Henry und eine Bewohnerin des Hauses der Barmherzigkeit. Der Roboter informiert – via Touchscreen – darüber, wie das Wetter wird und was auf dem Speiseplan steht.

Foto: Haus der Barmherzigkeit/Schedl

Henry spricht nicht mehr. Am ersten Einsatztag stand die grüne, kegelförmige Gestalt mit durchsichtigem Kugelkopf an der Rezeption Hauses der Barmherzigkeit in Wien und begrüßte die Bewohner. Das war im April 2013. Da der Roboter nicht für den sprachlichen Austausch entwickelt wurde, gab er nur ein paar vorgefertigte Sätze von sich. Dass er nicht auf Reaktionen einging, habe einige Bewohner des Pflegekrankenhauses und -heimes enttäuscht, sagt Tobias Körtner, Psychologe der Akademie für Altersforschung (AAF) am Haus der Barmherzigkeit und Projektleiter für den Robotereinsatz.

Henry (siehe Bild) ist Teil eines Projekts der AAF mit der TU Wien im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Strands (Spatio-Temporal Representations and Activities for Cognitive Control in Long-Term Scenarios). Alle paar Monate – auch derzeit – rollt der Kunststoffgast einige Wochen durch die Pflegeeinrichtung im 16. Bezirk. Zwischendurch werden seine Daten analysiert und sein Können verbessert. Ziel ist es, herauszufinden, was der Roboter braucht, um sich selbstständig durch das Heim zu bewegen. Anfangs fehlte ihm ein wichtiger Sensor – und er stürzte die Treppe hinunter.

Doppelt boomend

Robotik für den Pflegebereich boomt. In dem Arbeitsfeld fehlt Personal und es fällt oft schwere körperliche Arbeit an, für die Hilfe willkommen wäre. Im Allgemeinen verzeichnet die Herstellung von Robotern enorme Zuwäsche. Die Financial Times berichtete kürzlich, dass 2015 weltweit 587 Millionen Dollar in Robotik flossen – doppelt so viel wie 2014. Mehr als zwei Drittel des Geldes werden in Asien aufgewendet, vor allem in Japan und China. Für Roboter in der Pflege gibt es schon "viele Prototypen, aber wenige davon sind Anwendungen, die den Markt wirklich erobern können", sagt Michael Decker vom Institut für Technikabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe.

Warnende Wanne

Unter den Prototypen finden sich etwa spezialisierte Serviceroboter, die Pflegekräfte unterstützen oder teilweise ersetzen könnten, sowie Roboter zur Unterhaltung oder Therapie. Sie werden ergänzt von Ambient-Assisted-Living-Konzepten: Das sind zum Beispiel Warnsysteme, für den Fall, dass die Wanne überläuft, oder Matratzen, die epileptische Anfälle erkennen können und die Rettung alarmieren.

Die Entwicklungen werfen viele ethische und philosophische Fragen auf. Philosoph Mark Coeckelbergh meint, zunächst sei zu diskutieren, was gute Pflege ausmacht. "Ich denke, wir wertschätzen Einfühlungsvermögen und zwischenmenschlichen Kontakt als Teil guter Pflege", sagt Coeckelbergh. "Wenn wir also echte Pflegerinnen durch künstliche ersetzen, ist es problematisch."

"Im Tandem" mit der Technik

Besser sei es, Roboter als assistierende Technologien für Arbeit "im Tandem" zu nutzen. Diese These legte Coeckelbergh vergangene Woche in einer öffentlichen Sitzung der Bioethikkommission in Wien zum Thema "Mensch und Maschine: Roboter in der Pflege" dar – und traf dort auf viel Zustimmung.

In Japan hat der Elektronikkonzern Matsushata – bekannt durch Marken wie JVC und Panasonic – bereits 2002 nahe Osaka ein High-Tech-Pflegeheim eröffnet. In den 103 Zimmern sollen Gewichtssensoren in den Betten Alarm schlagen, wenn jemand von der Matratze fällt und bei Demenzkranken, wenn sie aufstehen, die Türverriegelung aktivieren. Selbst Toiletten sind mit Sensoren versehen.

Plüschrobbe zur Therapie

Das Heim dient einschlägigen Robotern zum Probelauf: etwa Koch-an, dem Teddyroboter, der medizinische Daten weitergeben und Lieder singen kann. Plüschrobbe Paro, die schnurrt und Stimmen erkennt, stammt auch aus Japan. Der Therapieroboter ist bereits in Europa, da vor allem bei Personen mit Demenz, im Einsatz.

Die Menschen im Wiener Haus der Barmherzigkeit können mit Henry über einen Touchscreen in Kontakt treten. Auf dem Bildschirm gibt der 1,75 Meter große, armlose Geselle über sich selbst Auskunft oder darüber, was auf dem Speiseplan steht und wie das Wetter wird. Henry kann Besucher durch Gänge lotsen und führt jede Woche die Nordic-Walking-Gruppe an. Dabei motiviert er mit Musik und spielt alte Wanderlieder.

Starke Roboterarme

Erste Serviceroboter in der Pflege finden sich auch in Europa: Care-O-bot des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung kann Getränke servieren und Patienten an Arzneien erinnern. Auch erste Geräte mit starken Armen, die Menschen aus Betten hieven können, gibt es.

Oliver Bendel von der Hochschule für Wirtschaft in Basel, der sich mit Auswirkungen des Roboters auf Menschen beschäftigt, meint, dass mancher Handgriff vom Menschen ausgeführt einem Pflegebedürftigen unangenehmer sein kann als vom technischen Helfer – etwa in der Intimpflege. Dabei stützt er sich auf Resultate einer (nicht repräsentativen) Studie aus einer Masterarbeit.

Andere wichtige Fragen, die für Bendel durch die Roboter aufkommen, betreffen den Datenschutz.

Keine Privatsphäre

Henry, der über Kameras und Sensoren verfügt, ist bei der Datenschutzkommission registriert. Videos speichere er nicht, aber alle paar Sekunden Fotos, die seiner Weiterentwicklung dienen sollen. Privaträume seien tabu, sagt Projektleiter Körtner. Henrys Einsatz sei auf Gemeinschaftsbereiche beschränkt. Und er ist zeitlich begrenzt: Nach vier weiteren Monaten im Herbst geht Henrys Zeit im Pflegeheim zu Ende. Die Bewohner hätten ihn weitgehend gut angenommen. Aber: "Das Problem ist seine Zuverlässigkeit", sagt Körtner. Seine Navigation funktioniere noch nicht gut genug, auf veränderte Raumsituationen reagiere er "irritiert". "Er ist für die Bewohner kaum eine Gefahr", sagt Körtner. "Aber die Umwelt ist für ihn noch gefährlich." (Gudrun Springer, 7.5.2016)