Kinder, die hilfe brauchen, müssen oft mit langen Wartezeiten auf Therapie rechnen.

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In Österreich ist es weiterhin nicht besonders gut um die Kinder- und Jugendgesundheit bestellt. Das ist der Befund der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Flüchtlingskinder treffen die in vielen Bereichen bestehenden Defizite durch ihre noch viel schlechtere Situation teilweise katastrophal, hieß es bei der Vorstellung des Jahresberichts der Liga in Wien.

Es handelt sich um den siebenten Jahresbericht der Organisation. "Wir sahen viel Aufbruchstimmung am Beginn. In letzter Zeit haben wir das Gefühl, dass dieser Wind und die politische Energie deutlich im Schwinden begriffen ist. (...) Viel Papier, das produziert worden ist", sagte der Präsident der Liga, Klaus Vavrik. Die Versorgungskapazitäten in Sachen Kinder- und Jugendgesundheit decke weiterhin den Bedarf nicht ab. Fundierte Daten zu dem Thema existierten kaum. "Für Kinder-Rehabilitationszentren gibt es eine Standortausschreibung, aber kein Bett mehr als es war."

Kinder ohne Lobby

Laut Vavrik wird derzeit in der Diskussion über Primary Health Care-Zentren vollkommen auf die Kinder vergessen. "Das trifft am allermeisten jene Schichten, die sich keine Privatmedizin leisten können." In der Kinderpsychiatrie sei man in Österreich irgendwie "auf dem Weg", ohne dass die Versorgungsdefizite (niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater) bereits beseitigt worden seien. Und die bei vielen Therapien anfallenden Selbstbehalte stellten am ehesten Verhinderungsmechanismen dar.

Das alles trifft Kinder und Jugendliche auf und nach der Flucht noch katastrophaler. "Wir hatten vergangenes Jahr rund 30.000 um Asyl ansuchende Kinder. Rund 7.500 davon sind unbegleitete Minderjährige. 500 bis 600 Kinder gelten als verschwunden", sagte Vavrik. Die Politik sollte nicht nur die Angst vor der Radikalisierung "verschwundener Flüchtlinge", sondern die Hilfe gerade für diese Kinder und Jugendliche im Auge haben. "Das gleiche Recht für alle Kinder, die in Österreich leben, gilt für das Gesundheitswesen auch für alle Kinder, die auf der Flucht sind. Damit wir keine verlorene Generation produzieren."

"Schande für Österreich"

Bisher ist dazu offenbar viel zu wenig geschehen, wofür laut der Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits zu einem erheblichen Anteil das Innenministerium verantwortlich war: "Im Vorjahr war die Situation in Traiskirchen mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Thema, wo von der Politik relativ wenig gemacht worden ist. Ich finde das eine Schande für Österreich. Das ist unwürdig für einen Staat, der so viel Geld hat."

Sie und ihr Team hätten im Herbst vergangenen Jahres eine vom Innenministerium organisierte Unterkunft für 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Wien-Erdberg besucht: "Es war wirklich sehr traurig. Vor Kraft strotzende junge Männer waren psychisch sehr traurig beinander." Sie seien völlig desorientiert, verunsichert und überfordert gewesen.

"Die Deutschkurse hat ORS betreut. Das ist nicht die richtige Stelle, das ist eigentlich eine Überwachungsfirma. (...) Wir haben das Essen probiert, es war grauslich. Ein Ei, Einbrenngemüse und Erdäpfel. Es gab sehr viel Verunsicherung, keine individuelle Betreuung." Zum Glück sei es gelungen, alle diese Kinder und Jugendlichen in betreuten Wohngemeinschaften unterzubringen. Derzeit gebe es in Wien 1.128 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, 230 würden von der Jugendwohlfahrt betreut.

Krass benachteiligt

Eine "verlorene Generation", die infolge Erlebnisse auf der Flucht, krasser Benachteiligung und mangelnder Unterstützung in Österreich in Zukunft über Jahrzehnte hinweg enorme Folgekosten bescheren könnte, droht speziell durch die mangelnde psychologische oder auch psychotherapeutische Hilfe für psychisch Traumatisierte. Bei dem auf solche Hilfe spezialisierten Wiener Verein Hemayat beträgt laut dem Bericht der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit die Wartezeit auf einen Therapieplatz "oft über ein Jahr".

Die auch bei Hemayat arbeitende Psychotherapeutin Sonja Brauner berichtete von einem 16-jährigen Burschen, der in Grosny in Tschetschenien während eines Bombenangriffs in einem Luftschutzkeller geboren worden war. In Österreich fand die Familie wieder zusammen. In der zweiten Klasse der Volksschule in Österreich brach das psychische Trauma plötzlich hervor. Er konnte nicht mehr zur Schule gehen. Therapie und Schulwechsel besserten die Situation so, dass der Bub die Schulpflicht absolvieren konnte. Derzeit ist er wieder in Therapie, weil das Trauma erneut hochkam. (APA, 23.4.2016)