Unterricht in homogenen Leistungsgruppen halten die Autoren des Bildungsberichts für obsolet.

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"Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden": Die Bibel – in diesem Fall Matthäus – wurde in Sachen Bildungsreform noch selten zitiert. Aber auch für Schulen gilt dieser sogenannte Matthäus-Effekt, sagte Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder bei der Präsentation des Nationalen Bildungsberichts am Mittwoch. Davon abgeleitet fordert er mehr Geld für Schulen mit vielen schwachen Schülern und eine bessere Verteilung von Schülern mit unterschiedlichen Leistungsniveaus auf verschiedene Klassen und Schulen.

Wenn etwa viele leistungsfähige Schüler, deren Eltern ebenfalls hochgebildet sind, gemeinsam in einer Klasse sitzen, "dann geht noch ein Stück mehr, als aufgrund der individuellen Kognition möglich wäre", sagt Eder. Im Widerspruch dazu kommt ein weiterer Malus hinzu, wenn Schüler mit "lernhemmenden" Effekten – etwa mit Migrationshintergrund, schlecht ausgebildeten Eltern oder Lernschwierigkeiten – gemeinsam unterrichtet werden.

Flüchtlinge auf Schulen in ganz Österreich verteilen

Die Konsequenz dieser Analyse muss laut Eder eine bessere Aufteilung von Schülern sein. Ein Fehler sei etwa, wenn man die vielen neu hinzugekommenen Flüchtlinge alle in Ballungsräumen unterrichtet; vielmehr müsste man sie auf alle Regionen in Österreich aufteilen, nur so ließe sich ein negativer Effekt vermeiden.

Die Zusammensetzung der Klassen an einer Schule solle zudem zufällig passieren, etwa alphabetisch. Auch die Auflösung der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufen und die Einführung der Gesamtschule würden demnach Abhilfe schaffen. Wenn eine bessere Verteilung der Schüler nicht möglich sei, müssten Brennpunktschulen als Ausgleich mehr Geld bekommen, sagt Eder. Er verweist dabei auf die indexbasierte Finanzierung des Schulsystems, die schon mehrfach diskutiert wurde und die auch die neue Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) einführen will.

Leistungsgruppen obsolet

Den Unterricht in homogenen Leistungsgruppen halten Eder und die weiteren Autoren des Bildungsberichts auch deshalb für obsolet. "Die Idee der Selektion ist überholt, insofern längst alle Kinder und Jugendlichen zu einem möglichst hohen Kompetenzniveau geführt werden müssen, um in einer Wissensgesellschaft zu bestehen", heißt es in einer Zusammenfassung des Berichts.

Eder räumt zwar ein, dass so leistungsstarke Schüler die Pluspunkte in einer Klasse mit anderen guten Schülern nicht abräumen können. Aber: "Wir haben eine ethische Verantwortung." Aus seiner Sicht ist es wichtiger, den Schaden von leistungsschwachen Schülern abzuwenden.

Bessere Weiterbildung

Neben einem Ende der Selektion und mehr Mitteln für Brennpunktschulen fordern die Autoren des Bildungsberichts auch eine stärkere individuelle Förderung und bessere Weiterbildungsangebote für Lehrer. Auch Schulleiter müssten besser ausgebildet werden.

Erstmals haben die Studienautoren ein Kapitel einer umfassenden Analyse der Volksschule gewidmet. Sie schlagen darin unter anderem vor, den Bildungsauftrag der Volksschule zu fokussieren. Derzeit sei dieser "umfassend und in übersichtlicher Weise verfasst". Auch eine Ausweitung der Unterrichtszeit an Volksschulen wird vorgeschlagen.

Angesichts der Diversität der Schüler, und um Mindestanforderungen vermitteln zu können, sei mehr Unterricht nötig. Die Autoren verweisen darauf, dass Österreich hier derzeit unter dem EU-Durchschnitt liegt. Während hierzulande Volksschüler jährlich 705 Stunden in der Schule sitzen, tun sie das innerhalb der EU 768 Stunden.

Bildungsministerin vermisst soziale Durchmischung

Für Bildungsministerin Hammerschmid zeigt der Bericht, dass die soziale Durchmischung an den Schulen nicht ausreichend gegeben ist, Bildung werde großteils immer noch vererbt. "Das muss sich ändern", erklärte sie in einer Aussendung.

Im Mittelpunkt müsse dabei die Frage stehen, wie die vorhandenen Potenziale der Kinder besser gefördert werden können. Dazu müsse eine neue Lernkultur etabliert werden. "Unsere Gesellschaft wird heterogener. Und das Klassenzimmer ist ein Spiegel dieses gesellschaftlichen Wandels. Wir müssen deshalb in der Pädagogik auf diese Vielfalt eingehen und gleichzeitig das Individuum besser fördern." (Lisa Kogelnik, 25.5.2016)