Eine Gang-Geschichte aus Harlem: "The Cool World" (1963) von Shirley Clarke ist ein Klassiker des afroamerikanischen Kinos.

Foto: Zipporah Films, Inc., www.zipporah.com

Wien – Von dem Reverend L. O. Taylor, der in den 1930er- und 1940er-Jahren in Memphis vor Baptisten predigte, erzählt man sich, dass er ein fesselnder Prediger war. "Er stand nie still." Taylor blieb aber vor allem aus einem Grund in Erinnerung: Er sprach nicht nur von Gott, er zeigte auch Filme und machte selbst welche. Das Leben der afroamerikanischen Community in den Südstaaten während der frühen Bürgerrechtsbewegung fand in Taylor einen bedeutenden Chronisten.

Lynne Sachs, die sich selbst als "experimentelle Dokumentarfilmemacherin" versteht, drehte 2004 mit Sermons and Sacred Pictures ein Porträt von Taylor, auf das Christian Kravagna in dem Titel seines Filmprogramms Cool Worlds & Sacred Pictures für das Mumok-Kino Bezug nimmt. Dass von "heiligen Bildern" die Rede ist, wenn es um die sozialen Fragen des Südens geht, hat mit der tiefen Religiosität der Menschen in diesen Gegenden zu tun: Taufszenen, typischerweise in einem Fluss, zählen zu den wiederkehrenden Bildern, der Jordan, der das Gelobte Land umgrenzt, ist ein mythisches Bild.

Die National Baptist Convention war die größte afroamerikanische Organisation in den USA, deswegen war L. O. Taylor in einer exzellenten Position, die zunehmenden Bemühungen um Emanzipation und Überwindung der Segregation von den Anfängen an wahrzunehmen. "He would tell about it", erinnert sich eine der Zeitzeuginnen, die Lynne Sachs zu ihren Erinnerungen an Taylor befragt hat. The Negro in Church Life, so hieß der Film, bei dessen Vorführungen sich die Menschen als Protagonisten ihrer eigenen historischen Rolle begreifen lernten.

Das Porträt von Taylor wird in Cool Worlds & Sacred Pictures von zwei weiteren Programmpunkten umgeben: einem kurzen Einblick in das Fieldwork Footage der engagierten Anthropologin Zora Neale Hurston, die aus Alabama stammte und in New York mit der Harlem Renaissance in Verbindung kam, einer vor allem künstlerisch aktiven afroamerikanischen Bewegung. 1927 ging sie in den Süden, um dort als "Folkloristin" zu arbeiten, also als Erforscherin und Bewahrerin von Volkstraditionen.

"Cold killer" im Ghetto

Den Abschluss des Filmabends bildet ein Klassiker des afroamerikanischen Kinos: The Cool World von Shirley Clarke ist nominell ein Spielfilm, basierend auf einem Stück von Robert Rossen und Warren Miller, die wiederum einen Roman von Miller bearbeiteten. In vielerlei Hinsicht ist diese Gang-Geschichte aus Harlem (eine Generation nach der Renaissance) allerdings mindestens halbdokumentarisch, denn so wie hier hatte man davor das Leben in diesem Teil von New York noch nicht gesehen.

Hampton Clanton spielt Richard "Duke" Curtis, einen Heranwachsenden, der sich in einer Gang mit dem Namen The Royal Pythons zu profilieren versucht. Dazu braucht er eine Waffe, denn nur ein "cold killer" gilt etwas auf den Straßen des Ghettos (dieser Begriff wurde damals noch unbefangen gebraucht).

Carl Lee, der mit Shirley Clarke das Drehbuch schrieb, ist in der Rolle des Priesters selbst zu sehen, und Mel Stewart, der später in der Sitcom All in the Family einen der Jeffersons spielte, hat eine kleine Rolle. Das war dann schon ein Versuch, die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung in populäre Kultur zu überführen.

In The Cool World hingegen ist nicht das Familienfernsehen das angestrebte Ideal, sondern hier ist noch der Jazz (vertreten durch Dizzy Gillespie) der relevante künstlerische Bezugspunkt, und das schillernde Wort "cool" wird in all seinen Implikationen verstehbar: von den Distinktionsbemühungen ausgegrenzter Gruppen zu der vorgeblichen Ungerührtheit von jungen Leuten, denen Härte als eine soziale Strategie vorgegeben scheint. (Bert Rebhandl, Spezial, 14.5.2016)