlecht für ein Mädchen'. Heute ist mir klar geworden, wie viel Unterstützung weibliche Architekten von anderen Frauen brauchen."

Von Frauen geleitet

Ganz klar: Der Architektenjob ist immer noch eine Männerdomäne. Noch dazu führt er mit seinem hohen Arbeitsaufwand und seinen Deadlines nicht selten an die Grenze der Selbstausbeutung. Wer sich familienbedingt eine Aus- oder Teilzeit nimmt, ist schnell weg vom Fenster. Aber muss man wirklich ein Charakterkraftwerk vom Schlage Hadids sein, um sich als Frau durchzusetzen?

Selbstbewusst sind auch Heide Schicht und Astghik Der Sakarian, die 2007 ihr Wiener Büro Beluga & Töchter gründeten, eines der gar nicht so vielen österreichischen Büros, das ausschließlich von Frauen geleitet wird. Sie haben sich schnell auf mehreren Feldern einen Namen gemacht – mit großzügigen Villen, Einfamilienhäusern und Dachausbauten ebenso wie mit Altbausanierungen und programmatischen Aktivitäten wie einem interdisziplinären Workshop in Mexiko.

Dass der weibliche Aspekt für die beiden zum Programm gehört, signalisiert schon der Name des Büros, der bewusst auf männlich geprägte Betriebsdynastien anspielt: "In der Geschäftswelt heißen Firmen oft "Partner" und "Söhne". Wir wollten einen Hinweis setzen, dass es auch anders sein kann, und betonen, dass wir zwei Frauen sind. Das hat natürlich immer wieder zu Verwirrungen geführt, und wir wurden oft gefragt, ob wir Schwestern sind oder ob wir zu einer Beluga-Dynastie gehören", sagt Heide Schicht.

Frauennetzwerk

Der Verweis auf die "Töchter" ist für die beiden Architektinnen nicht nur augenzwinkerndes Beiwerk, sondern eine ernsthafte Strategie, um die Gleichberechtigung in der Architektur voranzutreiben. "Wir machen ständig Erfahrungen mit der Ungleichbehandlung von Frauen", sagt Heide Schicht. "Nicht nur in der Architekturbranche, sondern auch in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Hier müssen überall Muster aufgebrochen werden".

Auch sie betonen die Vorbildfunktion weiblicher Role-Models wie beispielsweise Kazujo Sejima, Odile Decq, Farshad Moussavi auf internationaler oder Regina Lettner, Christa Stürzlinger, Susan Kraupp, Azita Goodarzi und das Büro miss.vdr auf österreichischer Ebene.

Solidarität wird großgeschrieben, zum Beispiel in Form von Frauennetzwerken wie dem 2009 gegründeten Salon Real. Hier können sich Macherinnen und weibliche Führungskräfte der Immobilienbranche gegenseitig unterstützen und fachlich austauschen. "Männernetzwerke gibt es seit Jahrhunderten, deswegen ist es höchste Zeit, dass die Frauen sich gegenseitig abstimmen und helfen – gerade auch an der Schnittstelle zur Wirtschaft", erklärt Astghik Der Sakarian.

Grund zur Hoffnung also. Doch die Fakten suggerieren, dass die "gläserne Decke" auch in kreativen Berufen kaum durchlässiger ist als in Branchen mit festeren Regeln und Traditionen. Rund 50 Prozent der Architekturstudenten sind weiblich, im Beruf allerdings reduziert sich dieser Anteil drastisch. In den USA sind nur 25 Prozent der eingetragenen Architekten Frauen, in Österreich sind es nach Angaben der Architektenkammer sogar weniger als 20.

Keine Chancengleichheit

"Zaha Hadid wurde in einem Nachruf mit der Aussage zitiert, Frauen bekämen nicht die gleichen Chancen wie Männer. Das können wir voll und ganz unterschreiben", sagt Astghik Der Sakarian. Die Unterschiede zwischen der Architektur und anderen Berufen seien in dieser Hinsicht nicht besonders groß.

"Hier wie dort sehen wir dieselben notwendigen Ziele wie Quotenregelungen und gleiche Einkommensverhältnisse oder auch Anreize für Männer, in Karenz zu gehen", ergänzt Heide Schicht. "Die nordeuropäischen Länder sind hier schon sehr viel weiter. Zusätzlich braucht es Förderungen und Studien, die untersuchen, wie man die Situation verbessern kann. Man muss Anreize bieten. Hier ist auch die Architektenkammer gefragt."

