Personalabteilungen in Unternehmen setzen Algorithmen ein, die das Internet nach relevanten Informationen über den Bewerber durchkämmen und auf dieser Grundlage ein detailliertes Psychogramm erstellen. Das Personalmanagementunternehmen Workday etwa vergleicht in seiner Datenbank die Karrierewege und Fluktuationen in Unternehmen aus insgesamt über einer Milliarde Jobangeboten und Social-Media-Profilen.

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Das Bewerbungsverfahren folgt für gewöhnlich einem bestimmten Muster: Man schickt seinen Lebenslauf, ein persönliches Anschreiben, Zeugnisse und Zertifikate an die Personalabteilung, die die Unterlagen prüft. Geeignete Bewerber werden zum Gespräch geladen, der große Rest erhält eine freundliche Absage. So war das bisher.

Wer braucht schon einen Lebenslauf

Doch in Zukunft könnte der Lebenslauf weit weniger wichtig sein. Im Internet stehen massenhaft Daten zur Verfügung, die Auskunft über die Bewerber geben können. Was sind seine Hobbys? Welche Musik hört er? Welche Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit lassen sich daraus ziehen?

Personalabteilungen in Unternehmen setzen Algorithmen ein, die das Internet nach relevanten Informationen über den Bewerber durchkämmen und auf dieser Grundlage ein detailliertes Psychogramm erstellen. "Ich schaue nicht länger auf den Lebenslauf, um zu entscheiden, ob wir sie zum Vorstellungsgespräch einladen oder nicht", sagte Teri Morse, die Personalchefin des IT-Dienstleisters Xerox. Stattdessen analysiert ihr Team massenweise persönliche Daten. Xerox kooperiert mit dem Big-Data-Unternehmen Evolv, das Umfragen über Beschäftigte durchführt und daraus Verhältnismäßigkeiten und Verhaltensmuster ableitet. Evolv hat bereits 500 Millionen Datenpunkte gesammelt – von der Wohnortnähe bis zum Gehalt.

Was ein Browser aussagen kann

So hat das Unternehmen festgestellt, dass Bewerber, die einen neuen Browser auf ihrem Rechner installiert haben, meist High Performer sind und 15 Prozent länger auf ihrem Posten bleiben. Die Wahl des Browsers sagt zuweilen mehr aus als ein Zeugnis. Für seine Callcenter hat Xerox interessierte Bewerber einem Screening-Test unterzogen. Die Daten wurden dann an Evolv geschickt und ausgewertet.

Berufserfahrung kein Indikator für Erfolg

Ergebnis: Angestellte, die in einem oder zwei sozialen Netzwerken angemeldet waren, blieben länger bei ihrem Job als solche, die in mehreren sozialen Netzwerken registriert waren. Und noch eine überraschende Erkenntnis förderte die Big-Data-Analyse zutage: Die Berufserfahrung ist kein Indikator für den zukünftigen Erfolg. Das widerspricht so ziemlich jedem Grundsatz eines Personalers. "Es öffnet Türen für Leute, die aufgrund ihres Lebenslaufs niemals zu einem Gespräch eingeladen worden wären", sagte Xerox' Personalchefin Morse der Financial Times. Der richtige Browser kann zum Türöffner werden. Nicht der Lebenslauf, sondern Daten entscheiden künftig über die Karriere.

Videospiele statt Vorstellungsgespräch

Manche Unternehmen setzen gar auf Computerspiele bei ihrem Einstellungsprozess. Das Start-up Knack in Palo Alto, Kalifornien, lässt seine Bewerber Videospiele spielen, um ihre Kreativität und Multitasking-Fähigkeit zu testen. In einem Spiel, Wasabi Waiter genannt, schlüpfen die Kandidaten in die Rolle eines Kellners in einem Sushi-Restaurant.

Wie im echten Leben muss der Kellner Kundenwünsche erkennen und mehrere Bestellungen gleichzeitig entgegennehmen. Jede Entscheidung wird in ein Datenpaket umgewandelt, das von findigen Algorithmen ausgewertet wird. Wasabi Waiter ist nach der ökonomischen Spieltheorie modelliert und soll Entscheidungen in Echtzeit analysieren. Eine Viertelstunde reicht, um ein Megabyte Daten zu generieren. Die Software destilliert aus diesen Daten dann Charakterzüge. Wer sich beim virtuellen Sushi-Tellerverteilen gut schlägt, hat am Ende beste Chancen auf den Job. Das Start-up ist überzeugt, mit diesem Verfahren die besten Bewerber herauszufiltern.

