Foto: iStock

STANDARD: Es ist eine große Suche nach neuen Organisationsformen im Gang. Was tut sich aktuell wirklich in Unternehmen?

Ayberk: Es ist eine große Sehnsucht da, nach einem Aufbrechen starrer Strukturen, nach Selbstorganisation, nach Leichtigkeit. Das geht durch alle Etagen der bestehenden Unternehmenspyramiden. Mitarbeiter wollen endlich zeigen, was sie können, ernst genommen werden. Das mittlere Management ächzt schon lange im Sandwich. Sie müssen derzeit nach wie vor die oft strikten Vorgaben des Topmanagements umsetzen und gleichzeitig Freiräume für anspruchsvolle Mitarbeiter in den weitverbreiteten Projektorganisationen gewähren.

STANDARD: Wie geht es den Topmanagern?

Ayberk: Dort herrscht oft Unverständnis, dass bisherige Erfolgsrezepte jetzt auf einmal nicht mehr wirken sollen. Man ist doch wer und hat es zu etwas gebracht, sonst wäre man ja nicht hier. Warum soll das plötzlich nicht mehr reichen? Gleichzeitig sind die Topmanager gezwungen, sehr kurzfristig und eng zu denken und zu handeln. Sehen Sie sich nur die befristeten Verträge und die Kriterien für die Leistungsbewertung an. Hier sind Eigentümervertreter gefordert, in vielen Fällen also der Aufsichtsrat.

STANDARD: Und das Laboratorium der neuen Organisation?

Ayberk: In der Vollausbaustufe ganz vorn wird derzeit Holacracy gehandelt. Eine wirklich bemerkenswerte und bis ins Detail durchdachte Form der radikalen Selbstorganisation ohne Führungskräfte im herkömmlichen Sinn – entwickelt von einem ehemaligen Software-Engineer. Holacracy kann als eine Art "Best of Sozial- und Organisationstechniken" bezeichnet werden.

Ich habe mich intensiv damit beschäftigt und es bis zum Holacracy-Practitioner gebracht. Wichtig für mich war der intensive Austausch mit Unternehmen, die schon seit mehreren Jahren diese junge Steuerungspraxis für Unternehmen anwenden. Und hier liegt wohl auch die größte Hürde. Holacracy kann für einige Unternehmen unter ganz bestimmten Umständen ein guter Ansatz sein, aber wird in nächster Zeit nicht die Breitenwirkung erreichen, die viele enthusiastische Berater voraussagen.

STANDARD: Agilität ist ja eines der Schlagworte ...

Ayberk: Es zahlt sich aus, dort hinzusehen. Viele dieser agilen Ansätze haben sehr hilfreiche Elemente, die Führungskräfte und Mitarbeiter schon jetzt nutzen können. Und das passiert auch in der Praxis. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit neuen Führungs- und Steuerungsansätze und entwickeln diese dann weiter. Es gibt also die Tendenz, dass es nicht mehr den einen richtigen Ansatz, sondern nur mehr die für die jeweilige Organisation passende Praxis gibt. Ganz und gar nicht zur Freude so mancher externer Experten und Berater, die oft nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip vorgehen und eine bestimmte Methode als das einzig Wahre verkaufen.

Die eine neue Organisationsform gibt es – noch – nicht. Aber verschiedene Formen der Co-Creation und Designansätze erleben gerade einen richtigen Höhenflug. Oft geht diese Entwicklung von den kundennahen Bereichen und der Produktentwicklung aus. Durch diese interdisziplinäre und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit kommt nicht nur Methodenkompetenz in die Unternehmen, sondern verändert sich auch die Einstellung aller Beteiligten. Man kann fast sagen: Methode schafft Mindset. Voraussetzung dafür: Offenheit und keine Angst vor einem ergebnisoffenen Prozess. (Karin Bauer, 21.5.2016)