Angesichts der jüngsten Kriminalfälle will Sobotka straffällige Asylwerber "schneller loswerden", und: Wer "den Staat täuscht, kann nicht das hohe Recht des Asyls begehren".

Foto: Matthias Cremer

Wien – Angesichts der Kriminalfälle auf dem Wiener Praterstern und dem Brunnenmarkt will Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) die Gesetze für straffällig gewordene Asylwerber verschärfen. Im Interview mit dem STANDARD sagte er, er könne sich vorstellen, dass "gewisse Delikte, die bisher nur als Verwaltungsübertretungen galten, strafgesetzlich geahndet" werden. Bei Schwerverbrechen will er jugendliche Straftäter in ihre Herkunftsländer abschieben, wenn für sie dort altersadäquate "Maßnahmen" gegeben sind.

Vom neuen SP-Chef erwartet sich Sobotka, die Asyllinie zu halten. Zurückweisungen nach Ungarn kann er sich vorstellen, sobald die für heuer anvisierten 37.500 Asylanträge erreicht sind. Justizminister Wolfgang Brandstetter richtet zum Verbrechen auf dem Brunnenmarkt eine Sonderkommission ein.

STANDARD: Nach dem Rücktritt von Werner Faymann darf der neue rote Kanzler keinen Zentimeter von der vereinbarten Asyllinie abweichen, ansonsten droht Ungemach von schwarzer Seite. Wozu muss sich der nächste Regierungschef bekennen?

Sobotka: Das liegt klar auf der Hand: Mit 1. Juni tritt das neue Asylgesetz in Kraft. Dieses enthält eine Verordnungsermächtigung für die Regierung, die – im Einvernehmen mit dem Parlament – beim Überschreiten der Kapazitätsgrenzen ausgelöst werden kann. Dann nämlich, wenn die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind. Diese Regierungsvorlage ist im Parlament mit 100:65 Stimmen beschlossen worden – hier kann es keinen Schwenk geben. Seit Jahresbeginn haben wir 19.500 Asylanträge verzeichnet – bei 37.500 ist eine Grenze erreicht.

STANDARD: Sodass der nächste Kanzler dann quasi die Notfallsverordnung im Land ausruft, wir dichtmachen – und an den Grenzen reihenweise Asylwerber abweisen?

Sobotka: In einer solchen Situation wäre es inhuman, so weiterzutun wie bisher. Denn angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit, derzeit bei zehn Prozent, können wir den Menschen keine Perspektiven bieten. Außerdem hat mir der Justizminister in Budapest versichert, dass sein Land ein sicheres Drittland sei – daher können wir nach Ungarn zurückweisen.

STANDARD: Menschenrechtsorganisationen prangern doch die unwürdigen Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern dort an – und auch der Verwaltungsgerichtshof ist zur Erkenntnis gekommen, dass es keine fairen Verfahren gibt.

Sobotka: Also wenn die Türkei als gerechtfertigtes Rücknahmeland bezeichnet wird, dann mutet es mir grotesk an, das im Falle Ungarns nicht zu tun. Unser Höchstgericht hat sich auf einen Fall bezogen. Aber daraus zu schließen, dass gleich das ganze ungarische Asylsystem EU-Normen verletzt – da hätte ich gerne ein europäisches Verfahren dazu.

STANDARD: Was, wenn der neue Kanzler dagegen Bedenken hegt?

Sobotka: Ich gehe davon aus, dass der Bewerber für das Amt jemand ist, der genau weiß, worauf er sich einlässt.

STANDARD: Falls er sich doch sträubt: Bedeutet das dann Koalitionsbruch? Neuwahlen?

Sobotka: Wir sind es gewohnt, Entscheidungen zu treffen, wenn sie anstehen. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass jemand in die Regierung eintritt, der sagt, ich trage diese Linie nicht mit.

STANDARD: Angesichts der schweren Kriminalfälle auf dem Wiener Praterstern und dem Brunnenmarkt, wo eine Frau von mehreren Tätern vergewaltigt beziehungsweise eine andere mit einer Eisenstange getötet wurde: War es ein Fehler, Polizeistationen zu schließen und zu fusionieren?

Sobotka: Jeder Gewaltakt und jeder Tote ist einer zu viel. Aber bei den kleineren Polizeiinspektionen gab es große Probleme, eine Rund-um-die-Uhr-Besetzung zu gewährleisten. Die Polizei hat ihre Arbeit auf dem Brunnenmarkt erledigt, die Staatsanwaltschaft wird prüfen, ob ein Delikt vorgelegen ist, das bei dem Festgenommenen eine frühere Haftfähigkeit ermöglicht hätte. Die Frage ist, was man aus den Abläufen lernt. Im Fall Brunnenmarkt wird demnächst ein umfassender Bericht der zuständigen Behörden vorliegen – und ich habe mich mit dem Justizminister beraten, welche Möglichkeiten wir gegenüber straffällig gewordenen Asylwerbern haben, um sie schneller loszuwerden, also abzuschieben.

STANDARD: Wo wollen Sie ansetzen?

Sobotka: Etwa, indem man gewisse Delikte, die bisher nur als Verwaltungsübertretungen galten, strafgesetzlich ahndet. Ab Juni wird es für die Polizei durch eine Gesetzeskorrektur etwa leichter, gewerbliches Handeln mit Drogen rascher nachzuweisen. Die Gesetze sind so anzupassen, dass sie behördliches Handeln ermöglichen.

