Kein Zinshaus gleicht dem anderen, sind sich Experten einig. Manche stehen ohne Fundament da, andere stehen auf Stelzen.

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Ein klassisches Wiener Zinshaus hat schon viel erlebt: historisch bedeutsame Bewohner vielleicht, mehr oder weniger professionelle Umbauarbeiten, um das Haus an veränderte Wohnbedürfnisse anzupassen, oder die Abrisse benachbarter Bauten. Im Idealfall blieb es bei alldem stets standfest.

Manchmal sorgt diese Standfestigkeit bei Experten aber auch für Verwunderung. So mancher, der mit Zinshäusern zu tun hat, weiß von diversen Überraschungen zu berichten: von fehlenden Fundamenten zum Beispiel. "Normalerweise müsste ein solches Fundament einen Meter dick sein", sagt Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der Wiener Wirtschaftskammer. Er hat aber auch schon Häuser gesehen, die auf nur einer Schicht Ziegelsteinen gestanden sind – und das seit hundert Jahren. Jedes Zinshaus sei daher eine "Black Box", so Ulreich: Was drinsteckt, weiß man im Vorhinein nicht.

Wer sich ein Zinshaus zulegen will, ist daher mit einer Due Diligence durch einen Bausachverständigen gut beraten, betont Daniel Tomanek, zertifizierter Sachverständiger für Immobilienbewertung bei Otto Immobilien. Besonders lohnend bei der Evaluierung des Zustandes sind der Blick ins Dachgeschoß sowie ins – und auch unters – Untergeschoß: Dort sieht auch Tomanek für seine Bewertungen zuerst nach und klopft beispielsweise den Dachstuhl ab: "So sieht man, ob er noch eine feste Struktur hat oder durch Schädlinge oder Braunfäule seine Tragfähigkeit verloren hat."

Wohnen wie in Venedig

Zu den unbeliebtesten Mitbewohnern im Zinshaus zählt zweifelsohne der Hausbock, als Großer Holzwurm bekannt. Die "größte Bedrohung für das Zinshaus" ist aber laut Tomanek der Echte Hausschwamm – ein holzzerstörender Pilz, der organische Stoffe befällt und mühelos durch ein Ziegelmauerwerk wachsen kann. "Wenn man auf den trifft, wird es schwierig, weil man erst nach vielen Prüfungen herausfinden kann, welche Teile des Hauses tatsächlich befallen sind."

Entlang des Donaukanals und in Überschwemmungsgebieten stehen viele Häuser zudem auf Pfählen, um Standfestigkeit auf tiefer liegendem, tragfähigerem Boden zu bekommen: "Wenn diese Piloten immer feucht sind, so wie in Venedig, dann ist das kein Problem", sagt Ulreich. Durch die Donauregulierung seien diese Pfähle aber erst im Feuchten, dann im Trockenen gestanden – und dadurch morsch geworden. "In vielen Gegenden Wiens stehen die Häuser auf Piloten, die es nicht mehr gibt", so Ulreich.

Zur Beruhigung: Sinkt das Haus ab, dann sieht man das rasch – durch schräge Risse in der Fassade zum Beispiel, oder Türen, die sich plötzlich nicht mehr schließen lassen. "Aber selbst solche Häuser können teilweise ohne Ausmietung der Bewohner saniert werden", sagt Tomanek.

Brachliegende Keller

Noch ein potenzielles Problem: Die Kanäle unter den Zinshäusern sind laut Ulreich oft über die Jahre undicht geworden und unterspülen das Fundament. "Da kann es zu Ausspülungen kommen – theoretisch bis zum Einsturz." Auch die Keller der alten Häuser können ein Problem darstellen: "Zahlreiche Keller liegen brach", sagt Tomanek. Denn in manche würde immer wieder Wasser von unterirdischen Wiener Bächen eintreten. "Da kann man nicht viel machen."

Viele Keller hätten zudem eine "gewisse Grundfeuchtigkeit" – und dennoch all die Jahre lang gut funktioniert: "Diese Keller hatten früher nur Gitter statt Fenstern, die aufsteigende Mauerwerksfeuchtigkeit wurde so gut abtransportiert", so Tomanek. Im Zuge von Sanierungen werde nun oft der Boden betoniert, und Fenster würden eingebaut. Das ist laut dem Experten "superschlecht" für die Keller, weil die Feuchtigkeit dann die Wände hinaufsteigt – bis in die Erdgeschoßwohnungen. Das könne beispielsweise durch Einspritzungen im Mauerwerk unterhalb der Wohngeschoße verhindert werden. "Dem Keller selbst bringt das meist aber nichts", so Tomanek. Oft ist laut Ulreich auch Kondenswasser im Keller ein Problem: Denn die Luftfeuchtigkeit ist besonders im Sommer hoch, die Wände sind kalt: "Ich wurde schon zu Rohrgebrechen im Keller gerufen, und in Wirklichkeit war es Kondenswasser."

Frage der Lage

Grundsätzlich gibt es bei Zinshäusern eine große Bandbreite, sind sich die Experten einig: "Es gibt Häuser, die top sind", so Ulreich, "und es gibt welche, die man wegreißen kann." Das hänge davon ab, wie sie gepflegt wurden – und auch davon, wie sie gebaut wurden. In den Innenbezirken wurden oft hochwertige Materialien verwendet, in den äußeren Bezirken musste es beim Bau schnell gehen, um mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt zu halten. "Da wurde mit minderwertigen Materialien gearbeitet", so Tomanek.

Wirklich unlösbare Mängel sind ihm noch nie untergekommen. Denn selbst ein seit hundert Jahren fehlendes Fundament kann heute noch im Nachhinein errichtet werden. "Technisch machbar ist so gut wie alles", sagt Tomanek. "Es ist nur immer die Frage, ob man das Geld investieren kann – oder möchte." (Franziska Zoidl, 19.5.2016)