Hört man sich unter österreichischen Architektinnen um, sind die meisten optimistisch, was die jüngere Generation angeht, die jetzt studiert und die Gleichberechtigung im oft behaupteten Zeitalter des Postfeminismus als selbstverständlich ansieht. Auch die beiden Beluga-Architektinnen attestieren, dass zumindest einige Hindernisse aus dem Weg geräumt wurden: "Dass die jüngere Generation auf jeden Fall von ganz handfesten Verbesserungen profitiert, für die lange gekämpft wurde, würden wir uns sehr wünschen" so Astghik Der Sakarian.

All diese grundlegenden Verhältnisse wiegen für Beluga & Töchter mehr als das persönliche Erleben im Berufsalltag. Erntet man als Architektin abschätzige Blicke von verschwitzt männernetzwerkenden Handwerkern und Ingenieuren auf der Baustelle? Entschlossenes Abwinken: Eine viel zu oft gehörte Frage. Für die beiden sind das Klischees, deren Frist längst abgelaufen ist. "Wir wollen uns damit gar nicht beschäftigen", sagt Der Sakarian. "Wenn wir in der Baubranche eine Quote von 40 Prozent hätten, würde niemand solche Fragen stellen." Man macht eben seinen Job – wie jeder Mann auch.

Ruheoase: Das freundliche, helle Sommerhaus an der Alten Donau in Wien ...
Abbildung: Teodora Radeva

Multikulturell

Doch hat eine weibliche Doppelspitze vielleicht auch Vorteile? Gibt es Bauherren, die eine speziell "weibliche" Architektur suchen, was immer das sein mag? Erneutes Abwinken. "Generell tun wir uns schwer mit einer ausschließenden Einteilung in männlich versus weiblich. In jedem Menschen stecken männliche und weibliche Anteile. Wo sollte man anfangen, klare Grenzen zu ziehen?", fragt Heide Schicht. "In Indien und ehemaligen kommunistischen Ländern gibt es sehr viele Frauen in Technik- und IT-Berufen. Dort ist Technik nicht so männlich besetzt wie in Europa."

Viel wichtiger für den Umgang mit Bauherren und -frauen ist der multikulturelle Hintergrund der beiden zwischen Österreich und dem Iran aufgewachsenen Architektinnen. "Dank unserer Erfahrungen aus mehreren Kulturkreisen gehen wir grundsätzlich offen, neugierig und unvoreingenommen auf Menschen zu. Und die, die auf uns zukommen, sind selbst offen und experimentierfreudig."

... entfaltet sich mit Leichtigkeit in den Garten.
Abbildung: Teodora Radeva

Spurensuche

In ihrer Architektur fügen sich diese vielen Einflüsse zu einem neuen Ganzen zusammen. Zwar seien Aspekte wie die offenen und großzügigen Räume der iranischen Architektur oder der Umgang mit dem Element Wasser besonders starke Inspirationen, doch in den meisten Fällen, so die beiden Belugas, vermischten sich diese Einflüsse zu etwas Neuem.

Auch in ihrem jüngsten Projekt kann man auf multikulturelle Spurensuche gehen: Für den Umbau einer Jahrhundertwendevilla in der Nähe von Wien wurden die vorgefundenen Kamine und Luster restauriert und wiederverwendet und gekreuzt mit eher unherrschaftlichen, offenen und freien Raumfolgen.

Es ist gleichzeitig das letzte gemeinsame Projekt von Schicht und Der Sakarian. Der gemeinsame Sprung in die Selbstständigkeit war erfolgreich, heute führt jede von ihnen ihr eigenes Büro und steht allein ihre Frau. "Jetzt, da wir zwei Töchter flügge geworden sind, heißen unsere Firmen einfach Astghik Der Sakarian und Heide Schicht", lachen die beiden. "Fortsetzung folgt!" (Maik Novotny, RONDO OPEN HAUS, 6.8.2016)

Gespür für Details: Eine Jahrhundertwendevilla bei Wien ...
Foto: Torsten Pauer, Paul Eisenkirchner
... wurde von Beluga & Töchter mit edlen Materialien ... und großzügigen Raumfluchten neu in Szene gesetzt.
Foto: Torsten Pauer, Paul Eisenkirchner
Foto: Torsten Pauer, Paul Eisenkirchner