Wien – Der 19. November 2015 war ein denkwürdiger Tag. Da wurde zum ersten Mal ein transgenes Tier offiziell als Lebensmittel zugelassen: der Atlantische Lachs der Firma Aquabounty Technologies aus Massachusetts. Die amerikanische Arznei- und Lebensmittelbehörde FDA gab bekannt, dass sich der genetisch veränderte Lachs (GV-Lachs) – bis auf das eingeschleuste Genkonstrukt – nicht von seinen herkömmlich gezüchteten Artgenossen unterscheide: Geschmack, Farbe, Vitamin-, Eiweiß- und Fettsäurengehalt stimmten überein. Der Verzehr des Fisches sei gesundheitlich unbedenklich. Die Zulassung war alles andere als ein Schnellschuss: 20 Jahre dauerte das Prüfverfahren der FDA – wohl wissend, dass damit umstrittenes Neuland betreten wird.
Der Lachs namens Aquaadvantage – Gentechnikgegner nennen ihn "Frankenfish" – wächst doppelt so schnell wie seine gewöhnlichen Artgenossen (Salmo salar) und frisst dabei 25 Prozent weniger Nahrung. Statt in drei Jahren erreichen die Fische schon nach rund 18 Monaten ihr Schlachtgewicht von rund drei Kilogramm.
Dazu pflanzte Aquabounty den Lachsen ein Gen des Königslachses ein, das Wachstumshormone produziert. Und da Lachse normalerweise nur im Sommer wachsen, baute Aquabounty ihnen einen weiteren Erbgutabschnitt ein: Er stammt aus einem aalähnlichen Fisch (Zoarces americanus), der an kalte Gewässer angepasst ist. Dieser Erbgutabschnitt ist auch bei eisigen Temperaturen aktiv und sorgt so auch im Winter für einen konstanten Nachschub an Wachstumshormonen, so dass Aquaadvantage-Lachse durchgehend zulegen. Doch braucht es schneller wachsende genmanipulierte Lachse überhaupt? Existiert ein Markt für solche Fische?
Die Fragen werden auch unter Experten kontrovers diskutiert. Fakt ist: Die Erdbevölkerung wächst stetig und damit auch die Nachfrage nach Fisch. Der Fischfang stagniert – die Meere geben nicht mehr her. Mehr Fisch kann es nur durch Produktion in Aquafarmen geben, diese Branche boomt denn auch seit Jahren: Stammten 1970 vier Prozent des weltweit verzehrten Fisches aus Aquakultur, sind es heute rund 50 Prozent. Bis 2030 soll der Anteil auf 60 Prozent steigen.
Turbofisch aus der Aquafarm
"Um den Bedarf an Fisch auch in Zukunft zu decken und die Überfischung der Wildbestände zu vermeiden, muss Aquakultur kosteneffektiver produzieren. Gentechnik ist eine fortschrittliche Methode, um dieses Ziel zu erreichen", sagt Yonathan Zohar, Leiter des Aquakulturforschungszentrums am Institut für Umwelttechnologie in Baltimore.
Fische lassen sich im Vergleich zu Säugetieren relativ leicht gentechnisch manipulieren, weil die Befruchtung der Eier außerhalb des Körpers stattfindet. Die Technik ist entsprechend ausgereift und wird auch an anderen beliebten Speisefischen wie Forelle, Tilapia oder Karpfen getestet. Neben schnellerem Wachstum stehen vor allem Resistenzen gegen Krankheitserreger und Parasiten auf der Wunschliste der Fischindustrie – die größten Plagen bei der Massenproduktion von Fisch.
Doch was der Genmais in Europa war, ist nun der Genlachs in den USA: ein Symbol für die wachsende Gemeinschaft der Gentechnikgegner, die genmanipulierte Nahrung kategorisch ablehnt. Umweltgruppen und Fischereiverbände befürchten im Falle des Genlachses vor allem eines: dass die Turbofische ausbrechen und die Wildlachse verdrängen.
