Gesunde Rahmenbedingungen verlängern das Leben – auch von jenen, die sich nicht die optimale medizinische Versorgung leisten können.

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Washington – Zahlreiche Untersuchungen belegen: Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status leben nicht nur schlechter und ungesünder, sondern auch kürzer als Wohlhabende. Eine US-Studie hat diesen altbekannten Zusammenhang neu mit Fakten untermauert und zugleich gezeigt, dass für die Ärmsten die Aussichten auf ein langes Leben in wirtschaftlich schwachen Regionen noch schlechter sind als in Städten mit guten Infrastrukturen.

Eine zweite neue Studie unterstreicht, dass sich die "Schere" bei Amerikanern ab 40 Jahren weiter öffnet. Bei den Jüngeren unter 20 hingegen wird die Kluft langsam wieder kleiner.

Ein Forscherteam um den Stanford-Ökonomen Raj Chetty kam auf Basis von 1,4 Milliarden Steuer- und Sozialversicherungsdokumenten aus den Jahren 1999 bis 2014 auf folgendes Ergebnis: Während die wohlhabendsten fünf Prozent der 40-jährigen Amerikanerinnen heute 2,9 zusätzliche Jahre erwarten dürfen (Männer: 2,3 Jahre), stieg die Lebenserwartung der armen Bevölkerung in dieser Zeit wesentlich langsamer und insgesamt kaum messbar. Dabei lag der Unterschied zwischen dem ärmsten und dem reichsten Prozent der Frauen bei zehn Jahren, bei den Männern sogar bei 15 Jahren.

Die Kluft in Deutschland und Österreich

Auch in Deutschland lässt sich eine Beziehung zwischen Einkommen und Lebenserwartung konstatieren: Einer Studie des Robert Koch-Institut zufolge lebt das wohlhabendste Fünftel der Frauen 8,4 Jahre länger als das ärmste Fünftel. Bei den Männern beträgt dieser Unterschied 10,8 Jahre.

Für Österreich führte beispielsweise Robin Rumler als Präsident des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen im Sommer 2015 an, dass männliche Akademiker eine um durchschnittlich 2,7 Jahre höhere Lebenserwartung als Pflichtschulabsolventen haben, bei den Frauen betrage der Unterschied 5,4 Jahre.

Gesunde Verhältnisse schaffen

Der Beitrag im "Journal of the American Medical Association" ("JAMA") von Raj Chetty zeigt auch, dass die Lebenserwartung der Ärmeren nicht in allen Regionen gleich ist. So leben die Einkommensschwächsten in kalifornischen Städten wie San Francisco oder Los Angeles, aber auch in New York deutlich besser und gesünder als etwa in darbenden Industriestädten im Mittleren Westen wie Detroit, Las Vegas oder Louisville.

Menschen in New York profitieren gesundheitlich offenbar von der Verbannung ungesunder Trans-Fettsäuren und hohen Tabaksteuern. Und in San Francisco – einer Stadt voller Parks, mit einem großen Angebot sozialer Hilfsdienste, vielen Rauchverboten und bereitwillig fürs Gemeinwohl eingesetzten Steuergeldern – leben Arme etwa drei Jahre länger als Menschen mit dem gleichen Einkommen in Detroit.

Dieser Unterschied entspreche in etwa dem Ansteigen der Lebenserwartung, wenn Krebs geheilt werden könne, so Studienautor Chetty in der "Washington Post". "Daran kann man sehen, dass das eine große Sache ist." Auch andere Experten betonen, wie wichtig soziale Hilfsangebote und ein funktionierendes Vorschul- und Schulsystem sind, um Ärmere aus der Abwärtsspirale aus schlechter Ernährung, wenig Bewegung, Fettleibigkeit, Rauchen, chronischer Krankheit und schließlich geringerer Lebenserwartung zu befreien.

Extrem teure Therapien

Die Ökonomin Janet Currie von der Universität Princeton betont in einer anderen Studie, die im Fachjournal "Science" veröffentlichten wurde, dass die Ungleichheiten bei der jungen Generation zurückgehen. So habe sich die Kindersterblichkeit zwischen 1990 und 2010 in den ärmsten Regionen fast halbiert. Von 1.000 neugeborenen Buben starben 1990 noch mehr als 18 in den ersten drei Lebensjahren, 20 Jahre später waren es knapp 10. "Das legt nahe, dass sich in Zukunft die Ungleichheit bei der Sterblichkeit im höheren Alter verringern dürfte", so Currie.

Doch immer wieder baut auch das US-Gesundheitssystem auf diesem Weg Mauern: Zwar sind die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in den USA die höchsten im OECD-Vergleich. Im Jahr 2013 lagen sie bei 16 Prozent des Bruttoinlandprodukts – in Deutschland bei elf Prozent. Das heißt aber nicht, dass deshalb der Zugang zu medizinischem Fortschritt für jedermann im gleichen Ausmaß möglich ist – trotz des neuen Krankenversicherungssystems "Obamacare".

Für die hohen Ausgaben sind in erster Linie die immensen Medikamentenpreise verantwortlich, die Pharma-Unternehmen auf dem US-Markt durchsetzen. Selbst Krankenhäuser können kaum Rabatte verhandeln, sondern müssen – etwa für Chemotherapien – oft ein Vielfaches der in Europa üblichen Summen bezahlen. Gleichzeitig werden gerade für diese extrem teuren Therapien aufwendige TV-Werbespots geschaltet. Zielgruppe: Wohlhabende Premium-Versicherte, die von ihrem Arzt exakt diese Therapie einfordern sollen. (APA, red, 22.4.2016)