Daten wandern in Hände der Arbeitgeber

Schon 1670 schrieb der englische Schriftsteller Richard Lindgard: "Wenn du die Gemütsart eines Mannes lesen willst, sieh ihn spielen. Du wirst in einer Stunde mehr über ihn lernen als in sieben Jahren Konversation." Auch IBM, die Hotelkette Marriott und die US-Army experimentieren mit Gamification-Elementen bei der Einstellung von Bewerbern.

Der entscheidende Unterschied ist, dass die Daten nicht vom Bewerber selbst erhoben werden (etwa in Form eines Lebenslaufs oder Anschreibens), sondern vom Arbeitgeber. Der Manager Jay Goldman, Koautor des Buches The Decoded Company: Know Your People Better than You Know Your Customers, argumentiert, dass Anschreiben oder Antworten im Gespräch stets ein Bias, also eine Verzerrung, innewohnt. Der Lebenslauf wird geschönt, das Anschreiben mit wohlklingenden Formulierungen aufgehübscht oder die bohrende Frage im Bewerbungsgespräch mit einer Floskel pariert, wie sie in einschlägiger Ratgeberliteratur zuhauf zu finden ist.

Können Daten lügen?

So entstehe ein verzerrtes Bild des Kandidaten, das unter Umständen nicht der Realität entspricht. Die datenzentrierte Bewerberauswahl sei letztlich ein verlässlicheres Verfahren, weil es ein ungeschöntes Bild des Bewerbers zeige. Daten lügen nicht. Das jedenfalls wollen uns die Datengurus aus dem Silicon Valley weismachen.

Nicht soll mehr dem Zufall überlassen werden. Mithilfe von "predictive analytics" wollen Unternehmen sogenannte "Fluchtrisiken" identifizieren, das heißt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Mitarbeiter kündigt. Auch hier geht es um Mustererkennung und jede Menge Daten.

"Wissen", was keiner weiß

Das Personalmanagementunternehmen Workday etwa vergleicht in seiner Datenbank die Karrierewege und Fluktuationen in Unternehmen aus insgesamt über einer Milliarde Jobangeboten und Social-Media-Profilen. Wenn andere Beschäftigte in einer ähnlichen Position mit vergleichbarer Qualifikation nach durchschnittlich zwei Jahren ihren Job kündigten, könnte der Algorithmus dem Vorgesetzten eine Nachricht des Inhalts senden, dass der Angestellte Wechselabsichten hegt.

Im Idealfall weiß der Chef schon vorher, wann sein Mitarbeiter den Dienst quittiert – noch bevor sich dieser überhaupt um eine andere Stelle bewirbt. Das klingt nach Big Brother. Doch dahinter steckt knallharte Statistik. Die Chefs können ein Frühwarnsystem installieren und versuchen, den Wechselwilligen zu halten. Kündigungen mit nötiger Neuanstellung sind für Unternehmen auch ein Kostenfaktor. Für Unternehmen besteht ein Anreiz, talentierte Mitarbeiter und solche in Schlüsselpositionen an Bord zu behalten.

Kündigung vorhersagen

Die Ultimate Software Group hat ein Programm entwickelt, das anhand zahlreicher Faktoren wie Vergütung, Leistungsbeurteilungen und Anstellungsdauer die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels errechnet. "Eines der Dinge, die die Leute finden wollen, ist der eine Nugget, die eine Schlüsselsache, die mit einer Kündigung korreliert", sagte Datenanalyst Thomas Daglis dem Wall Street Journal. Die Firma fand bei einem Kunden eine Korrelation zwischen den Mitarbeitern, die Boni ausschlugen, und deren Kündigungsrate.

Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob die ganzen Probabilitäten und Korrelationen nicht einen Scheinzusammenhang nahelegen. Nur weil man eine Vergütung ausschlägt, muss das ja nicht heißen, dass man Wechselabsichten hegt. Genauso wenig ist man gleich ein High Performer, nur weil man einen neuen Browser installiert.

Was Daten nicht aussagen

Methodisch scheinen die Modelle angreifbar. Und auch in Sachen Datenschutz scheint es problematisch: Woher kommen all die Daten? Ali Behnam, Mitbegründer der Headhunting-Agentur Riviera Partners im Silicon Valley, sagt im Gespräch mit dem STANDARD: "Die Analyse kann als Wegweiser dienen, aber Maschinen werden nicht herauspicken können, warum eine Person eine bestimmte Karriereentscheidung getroffen hat, etwa weil sie sich um ihren kranken Ehepartner kümmern mussten oder das Kind Nachhilfe in der Schule brauchte."

Das erkennt der Algorithmus natürlich nicht. Der Mensch muss schon die Daten oder diese letzten zehn bis 20 Prozent Informationen aufbereiten, um ein genaues Bild des Bewerbers zu bekommen. Allein, die Vorauswahl trifft die Maschine. (Adrian Lobe, 24.5.2016)