Fredrik Sundström von der Uppsala-Universität in Schweden befasst sich seit mehreren Jahren mit dem Thema. Mithilfe großer Wassertanks haben er und seine Kollegen natürliche Flussläufe simuliert und das Eindringen der schnell wachsenden transgenen Lachse in die Natur nachgestellt. Doch die Ergebnisse sind uneinheitlich: Ein gefräßiger Genlachs kann in einer futterreichen Umgebung einen Überlebensvorteil haben, in einer futterarmen Umgebung voller Fressfeinde hingegen einen Nachteil. "Im Prinzip ist alles denkbar: GV-Lachse, die alles fressen, was sie kriegen können, sich ausbreiten und andere Arten verdrängen oder GV-Lachse, die schnell sterben und selbst als Futter für Vögel und Robben enden", sagt Sundström. Die Risikoabschätzung sei kompliziert und momentan noch von Unsicherheit geprägt.
Auch die FDA kennt die Befürchtungen, hält das Risiko jedoch für vertretbar. Tatsächlich wirken die Sicherheitsvorkehrungen von Aquabounty minutiös durchdacht: Die Fische werden nicht wie in der herkömmlichen Aquakultur in Fangkäfigen entlang der Küste gezüchtet, sondern in riesigen Indoor-Tanks an Land. Dabei handelt es sich um geschlossene Systeme, das heißt das Wasser wird gefiltert und wiederverwendet. Dadurch fehlen auch Krankheitserreger und Parasiten, weswegen auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet werden kann.
Zucht ohne Fortpflanzung
Die Eier und Larven werden in Kanada gezüchtet und dann nach Panama transportiert, wo die Tiere bis zur Schlachtreife heranwachsen. Die Umweltbedingungen sind so gewählt, dass die Lachse, selbst wenn einer ausbräche, nicht überleben würden. Zudem produziert Aquabounty nur sterile Weibchen, die sich ohnehin nicht fortpflanzen könnten.
"Unfälle können immer passieren – in jedem System", sagt Reinhold Hanel, Leiter des Instituts für Fischereiökologie am Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut in Hamburg, "und Sterilität bei Fischen ist nicht so absolut zu bewerten wie bei Säugetieren. Außerdem unterscheiden sich aquatische Systeme vor allem in einem Punkt von terrestrischen: Geben sie etwas ins Wasser, verbreitet es sich extrem schnell."
Hanel möchte dennoch nicht ausschließen, dass in der Fischzucht Gentechnik eines Tages eine Rolle spielen wird. "Die Idee, Lachse zu züchten, die resistent sind, gegen die Lachslaus etwa, ist verlockend." Allerdings existiere ein gewichtiges Argument dagegen: "Schweine und Kühe züchten wir seit etwa 6000 Jahren. Doraden und Goldbrassen seit maximal 30 Jahren. Wir sollten erst das Potenzial der konventionellen Züchtung ausschöpfen, bevor wir Gentechnik nutzen."
Befürworter Zohar versteht solche Bedenken nicht: "Auch die traditionelle Selektionszucht verändert Fische genetisch. Was genau da verändert wird, weiß niemand. Beim Aquaadvantage-Lachs hingegen wird nur ein gut erforschtes einzelnes Genkonstrukt hinzugefügt." Zohar ist überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis weitere Fischarten folgen und auch Europa aufspringt. Momentan sieht es allerdings nicht danach aus: Der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit liegen keine Anträge für transgene Fische vor.
In den USA geht inzwischen der Widerstand gegen den Genlachs weiter: Erst Anfang April haben sich ein Dutzend Fischereiverbände und Umweltgruppen zusammengetan und klagen nun gegen den Entscheid der FDA, den Lachs als Nahrungsmittel zuzulassen.
Der Verkauf von Genlachs spießt sich auch an der Kennzeichnungspflicht. Die FDA hielt eine spezielle Kennzeichnung zunächst für unnötig, lenkte aber ein, nachdem mehrere US-Supermarktketten angekündigt hatten, den GV-Lachs nicht zu verkaufen – obwohl andere auf genveränderten Pflanzen basierende Lebensmittel seit bald 20 Jahren ohne Kennzeichnung in den Regalen stehen.
Im Februar untersagte die FDA schließlich den Import von Genlachs – zumindest bis verbindliche Regeln zur Kennzeichnung festgelegt sind. Noch scheint alles offen im Streit um den "Frankenfish". (Juliette Irmer, 28.4.2016)