Der Maler Roman Scheidl lebt im ehemaligen Gasthaus "Zur Goldenen Sonne" in Wien-Margareten. Hier wird getanzt, gefilmt und fotografiert. Und dann war da noch die Geschichte mit dem alten Anrufbeantworter.

"Die Geschichte dieser Wohnung ist eigentlich eine Geschichte der Kultur. Begonnen hat alles damit, dass die Schweizer Tänzerin Bettina Nisoli in den Achtzigern einen Ort für ihr Tanzstudio gesucht hat. Wir sind reingekommen und dachten uns: Na seavas! Und gleichzeitig wussten wir: Das ist es! Alles war ein bisschen kaputt, denn das Objekt stand bereits seit über zwei Jahren leer und schrie förmlich nach einer Komplettsanierung. Optimistisch wie wir waren, haben wir zugeschlagen.

"Ich lebe hier wie ein ewiger Student. Ich brauche den unentwegten Wandel mit Scheinwerfern, Tanzboden und fremden Menschen rundherum." Roman Scheidl im Wohnzimmer.
Foto: Lisi Specht

Vor den Kriegen wurden die Räume als Gasthaus "Zur Goldenen Sonne" genutzt. Das Sonnenlicht blieb dem Gasthaus nicht ewig erhalten, und der Betrieb wurde aufgelassen. Was danach passiert ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das zuletzt ein türkisches Kulturzentrum war.

Wir haben notdürftig umgebaut, den Boden geschliffen und lackiert und die Veranda repariert und verglast. Es war viel Arbeit. Ein paar Jahre später habe ich dann auch noch den zweiten Teil nebenan dazugemietet und mich dort mit meinem Atelier niedergelassen. Damals hab ich für das Tanz-Ensemble Live-Lichtzeichnungen gemacht. Es war eine unendlich spannende Zeit.

Fotos: Lisi Specht

Vor 20 Jahren habe ich beschlossen, meine Wohnungen in Paris und in der Schweiz aufzugeben und mich hier voll und ganz anzusiedeln – mit Wohnung, Atelier, Tanzstudio und allem Drum und Dran. Manchmal ist es eine 130 m² große Wohnung im Hochparterre, manchmal ein Probenraum für meine Tanzfreunde, manchmal ein Film- und Fotostudio. Je nachdem, wie es sich ergibt. Meine Schlafstatt schlage ich dort auf, wo gerade Platz ist.

Ja, in gewisser Weise lebe ich wie ein ewiger Student. Aber ich mag das. Ich brauch den unentwegten Wandel mit Scheinwerfern, schwarzem Tanzboden, Filmwänden, Paravents, aufgespannten Screens und fremden Menschen rundherum. Das finde ich viel spannender als ein ganz normales Standardwohnzimmer. Vom Ansatz her ist das Leben hier ein japanisches: Der Raum ist leer und wird nur mit dem bestückt, was man gerade benötigt.

Fotos: Lisi Specht

Die Möbel werden ständig hin und her geschoben. Es schaut alle paar Wochen anders aus. Die meisten dieser Möbel habe ich geschenkt bekommen. Die Couch stammt von meinem Grafiker, die beiden Fauteuils hat mir mein Anwalt geschenkt. Ganz wichtig: Neben meinem Computer steht eine Eieruhr. Die stelle ich jeden Tag auf exakt 45 Minuten. Wenn's klingelt, steh ich auf und geh. Weil sonst frisst mich diese Kiste noch auf.

Vor vielen Jahren ist mein Vater gestorben. Unter den Erbstücken befand sich ein alter Tonspulen-Anrufbeantworter. Sentimentaler Sammler, der ich bin, habe ich ihn verwendet. Tja, eines Tages hat sich die Spule verfangen, ein Funke, eine Stichflamme, und, zackebumm, mein Atelier stand in Flammen! Die Veranda ist komplett ausgebrannt, ich habe Zeichnungen verloren, und ja, es ist ein Schmerz, wenn ein Teil des eigenen Ichs zerstört wird. Das kratzt am Ego. Das bringt einen dazu, das eigene Leben neu zu sortieren.

Fotos: Lisi Specht

Seit damals weiß ich, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Auch nicht die Wohnung. Immer wenn ich von zu Hause weggehe, freunde ich mich mit dem Gedanken an, dass die Türe vielleicht zum letzten Mal ins Schloss gefallen ist. Ich war nie sonderlich materialistisch, aber ich bin es heute weniger denn je. Mein Leben trage ich in meinem Hirn und Herzen mit. Und Farben, mein Gott, kann man überall kaufen! Wenn ich Heimat spüren will, fahre ich nach Laxenburg und umarme meine Lieblingsbäume. Das sind die gleichen, auf denen ich schon mit sechs Jahren herumgeklettert bin." (17.5.2016)