Integration ist längst nicht mehr nur Mittel zur Ein- und Abgrenzung. Auch die Zivilgesellschaft ist zunehmend gefordert.

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Integration bedingt die Bereitschaft von Flüchtlingen, aktiv teilzunehmen und sich auf Übereinkünfte und Regeln der Aufnahmegesellschaften einzulassen. Aus unterschiedlichsten Regionen kommend, Gewalterfahrungen gemacht habend und oft auch autoritäre Sozialisation mitbringend, stehen Flüchtlinge somit vor enormen Integrationsanforderungen. Gelungene Integration verlangt aber gleichzeitig auch nach einer entpolarisierenden, sich auf die Aufgabe des Gelingens konzentrierenden Politik. Sie verlangt auch nach einer aktiven Zivilgesellschaft, die soziale Beziehungen zwischen verschiedenen Ethnien knüpft und Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammenbringt. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist umso notwendiger, als die Integration von Flüchtlingen in den Aufnahmeländern in ein Umfeld massiver gesellschaftlicher Unsicherheit und rasanter politischer Desintegration fällt.

Mangelnde Solidarität

Seit der Finanzkrise 2008 funktioniert die Solidarität der EU, insbesondere ihr Modus der Entscheidungsfindung nur noch eingeschränkt. Die soziale Ungleichheit wächst weiter, sie entsolidarisiert Gesellschaften und belastet deren sozialen Zusammenhalt. Die politischen Parteien der Mitte, die über Jahrzehnte hinweg als Institutionen der Inklusion, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Interessen ein gewisses Maß an Stabilität erzeugten, zerbröseln zusehends.

Die europäischen Einwanderungsgesellschaften polarisieren sich nicht nur, sie durchlaufen auch eine Radikalisierung der Worte und Mittel. Mit anderen Worten: Der europäische Konsens über die Qualität von Demokratien wird brüchig. Liberale Grundwerte, Ideen von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung werden von politischen Strömungen und Regierungen ausgehöhlt. Tatsächliche und gefühlte Sicherheiten gehen verloren. Diese Entwicklungen haben bereits vor der auf nationaler Ebene kaum steuerbaren Fluchtzuwanderung eingesetzt, ihre Intensität nimmt nun aber deutlich zu. Die Fluchtzuwanderung trifft also auf eine Reihe von Auflösungsprozessen sozialer und demokratischer Selbstverständlichkeiten abseits von Flucht und Migration und beschleunigt aber gleichzeitig diese Vorgänge.

Integriert durch Willkommensinitiativen

Zwei Ausprägungen des Integrationskonzepts sind derzeit besonders relevant und vieldiskutiert – die sozioökonomische und die soziale.

Die sozioökonomische Integration betrifft die Beteiligung am Arbeitsmarkt und an Bildungseinrichtungen sowie den Spracherwerb als Voraussetzung dafür. In diesem Zusammenhang wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die strukturellen Möglichkeiten der Teilhabe, der rechtliche Zugang aber auch das Angebot rasch geschaffen werden müssten, damit diese greifen können und keine verlorenen Generationen produziert werden.

Die soziale Integrationsdimension betrifft die sozialen Beziehungen und Kontakte zwischen den Ethnien. Diese sind einerseits als Wert an sich zu betrachten, andererseits als Möglichkeit, die Integration in Bildung und Arbeit, in Gesellschaft und Politik zu forcieren. Soziale Beziehungen erlauben es, existierende oder auch nur angenommene Unterschiede anzusprechen, sie zu erkennen und sie zu überbrücken.

Eine von der Politik noch zu wenig anerkannte Integrationsleistung erbringen facheinschlägige NGOs und zivilgesellschaftliche Initiativen. Willkommensinitiativen sind kollektive Unternehmen, die einen Platz schaffen, an dem sich Neuankommende aufgenommen fühlen können. Sie sind aber auch Orte der Begegnung, Orte des Kennenlernens anderer Kulturen und der Erfahrung mit anderen, autoritären politischen Systemen. Willkommensinitiativen ermöglichen die Bildung sozialer Beziehungen und laufen somit auf Maßnahmen sozialer Integration sowohl für die Ankommenden als auch für die Eingesessenen hinaus. Willkommensinitiativen überbrücken Mehrheitsgesellschaft und Flüchtlinge, sie tragen zur Integration in den sozioökonomischen Bereich aufseiten der Flüchtlinge bei, ebenso wie zur Entpolarisierung und zur Stärkung der politischen Mitte der Mehrheitsgesellschaft. In Zeiten wachsender Radikalisierung ist das keine Nebensächlichkeit.

Es gibt keine einfachen Lösungen

Wie erreicht man nun nachhaltig integrierte Gesellschaften? Angesichts der grassierenden Unsicherheiten reichen keine einfachen Antworten und Instrumente, die lediglich oder primär die anderen in die Pflicht nehmen. Die Situation verlangt nach breiten Aktivitäten, die beide Seiten einbeziehen. Neben den zu erbringenden Integrationsleistungen der Zugewanderten, nämlich Sprache, Bildung und Arbeit, braucht es Verantwortlichkeit der politischen Kräfte, sich auf das Ziel integrierter Gesellschaften zu verständigen. Die Zeit der sogenannten Muskelintegration, als politische Parteien Integration als Kitt nationaler, kollektiver Identität, der Ein- und Abgrenzung nutzten, ist objektiv vorbei. Die Situation ist zu brisant geworden. Ebenso braucht es ein gehöriges Maß an Engagement der "vermögenden" Zivilgesellschaft, die durch Kontakte differenzierte Erfahrungen generiert, um politische Gerüchte und Slogans als solche erkennbar zu machen. (Sieglinde Rosenberger, 11.5.2016)