Die Hündin Lolabelle wird zur Lotsin durch Laurie Andersons "Heart of a Dog" und übernimmt dabei selbst künstlerische Tätigkeiten – nicht nur aufs Klavierspielen versteht sie sich.

Foto: Polyfilm

Wien – Die vorderen Plätze im Abspann von Laurie Andersons Heart of a Dog gehören den Hunden: ihrem geliebten Rat-Terrier Lolabelle (und seinen diversen Doubles), einem Schäferhund, einem Pudel. Dass sie unter der Bezeichnung "performers" aufgeführt werden, gehört zum Konzept: Als frei assoziierende Erzählung über Verlusterfahrungen, Erinnerung, staatliche Überwachung und buddhistische Lehre steht Heart of a Dog der Performancekunst ebenso nah wie dem Essayfilm.

Das Instrument dieser "Aufführung" ist dabei Andersons hyperpräsente Stimme; sie ist es, die dem Film erst seine Form verleiht und selbst die steilsten Gedankensprünge zusammenhält. Es ist keine Erzählerstimme, eher ein mitunter recht exzentrisch modulierter Sprechsingsang, eindringlich, ein wenig ironisch, ein wenig mit dem beschwörenden Gestus einer spirituellen Heilkur vorgetragen. Dagegen sind die von eigenen Kompositionen untermalten Bilder oftmals nur ein unkonturiertes Rauschen: Unschärfen, Farbflächen, Texturen, verfremdete Super-8-Home-Movies, Überwachungskameragepixel.

Die Musikerin, Schriftstellerin, Malerin und Performancekünstlerin Laurie Anderson verlor im Zeitraum von zwei Jahren ihren Hund, ihre Mutter und ihren Mann Lou Reed. Heart of a Dog ist ein entgrenztes Stück Trauerarbeit, das von diesen so verschiedenen Abschieden erzählt. Dabei geht der Film weit über den Rahmen eines Totenlieds hinaus. Gleich am Anfang erinnert sich die Künstlerin zu einer animierten Sequenz an einen Traum, in dem sie Lolabelle gebiert, nachdem ihr der ausgewachsene Hund auf ihren Wunsch hin in den Bauch eingenäht wurde. Der Scheidungshund ist das narrative und symbolische Zentrum des Films, um den sich der Gedankenfluss konzentrisch anordnet.

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Als Lolabelle erblindete, begann ihr kreatives Leben. Sie lernte Klavierspielen, abstrakte Malerei, außerdem produzierte sie kleine Skulpturen aus Plastillin, die sich – so Andersons Gedankendrifterei – auch als Snackschalen oder Hundepantoffeln eignen würden. Ähnlich anderen Filmen der jüngeren Zeit (etwa Pietro Marcellos Bella e perduta) öffnet sich auch Heart of a Dog für posthumanistische Perspektiven. So begibt sich die Kamera buchstäblich auf Augenhöhe mit dem Tier und schnüffelt in der Subjektiven auf Bodenebene durchs New Yorker West Village.

Geister und die Liebe

Beweglich sind nicht nur die Grenzen zwischen Mensch und Tier, sondern auch jene zwischen persönlicher Erinnerung und politischer Reflexion. Anderson registriert mit Besorgnis die steigende Präsenz der Sicherheitskräfte und Informationsdienste nach dem 11. September. Mit Wittgenstein im Gepäck sinniert sie über die Wirkungsmacht von Sprache und den Home-Security-Slogan "If you see something, say something". Sie wirft einen Blick auf das Utah Data Center der NSA und vergleicht den gigantischen Gebäudekomplex mit den ägyptischen Pyramiden. Sie zitiert das Tibetische Totenbuch, Kierkegaard und David Foster Wallace – "Every love story is a ghost story".

Man muss gewiss nicht jeder von Andersons Wendungen folgen. Aber immer wenn einem der Duktus ihrer kleinen spirituellen Lehrstunde zu massiv wird ("Leave behind agression, leave behind passion"), schlägt Anderson einen sanft humorvollen Ton an. Vor allem in ihren Kindheitserinnerungen zeigt sich die Filmemacherin als eine mitreißende Geschichtenerzählerin, die jeden Anflug von Getragenheit mit einer scharfsinnigen Bemerkung unterwandert. Nicht zuletzt lebt Heart of a Dog von den Leerstellen in und zwischen den Geschichten: Erst das letzte Bild im Film zeigt Lou Reed mit Lolabelle im Arm – "Turning time around. Yes, that is what love is". (Esther Buss, 25.5.2016)