Hans Schafranek, Herbert Blatnik (Hg.): "Vom NS-Verbot zum 'Anschluss', Steirische Nationalsozialisten 1933- 38." € 29,90 / 558 Seiten. Czernin, Wien 2016

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Gewiss, die Steirer haben die Ostmark nicht allein befreit. Viele Dinge mussten zusammenwirken, um das große Werk gelingen zu lassen", teilte das Gaupropagandaamt Steiermark nicht ohne Stolz 1939 mit. Über die Vorgeschichte des "Anschlusses" gibt es zahllose Publikationen, auch über einzelne Bundesländer, doch ausgerechnet über die Steiermark, deren Anteil an der nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich relevant ist, gab es keine umfassende Studie. Diese Lücke ist nun geschlossen mit einem Sammelband: Vom NS-Verbot zum "Anschluss". Steirische Nationalsozialisten 1933-38, herausgegeben von Hans Schafranek und Herbert Blatnik. Die einzelnen Beiträge stammen von den beiden Herausgebern sowie den Historikern Martin Moll, Gerald Wolf, Heimo Halbrainer, Friedrich Brodtrager und Manfred Bauer.

Das Buch beginnt mit der Geschichte des Steirischen Heimatschutzes (SH), der nach seiner Abspaltung von der Heimwehrbewegung gemeinsam mit der österreichischen NSDAP 1933 durch die Regierung Dollfuß verboten wurde. Die Steirer hatten früh mit ihrem eigenen Kurs innerhalb der Heimwehr begonnen, hatten bereits 1927 Hitler getroffen. Das Ergebnis war, "dass der SH in der Phase einer noch schwächelnden österreichischen NSDAP de facto nationalsozialistisches Gedankengut produzierte."

Noch bei den Kommunalwahlen im April 1932 war der SH viermal so stark wie die NSDAP. Überall hatten die Nationalsozialisten gewaltig zugelegt, nur nicht in der Steiermark, wo der Heimatschutz seine starke Position halten konnte. Deswegen gab es zu der Zeit gehässige Auseinandersetzungen zwischen den Konkurrenten im selben Lager, die aber letztlich doch in eine Kampfgemeinschaft mündeten. Als der SH im April 1933 vereinbarte, auf seinen Stahlhelmen das Hakenkreuz anzubringen, war sein restloses Aufgehen in der NSDAP nur noch eine Frage der Zeit.

Nach dem missglückten, dilettantisch vorbereiteten nationalsozialistischen Juliputsch 1934, in dessen Verlauf Dollfuß ermordet wurde – was offenbar nicht geplant war -, kam es seitens der NSDAP zu einem im Buch mehrfach beschriebenen radikalen Strategiewechsel: Statt der Fortsetzung des Terrors mit Sprengstoff, Böllern, gestreuten Schuhnägeln gegen Heimwehrautos, zertretenen Schwefelwasserstoff-Phiolen im Grazer Schauspielhaus usw., was letztlich wenig gebracht hatte, setzte die Partei nun auf "die gezielte Unterwanderung aller Bereiche des öffentlichen Lebens", wobei drei Gruppen im Zentrum standen: Bauern, Gendarmen und Polizisten, Soldaten.

Dazu gab es "Gesprächsleitfäden" sowie eine Vielzahl anderer Anregungen für die getarnte illegale Arbeit. Ein steirischer HJ-Gebietsführer erinnert sich: "Für Versammlungen und Schulungen in kleinem Kreis waren Tarockrunden in Gasthäusern das Beste. Es spielte gar keine Rolle, ob die Teilnehmer spielen konnten, jeder bekam ein Kartenpackerl in die Hand gedrückt, und dann wurde über alles geredet." Gendarmen als Kiebitz hatten demnach nur dann eine Chance auf Verhaftungen wegen regelwidrigen Tarockspiels, wenn sie selber tarockieren konnten. Und das auch nur dann, wenn sie nicht schon insgeheim zu den Nationalsozialisten übergelaufen waren.

Denn der Erfolg der neuen Strategie war beträchtlich, auch in der Justiz. In Gefängnissen sorgten Aufseher dafür, eingesperrten Nazis "die besten Speisen in die Arrestzellen zu schmuggeln." Das war kein Problem, weil die Richterschaft nationalsozialistisch unterwandert war, was man auch im Ministerium wusste. Daher wurden für die Aburteilung der Juliputschisten Militärgerichtssenate eingesetzt, bestehend aus einem Berufsrichter und drei Offizieren des Bundesheeres. 40 Prozent der Verurteilten waren Steirer. Dennoch entfielen von den 13 vollstreckten Todesurteilen nur zwei auf die Steiermark. Das hing nicht nur damit zusammen, dass das strategische Zentrum des Putsches in Wien lag, sondern auch damit, dass die Militärgerichtssenate in Graz und Leoben verschieden urteilten: Graz nachsichtig, Leoben streng. Kerkerstrafen mit zehn oder mehr Jahren wurden in Graz zu sieben Prozent, in Leoben zu 53 Prozent ausgesprochen.

Ein anderes Thema, das die Justiz hätte beschäftigen sollen, aber nicht beschäftigt hat, waren die nationalsozialistischen Fememorde: Vor 1938 kam kein einziger Täter deswegen vor Gericht! Das hängt vielleicht damit zusammen, dass die Opfer ausschließlich Nationalsozialisten waren, die als abtrünnig oder Verräter galten, weswegen nationalsozialistisch unterwanderte Behörden kein Interesse am Aufspüren der Täter hatten.

Nach dem "Anschluss"

Eine weitere Justizgroteske soll nicht unerwähnt bleiben: Nach dem "Anschluss" bemühten sich manche in der Hoffnung auf Vorteile um fälschliche Vordatierung ihrer NSDAP-Mitgliedschaft in die Zeit der Illegalität und boten dafür befreundete "alte Kämpfer" als Zeugen auf. Simon Wiesenthal hat diese Geschichte gern erzählt: Nachdem die österreichische Justiz ab 1945 die "Illegalen" ins Visier nahm, kamen dieselben Personen neuerlich mit denselben Zeugen zur Behörde, die nun erklären sollten, sie hätten 1938 aus Gefälligkeit falsch ausgesagt und nähmen das nun wieder zurück. Was sie jetzt sagen, stimmt verlässlich, auch das ein Aspekt der österreichischen Seele.

Abschließend enthält das Buch "Biografien steirischer NS-Akteure", deren Lebenslauf, soweit möglich, auch über 1945 hinaus skizziert wird. Insgesamt handelt es sich um eine gründliche Untersuchung mit interessanten Details über einen begrenzten Ort und Zeitraum, die geschichtliche Abläufe verstehbar macht und Menschen zeigt in ihrem Fanatismus, ihrer Brutalität, ihrer Schlauheit und auch ihrer herkunftsbedingten Chancenlosigkeit, der sie dadurch – für einige Zeit erfolgreich – begegnet sind, dass sie Nationalsozialisten wurden. (Peter Huemer, 30.4.2016)