Foto: Katrin Ribbe

Nur einer von mehreren originellen Regieeinfällen: Im "Theater der Revolution" treffen Debuisson und Robespierre als Comicfiguren u. a. zum Faust- und Kettensägenkampf aufeinander.

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Die drei Emissäre als Tricolore.

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Corinna Harfouch spricht zuweilen mit eigener Stimme, und erntet dafür Applaus. Im Vordergrund: Die Tentakel von Delphi.

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Wien – Ein Jahr nach dessen Entstehung las Heiner Müller 1980 sein Stück Der Auftrag ein. Mit monotoner Stimme trägt er diese Erinnerung an eine Revolution in Frankreich und Jamaika vor. Mit Hintergrundrauschen bricht sie im Theater an der Wien aus den Lautsprechern.

Tom Kühnel und Jürgen Kuttner haben den Mitschnitt zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierung (einer Koproduktion des Schauspiels Hannover mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen) genommen. Und als Träger für eine reichhaltige Szenencollage. Die Schauspieler bleiben während dieser weitestgehend stumm, bewegen bloß die Münder. Bei so viel akustischer Originaltreue, nimmt sich dafür die Szenerie reichlich Freiheiten.

SchauspielHannover

Varieté der Revolution

Die selbige prangt als "Liberté, Égalité, Fraternité" auch über der Bühne. Der Vorhang ist noch ein bisschen schimmernder rot und üppiger gerafft, als er sein müsste: die Rampe ist das weit offene Tor zu einem Varieté der Revolution. Der missglückten. In Paris hat soeben Napoleon die Macht übernommen, dieweilen tun auch die drei vom Konvent nach Jamaika entsandten Emissäre brieflich ihr Aufgeben kund: sie haben die "Neger" nicht zum Aufstand geführt.

Im Gegenteil: Der eine wurde gehängt, der andere zum Verräter der Sache, der dritte hat ein Bein und darauf das Leben verloren. In Empfang nimmt die bittere Botschaft eine Kaffeekanne. Schwer von der neuen Lage getroffen, müsste das unschuldsweiße Porzellan eigentlich schon in Scherben am Boden liegen. Es bekundet sein Leiden stattdessen zu Billie Holiday.

Szenisch ideenreich

Müller selbst sei der beste Sprecher seiner Texte, glaubt das Regieduo, weil er nicht so tue, als ob er sie verstünde. Bietet der O-Ton zwar manch schöne und einprägsame Zeile ("Wir sind nicht gleich, ehe wir einander nicht die Haut abgezogen haben"): reizend ist er nicht.

Dafür ist der szenische Ideenreichtum zuständig. Die drei Emissäre etwa treten als Tricolore auf: Galloudec als rot gewandeter Dompteur, Sasportas, selbst ein Schwarzer, als Ergebnis einer (Achtung, ironisch!) Bluefacing-Kostümidee, und Debuisson (Corinna Harfouch) als weißer Harlekin. Auf der Schaukel vor einer Südstaatenvilla holt ihn, selbst Sohn eines Sklavenhalters, seine Jugend ein: mit verheißungsvollen Zungenschlag dressiert sie ihn wie mit ihrem Fingerschlag eine Parade weißer Pudel.

Harfouch, die selbst noch unter Müller an der Volksbühne in Berlin gespielt hat, hat damit die einzige mitunter auch selbstgesprochene Rolle des Abends inne. Durch die Zeit gereist präsentiert sie mit sächselndem Schlag den Monolog eines Angestellten im Aufzug – der bedeutet ihm, was dem Sklaven sein Käfig. Da ist das Publikum offenbar schon so erstaunt von dieser eigentlichen Form des Sprechtheaters, dass es euphorisch Zwischenapplaus spendet.

Geht doch an

Aber auch für den Rest gab es ausgiebige Zustimmung. Etwa für die Liveband Die Tentakel von Delphi, die mit Perkussion und Bass harte Töne anschlägt sowie treibende und frivol verspielte. Oder für das von Comicmasken dargebotene "Theater der Revolution", von den Darstellern fantasie- und liebevoll gemacht im Bühnenhinteren und auf die vor dem Publikum aufgespannte Leinwand übertragen. Gleich ergeht es Che, Mao, Marx und wie die ganzen Revoluzzer der jüngeren Weltgeschichte alle heißen, die man aus dem Keller geholt hat, um sie mit der Handkamera einzufangen.

"Was im Büro des Chefs geschieht, geht die Bevölkerung nischt an", heißt es an einer Stelle. Was für ein Irrtum. Das gilt über die DDR hinaus. Für die Hinterzimmer der Geschichte wie auch für die Bühne. (Michael Wurmitzer, 24.5.2016)