Mildred (Ruth Negga) und ihr weißer Mann (Joel Edgerton) in einem Film des US-Regisseurs Jeff Nichols, der in Nuancen und ohne erhobenen Zeigefinger über die Verweigerung der Bürgerrechte in den USA nachträglich erzählt. Mildreds erster Satz, der den Ton vorgibt: "Ich bin schwanger!"

Die ersten paar Bilder eines Films setzen den Ton. Das ist eine dieser ungenauen Regeln, auf die man sich bei einem Filmfestival gerne verlässt. In "Loving" von Jeff Nichols funktioniert es. Man sieht die dunkelhäutige Mildred (Ruth Negga) in Großaufnahme, ein stiller, gespannter Moment bei Dunkelheit. Es vergehen ein paar Sekunden, bis sie spricht. "Ich bin schwanger." Mehr nicht.

Gegenschuss auf den Mann. Er ist weiß, besonders weiß, möchte man sagen. Joel Edgerton hat sich für die Rolle die Haare blond gefärbt. Ganz langsam formt sich auf seinem Gesicht der Ausdruck der Freude. "Das ist gut."

"Loving" ist der Nachname dieses Paares. Um zu heiraten, müssen sie in den benachbarten Bundesstaat aufbrechen. Daheim in Virginia ist es verboten. Der Film erzählt eine wahre Geschichte. Die Lovings wurden in den späten 1950er-Jahren für ihre Ehe verurteilt. Um dem Gefängnis zu entgehen, mussten sie Virginia verlassen. Erst ein Jahrzehnt später, im Zuge der Bürgerrechtsbewegung, greifen Anwälte die Angelegenheit dann wieder auf. Vor dem Obersten Gerichtshof wird die Diskriminierung des Paares zum Präzedenzfall.

US-Regisseur Jeff Nichols hat schon mehrmals bewiesen, wie gut er sich auf den Geist von Südstaatendramen versteht. In "Loving" unterläuft er Erwartungen, indem er die Intimität der ersten Einstellung beibehält. Statt auf Pathos und erhobenen Zeigefinger setzt er auf die Überzeugungskraft eines nuancenreichen Films, der sich vor allem auf das innere Drama einer Familie konzentriert.

Edgerton spielt den ehrlichen Working-Class-Kerl, der eigentlich wie ein Redneck-Fiesling aussieht, in einer besonders stimmigen Balance aus Tumbheit und Einfühlsamkeit, Negga die kämpferische Person der beiden, die sich etwas mehr in der Öffentlichkeit exponiert. Aus dem durch das Exil beeinträchtigte Familienleben schmiedet der Film das triftigste Argument gegen die Verweigerung der Bürgerrechte.

Nichols Inszenierung ist so klassizistisch wie die eines Clint Eastwood gehalten. Elegant und detailschön ist es, wie er Ausstattung, Lichtsetzung und kräftige Farben in den Dienst eines Dramas stellt, das zugleich elegisch wie auch außerordentlich expressiv zu leuchten versteht.

Das Kino des US-Independent-Veteranen Jim Jarmusch ist dieser Tonart diametral entgegengesetzt: cool, fragmentarisch, lakonisch. Auch in "Paterson" gibt es ein Liebespaar, das innig zusammenhält. Er (Adam Driver) heißt so wie die Stadt, durch die er als Busfahrer kurvt. In seinen Pausen schreibt er Gedichte in ein Notizbuch, deren Lob der kleinen Dinge im Geiste von William Carlos Williams verfasst ist. Sie (Golshifteh Farahani) nutzt ihre Kreativität dazu, das Eigenheim ständig um Schwarz-Weiß-Muster zu erweitern.

Das Besondere im Alltag

Als ironisch-liebevolle Ode an Menschen, die sich einer Kunst hingeben, die ihnen selbst genügt, ist "Paterson" wohl angelegt. Er will im Alltäglichen das Besondere, die Epiphanie betonen. Das gelingt in den Stadtszenen, in einer kleinen Bar oder im Bus, noch am überzeugendsten. Doch vieles andere wirkt zu gesetzt und zu forciert. In der Darstellung des Paares (mit grimmiger Bulldogge) lässt es Jarmusch selbst an Esprit vermissen.

An Maren Ades hinreißendes Vater-Tochter-Duell "Toni Erdmann", das in Cannes noch das ganze Pfingstwochenende nachstrahlte, konnten letztlich beide Filme nicht heranreichen.(Dominik Kamalzadeh, 16.5.2016)