STANDARD: Braucht es neben mehr Law and Order nicht auch mehr Grätzelpolizisten?

Sobotka: Freilich ist mir lieber, wenn die Beamten mehr auf Streife gehen, als auf der Wachstube mit Schreibarbeit beschäftigt zu sein. Aber wir müssen ein klares Signal setzen – nämlich: "Wenn du straffällig geworden bist, hast du bei uns nichts verloren!" Oder wenn die Leute bei ihrer Identitätsfeststellung nicht kooperativ sind, ihr Alter nivellieren und sagen, sie sind keine 18. Es ist undenkbar, dass wir so etwas weiterhin akzeptieren, dass wir so jemanden überhaupt noch zu einem Asylverfahren zulassen. Jemand, der den Staat von Anfang an belügt und täuscht, kann nicht das hohe Recht des Asyls begehren.

STANDARD: Der scheidende Chef der Polizeigewerkschaft Hermann Greylinger, ein SPÖ-Mann, wirft Ihnen "rechte Hetze" im Zusammenhang mit Ihrem Terminus "Fremdenkriminalität" vor – warum streichen Sie den Begriff so ausdrücklich hervor?

Sobotka: Faktum ist, dass man schauen muss, wo sind die Hotspots? Warum steigen Suchtgiftkriminalität, Einbruchsdiebstähle, Autodiebstähle? Wenn wir heute auch sehen, dass Kriminalitätsdelikte im Bereich von Asylwerbern untereinander steigen, wenn die Delikte gegenüber den Staatsbürgern steigen, dann muss man das so benennen.

STANDARD: Wie wollen Sie mit ausländischen Tätern unter 18 Jahren verfahren?

Sobotka: Das muss man sich sorgsam ansehen. Wesentlich ist, Jugendlichen den Schutz angedeihen zu lassen, den sie brauchen, und ihnen die Möglichkeit zur Integration zu bieten. Wenn sie aber straffällig werden, muss man sie nach dem Strafgesetz behandeln wie Österreicher, so sie asylberechtigt sind. Da muss man ein gewisses Maß walten lassen. Aber wenn es von ihrer Seite zu gravierenden Delikten kommt, ist es auch notwendig – wenn die Maßnahmen dort in diesem Land gegeben sind –, auch jugendliche Straftäter wieder zurückzubringen. Es muss auch verdeckte Ermittlungen im Milieu der Jihadisten geben. Ich möchte wissen, was in Moscheen und islamischen Vereinen passiert. Hier brauchen wir eine intensive Zusammenarbeit mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft.

STANDARD: Was muss sich in der Zusammenarbeit mit der Glaubensgemeinschaft ändern?

Sobotka: Grundsätzlich funktioniert das gut, sie sind kooperativ. Aber wir brauchen jetzt verstärkt ihre Mithilfe, gerade jetzt vor dem Sommer, was die Position der Frauen anbelangt. Nehmen wir das Auftreten muslimischer Männer in Bädern, die Frage ist: Wie reagieren sie auf diese für sie neue Situation? Wir brauchen dort ein neues Commitment, dass die Glaubensgemeinschaft sehr klar ihren Leuten, die da jetzt kommen, signalisiert: Bei uns gibt es kulturelle Regeln, die einzuhalten sind.

STANDARD: Welche meinen Sie denn da genau?

Sobotka: Ganz einfach: Klarmachen, dass eine Frau nicht angerempelt, nicht begrapscht werden darf, wenn sie einen Bikini trägt. Das ist keine Aufforderung zum Übergriff. Der Islam hat ja keine Aufklärung durchgemacht. Da war Europa über Jahrzehnte hinweg zu nachgiebig. Nehmen Sie die unbegleiteten Minderjährigen: Wenn da 20, 30 Leute ohne Begleitung ins Bad gehen – das wird nicht gehen. Da muss eine Betreuung sichergestellt sein. Oder wenn sie sich zu fünft, zu sechst in einem Kaffeehaus aufhalten – die kennen das oft gar nicht. Sie haben mitunter auch eine ganz andere Hemmschwelle, ein ganz anderes Zugehen.

STANDARD: Eine Öffnung des Arbeitsmarktes würde diesen vielen jungen Männern, die auf ihren Asylbescheid warten, weniger Tagesfreizeit und mehr Möglichkeiten zur Integration bieten.

Sobotka: Die Asylwerber sind besser vernetzt als jeder andere – und wenn sie nach Österreich kommen, brauchen sie in erster Linie nicht nur eine Unterkunft oder Essen, sondern WLAN und ein Aufladegerät fürs Handy – um an die Schlepper durchzugeben, wo bei uns kontrolliert wird.

STANDARD: Diese Menschen melden sich doch auch bei ihren Familien. Wir haben Sie eigentlich nach Beschäftigungsmöglichkeiten gefragt.

Sobotka: Ja, Asylwerber müssen beschäftigt werden, aber nicht in Arbeitsleistungen. Sie sollen auch zu ihrer Grundversorgung einen Beitrag leisten. Wir können sie etwa in der Wienerwaldpflege einsetzen oder bei der Uferpflege – da gäbe es genug Möglichkeiten für einen Dienst für die Gesellschaft. (Karin Riss, Nina Weißensteiner, 11.5.2016)