STANDARD: Bitte nicht streiten. Aber welcher Erfolg ist höher zu bewerten, U17 oder U19?
Heraf: U19, weil sich nur die Gruppensieger der Eliterunde qualifiziert haben. Bei uns waren es die Ersten und die Zweiten. Aber beides ist beachtlich, beides war schwierig.
Marko: Ich pflichte dem bei.
STANDARD: Die Erfolge der Nachwuchsteams haben Tradition. Wie sind sie zu erklären?
Heraf: Sie häufen sich. Der österreichische Weg, der vor rund zwölf Jahren eingeschlagen wurde, macht sich bezahlt. Die Spieler werden in den Akademien immer besser ausgebildet. Das A-Team hat eine Sogwirkung. Früher waren die Vorbilder Messi oder Ronaldo, jetzt orientiert man sich an Alaba.
STANDARD: Wie viele schaffen es an die Spitze, wobei Spitze natürlich ein dehnbarer Begriff ist? In welchem Alter erkennt man, ob einer Karriere machen kann? Wann trennt sich die Spreu vom Weizen?
Marko: Das Potenzial eines Spielers erkennt man schon mit zehn, zwölf Jahren. Das Gute sieht man sehr früh. Die Frage ist, welche Hilfe bekommt das Kind, um das Gute weiterzuentwickeln, das Schlechte auszumerzen. Es ist entscheidend, dass ihm der Trainer Vertrauen schenkt. Was Spitze bedeutet, ist eine individuelle Geschichte. Spitze ist auch, wenn einer nebenbei eine Berufsausbildung macht oder studiert.
STANDARD: Nicht die Nachwuchsteamchefs, die Klubtrainer tragen die Hauptverantwortung, oder?
Marko: Ja. Wir bekommen ja schon die Besten der jeweiligen Jahrgänge, erledigen Detailarbeit.
Heraf: Auch die Rolle der Eltern ist enorm wichtig, vor allem bei den Jüngeren. Manche wollen zu früh zu viel, verlangen zu viel von ihrem Kind. Hinzu kommen die Berater. "Warum ist dieser Bub schon im Ausland, wieso meiner noch nicht?", heißt es oft. Man sollte auf die Trainer hören und ihnen vertrauen.
STANDARD: Sie haben selbst gekickt. Ist es schwierig, heutzutage in die Welt der 17- und 19-Jährigen einzutauchen? Wie tickt diese Generation im Zeitalter der völlig neuen Kommunikationsformen?
Marko: Die Burschen haben sich grundsätzlich nicht verändert. Sie wollen geschätzt und gerecht behandelt werden. Dass sie neue Mittel der Kommunikation haben, ist eine andere Geschichte. Die Welt ist für sie schwieriger geworden, weil sie viel mehr in der Öffentlichkeit stehen als zu meiner Zeit. Mit dieser Aufmerksamkeit müssen sie umzugehen lernen.
Heraf: Sie hinterfragen enorm viel. Das ist im Prinzip positiv, andererseits steckt oft auch das Umfeld dahinter. Nach dem Motto: Frag den Trainer, warum spielst du nicht rechts, sondern links. Man muss sich dieser Thematik als Trainer stellen, auch wenn es anstrengend sein kann.
STANDARD: Von den Erfolgen der Auswahlmannschaften profitiert die Liga nicht wirklich, sie darbt vor sich hin. Der Alltag ist das Problem. Die Jugend träumt nicht mehr von Rapid oder Austria, sie will weg. Das Gefühl, es in Österreich nicht zu schaffen, hat sich verstärkt. Schließlich besteht das Nationalteam nahezu ausschließlich aus Legionären. Ist dieser Trend zu stoppen, oder passt er eh?
Marko: Wenn man international bestehen will, muss man irgendwann international spielen. Man braucht die Erfahrung, sich mit den Besten zu messen. Zu meiner Zeit war das nicht möglich. Auch wenn dein Vertrag ausgelaufen war, warst du nicht frei. Heute kann man leicht und oft wechseln. Die Jungen sehen halt jeden zweiten Tag Champions oder Premier League, das hat eine enorme Anziehungskraft.
Heraf: Es geht um den richtigen Zeitpunkt. Muss ich diesen Weg mit 15 gehen? Oder ist es vernünftiger, mich zunächst daheim durchzubeißen. Es gibt viele Wege und Umwege. Nehmen wir Julian Baumgartlinger her. Er war in Deutschland, ist zur Austria gekommen, reifte dort zum Spitzenspieler. Jetzt ist er eben wieder in Deutschland. Man kann es in Österreich durchaus schaffen.
