Zwei Welten sind in diesem Wahlkampf aufeinandergeprallt: Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer sind nicht nur vom Naturell her sehr unterschiedlich, sondern auch von ihrem Zugang zur Politik. Das wurde am deutlichsten beim unmoderierten ATV-Duell. Im Mittelpunkt aller Auseinandersetzungen stand die Frage, wie sie das Amt des Bundespräsidenten ausüben würden. Keine Wählerin und kein Wähler kann hinterher sagen, man habe nicht gewusst, was kommt.

Den meisten war vermutlich bis zu diesem Wahlkampf nicht bewusst, welche Macht die Verfassung dem Bundespräsidenten seit der Novelle von 1929 in Österreich einräumt, auch wenn Thomas Klestil durch die Verweigerung der Angelobung einzelner FPÖ-Minister schon einmal – wenn auch eingeschränkt – davon Gebrauch gemacht hat. Das Staatsoberhaupt, durch die Direktwahl stark legitimiert, kann den Nationalrat auflösen und die Regierung entlassen. Das ist ein autokratisches Element, das in der Zweiten Republik noch nicht angewendet worden ist und die Möglichkeit einer Präsidialdiktatur enthält.

Realverfassung

Das Staatsoberhaupt richtete sich bisher nach der Realverfassung und nicht nach der rechtlichen Verfassung. Der Bundespräsident agierte je nach Situation als Staatsnotar, Grüßaugust, Mahner, Zwischenrufer oder Türöffner für die Wirtschaft bei Auslandsreisen. Die ihm eigentlich eingeräumten Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung hat der Bundespräsident auch deshalb nicht genutzt, weil er ohnehin immer ein Schwarzer oder Roter war, also aus einer jener Parteien, die meist gemeinsam in der Regierung saßen.

Erstmals zieht nun kein SPÖ- oder ÖVP-Vertreter in die Hofburg ein. Und beide Kandidaten haben angekündigt, die Möglichkeiten des Amtes stärker nutzen zu wollen: Hofer will eine Regierung entlassen, wenn ihm deren Arbeit nicht gefällt. Van der Bellen will eine Regierung nicht angeloben, wenn ihm deren politische Einstellungen nicht passen.

Während der grüne Langzeitchef versucht hat, sich im Wahlkampf als Unabhängiger zu präsentieren, hat der FPÖ-Kandidat keinen Hehl daraus gemacht, dass er freiheitliche Positionen vertritt. "Davon werde ich auch nach der Wahl keinen Millimeter abgehen."

Unterschiedliche Wege

Beide haben sich bemüht, niemanden zu verprellen: Van der Bellen wollte nicht zu links erscheinen, er warb sogar um katholische Wähler; Hofer bemühte sich, die rechte Politik der FPÖ soft erscheinen und seine deutschnationale Gesinnung in den Hintergrund treten zu lassen.

Beide beschreiten unterschiedliche Wege: Der eine steht für Weltoffenheit, der andere für Abschottung. Während Van der Bellen keine radikale Kehrtwende will, ist der mögliche Kurs Hofers weit weniger klar. Seine Ankündigung, dass man sich noch wundern werde, was alles möglich sei, klingt für die einen wie eine gefährliche Drohung, für andere wie eine Verheißung. Das mögliche blaue Wunder in Österreich erklärt auch das Interesse im Ausland am Wahlausgang.

Der Denkzettel, den viele am 24. April ausgefüllt haben, hat Wirkung gezeigt: Der Kanzler ist abgetreten, vier Kabinettsmitglieder wurden ausgetauscht. Diesmal könnte aber der Denkzettel zum Freibrief werden. Dass das vielen bewusst ist, zeigt die Polarisierung, die in den vergangenen Wochen im Land wahrzunehmen war. Diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung. (Alexandra Föderl-Schmid, 20.5.2016)