Ryan Mitchell und seine in Seattle beheimatete Gruppe Saint Genet überzeugen durch Unmittelbarkeit, lassen jedoch realistische ästhetische Effekte beiseite.

Foto: David Visnjic

Krems – Shakespeare und Beuys stehen für die Performance Frail Affinities von Ryan Mitchell Pate. Sie verbindet die menschliche Tragödie und das Sichtbarmachen des Schmerzes am organischen Material: Blut, Honig, Gold und tote Hasen. Ihre Symbolkraft kann man auch ohne Beuys-Wissen deuten. Erlösung gibt es jedenfalls keine. Würde am Ende ein Heilsversprechen stehen, so könnten Mitchells Arbeiten in ihrer rituellen Strenge und ihrer rauschhaften Grundstimmung (die Performer sind zur Lockerung der Sinne leicht drogeninduziert) auch als Sektenabende durchgehen.

Zum Donaufestival-Start wurde die Installation in der Kunsthalle Krems erstmals bespielt: in einer erhebend konzentrierten Art, die voller unerklärlicher, aber hochinteressanter Zeichen blieb. Sie trägt den einem Shakespeare- Sonett entliehenen Titel Who With Their Fear Is Put Besides Their Part und steht mit dem riesigen Leuchtstoffröhrenmobile des Lichtdesigners Ben Zamora wie eine lebendige Grafik im Raum.

Mitchell und seine Gruppe Saint Genet verwenden keine handelsüblichen Theatercodes. Frail Affinities (zu Deutsch etwa: "Fragile Verbundenheiten") ist eine Tiefenbohrung ohne jede aufdringliche Anwandlung, ein sensitiver Hybrid aus Oper, Ritual und Performance, der entlang schmerzhafter Bilder von der Erosion des Humanen erzählt: Menschen tragen Menschen; sie gehen unter der Last zu Boden; sie legen sich zu einem Leichenberg aufeinander, lösen sich wieder.

Das Stück (entwickelt sich über sechs Tage weiter) bezieht sich konkret auf die Katastrophe der sogenannten Donner Party, einer Siedlertruppe, die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Weg in den US-Westen von einem Blizzard überrascht wurde und dort, gefangen im Schnee in Nevada, über Monate versuchte zu überleben, auch durch Kannibalismus. Die Frage ist also, hören wir an einer bestimmten Grenze auf, Menschen zu sein? Und was sind wir dann?

Mit realistischer Darstellung kommt man diesen Fragen nicht bei. Mitchells Inszenierung ist deshalb auch maximal entfernt von den Geschehnissen in der Siedlerbewegung, sie übersetzt das Leiden, das Schwachsein, das Frieren, das Sterben, das Entmenschlichte in von Musik und Licht modulierte Bewegungsakte. Unversehens beginnen sich von den Performern Hautfetzen zu lösen; übergezogene Kunsthaut, die immer brüchiger wird.

Die Streicher- und Synthesizerklänge (von Brian Lawlor und D. Salo) tragen die Choreografie auf Händen, genau so wie die Lichtinstallation. Von ihr wird man bei den Festwochen 2017, mit denen diese Arbeit koproduziert wurde, noch etwas sehen.

Fast zeitgleich hat die Gruppe God's Entertainment in der Halle 1 mit Niemand hat euch eingeladen noch einmal demonstriert, wie verlogen Österreich mit der Flüchtlingsnot umgeht. Was aber zeigt so ein Abend der "neuen europäischen Tragödie" und der vorgefassten Verkündigung? Er zeigt alles, was man schon weiß, nur zugespitzter: An einem Rednerpult mit Bundesadler steht ein Priester im vollen Ornat und will die vor ihm aufgetürmten Wasserleichen mittels Taufe retrospektiv zu Christenmenschen machen. Ein anderes Beispiel: Frisch aufgeschüttete Erde wird mit Wasser aus dem Kanister "österreichische Werte" besprüht. Daraus werden dann Grabhügeln geformt, in die Saatgut mit dem Namen "organische Zivilisation" kommt. Plakativer war nur noch der "Asylgipfel" an der Schultafel. Eine matte Sache, die dem Saint-Genet-Abend diametral gegenüberstand. (Margarete Affenzeller, 2.5.2016)