STANDARD: Die U19 trifft bei der EM auf Portugal, Italien und Deutschland, das klingt schlimm. Die U17 misst sich mit der Ukraine, Deutschland und Bosnien. Hört sich einfacher an. Was sind die Ziele?
Heraf: Nach jeder Auslosung habe ich "na servas" oder "super" gesagt. Gekommen ist es immer anders als gedacht. Fakt ist: Die Besten Europas sind bei den Endrunden.
Marko: Ich kann nur zustimmen, gebe keine Prognosen ab.
STANDARD: Nachwuchstrainer galten früher als Coaches zweiter Klasse. Ist da ein Bewusstseinswandel eingetreten?
Heraf: Ja. Die Trainer werden auch immer besser ausgebildet.
STANDARD: Trotzdem. Ist bei Ihnen die Sehnsucht vorhanden, einen Profiverein zu trainieren, regelmäßig im Rampenlicht zu stehen?
Heraf: Ich arbeite mit den besten jungen Leuten, das läuft sehr professionell ab. Der einzige Unterschied: Ich hab' sie nicht jeden Tag, kann nicht so viel Einfluss nehmen. Das gilt aber auch für Marcel Koller. Ich betrachte das nicht als Job zweiter Klasse, ich habe momentan nicht das Bedürfnis, etwas anderes zu machen.
Marko: Ich habe nie ein konkretes Ziel formuliert, sondern das genommen, was mir angeboten wurde. Jetzt ist es für mich eine fantastische Zeit. Du hast alle Möglichkeiten, dich weiterzuentwickeln. Wir wachsen ja mit der jeweiligen Mannschaft mit, betreuen sie von der U15 bis zur U19.
STANDARD: Mittlerweile ist es im ÖFB so, dass der Spielstil der diversen Auswahlmannschaften von der U15 aufwärts ähnlich ist. Die Spanier haben das schon lange gemacht. Ist das ein Schlüssel zum Erfolg? Andererseits, schränkt das den Trainer nicht ein? Ist Platz für eigene Ideen?
Marko: Wir haben eine Spielphilosophie im ÖFB, die sich an den modernen Richtlinien des Fußballs orientiert hat, die sich weiterentwickelt, die adaptiert wird. Wir haben im Rahmen dieser Philosophie genug Freiheiten, unsere Mannschaften im Detail zu verändern. Es ist einfach eine schöne, kreative Arbeit.
STANDARD: Können Sie diese Philosophie kurz beschreiben?
Marko: Wir wollten weg vom Kick-and-rush, hin zum Kombinationsspiel, zu Ballbesitz, zum Umschaltspiel. Die Individualität des Spielers soll weiter existieren und gefördert werden. Aber auch die Vielseitigkeit ist gefragt. David Alaba ist das Paradebeispiel. Er kann mehrere Positionen einnehmen. Warum soll ein guter Außenverteidiger ein schlechter Mittelfeldspieler sein?
STANDARD: Ist Geld ein Thema bei den 17-Jährigen?
Heraf: Über Geld ist immer geredet worden. Das wird thematisiert.
STANDARD: Gilt im Nachwuchs noch der Spruch von den elf Freunden, oder sind es elf Egoisten, die den Ellbogen einsetzen?
Marko: Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft funktioniert. Dass sie sich untereinander verstehen und Vertrauen in den Mitspieler haben. International sieht man immer wieder Teams, die vielleicht individuell nicht so gut besetzt sind, aber weit kommen und gewinnen, weil sie diesen Zusammenhalt haben. Es ist essenziell für den Menschen, dass er sich wohlfühlt.
STANDARD: Hat sich das soziale Umfeld der Fußballer geändert? Hat das Anwaltsehepaar nichts mehr dagegen, wenn der Bub Profi werden will?
Marko: Interessantes Thema. Es wird auf Schulbildung vermehrt Wert gelegt. Andererseits gibt es eine Art Rückkehr. Heute leben immer mehr Leute in Armut. Manche sind darauf angewiesen, die Familien mitzuernähren, da entsteht ein Riesendruck. Weil sie den Rucksack des Talents haben, den sie schleppen müssen. Fußball wird immer der Sport für die kleinen Leute sein. Du brauchst nur Schuhe und einen Ball, sonst nichts. Du gehst einfach raus auf die Wiese oder die Straße.
STANDARD: Das Romantische am Fußball ist auch, dass der Kleine ab und zu den Großen schlagen kann.
Heraf: Das sage ich meinen Jungs vor fast jeder Partie.
STANDARD: Welcher der drei EM-Titel ist am wahrscheinlichsten? U17, U19 oder A-Team?
Heraf: Schön wären alle drei. (Christian Hackl, 2.5.2016)