Wien – Michael Turinsky, 38, ist ausgebildeter Tänzer, Choreograf und studierter Philosoph. Dass er eine Körperbehinderung mit dem Namen Zerbralparese (CP) hat, ist erst einmal zweitrangig – aber dort, im Hintergrund, ausgesprochen wichtig. Im Tanzquartier Wien läuft noch heute (26. 5.) die Uraufführung seines neuen Solostücks Second Skin – turn the beat around: exzellent konzipiert, sehr ironisch und ein gut überlegter Zugriff auf die Popkultur in Form des tanzfreudigen Hip Hop.

Michael Turinsky

Dass ein Mensch mit Körperbehinderung mit beeindruckenden Ergebnissen tanzen kann, ist allgemein bekannt. Ob es bereits ebenso allgemein anerkannt ist, darf bezweifelt werden. Wer Merce Cunninghams Auftritt vor 16 Jahren im Volkstheater beim legendären Festivaltanz2000.at gesehen hat, wird dieses kurze, berührende Solo des damals bereits von Arthritis gezeichneten 81-Jährigen wohl nicht vergessen. Wer die japanische Troupe Taihen von Manri Kim kennt, oder die Arbeiten des deutschen Tänzer-Choreografen Raimund Hoghe, wird Erfahrung mit Qualitäten der Körpersprache von Menschen mit speziellen Körpern schätzen gelernt haben.

Mit Mausohren neben Dan Flavin

Eine spezielle Form dieser Qualitäten führt der Wiener Michael Turinsky in jedem seiner Stücke, die er selbst tanzt, vor. Durch die offensichtliche Selbstverständlichkeit seines Auftritts und das Fehlen aller Signale des Behütens, die den "integrativen Tanz" oft einhüllen, greifen Turinskys Arbeiten – unter anderem – direkt auf die Defekte unserer Show-Gesellschaft zu: auf ihren Narzissmus, ihre Anpassungssucht, den in ihr grassierenden Fitness-, Perfektions- und Kontrollwahn. Das ist eine gefährliche Umgebung, deren Ambivalenz der Künstler auch in dieser neuen Arbeit wieder spürbar macht.

Aus dem Publikum heraus fährt Michael Turinsky sich in seiner "zweiten Haut" auf die ganz in weiß gehaltene Bühne. Er trägt einen Kapuzenpulli mit Mausohren und weiße Schuhe, deren Sohlenumrandung in bunten Punkten blinkt. An einer Wand hängt ein Leuchtstoffröhren-Objekt, das von Dan Flavin stammen könnte. Wenn Turinsky seinen Rollstuhl bewegt, dann nicht mit den Händen, sondern durch Gehbewegungen seiner Füße: So zieht er selbst seinen Körper hinter sich her. Fährt erst einmal, und wiederholt, im Kreis. So hat das Publikum Zeit, seine Sehgewohnheiten anzupassen, um dann zum Zeugen einer erstaunlichen Verwandlung zu werden.

Harte Übung für strauchelnde Gesten

Erst einmal sieht es mit Bewunderung, dass der Tänzer seinen Fortbewegungsbehelf verlassen, dass er aufstehen und sich aufrecht über die Bühne bewegen kann: sichtlich das Resultat harter Übung. Dieses Gehen ist bereits jener Tanz, der Michael Turinsky so besonders macht: Bewegungen, die sich selbst unterbrechen, ablenken und umbiegen, Gesten, die der Künstler in einem Essay selbst als "strauchelnde" bezeichnet, und eine Mimik, die anderen Mustern folgt als jene der üblichen, oft ausdrucksgehemmten Pokerfaces.

So begibt sich der Tänzer in eine Welt aus Hüllen, Umgebungen und Verhaltensmustern, die für andere bestimmt ist, die sich selbst als "normal" empfinden. Der Mausohren-Pulli wirkt wie ein liebevoller Spott auf diese Unauffälligen, die in diversen "sozialen Medien" verzweifelt versuchen, auf sich aufmerksam zu machen.

Foto: Raffael Stiborek

Der große Auftritt der Figur in Second Skin geschieht als Transformation des anfänglichen Weißraums in eine bunt belichterte Show-Rumse. Ein Vorhang öffnet sich, und da sitzt Turinsky in Felljacke und mit schwarzem Stoff maskiertem Gesicht, streut Geldscheine, und es wird kräftig genebelt. Ein extrem billiges und peinliches Bild, das nur mit spezifischem Subtext erträglich ist. Den hat Turinsky, so wie ihn etwa auch die Burlesque hat. Nur bei solchen Gelegenheiten dreht sich das Billige wie ein Karussell – und wie die Musik, die auch zur zweiten Haut jener Travestie gehört, die sich die meisten Facebooker zum Bestandteil ihrer sozialen Selbstvermarktung machen.

Gloria des großen Auftritts

Michael Turinsky spielt mit der gottesdiensthaften Inszenierung des Wald- und Wiesen-Popkonzerts und der apotheosenhaften Wirkung des großen Auftritts in der E- wie U-Kultur. Und er tut das leichthin, trotz allen Gewichts seiner Bewegungen. Dass er dieses Gloria dann verdreht und übersteigert, gehört zu seinem Witz: Er zeigt sich weder als Spielverderber noch als Tragöde, sondern als Figur, die auf Metaebenen der Spaßgesellschaft hindeutet. Dass deren ganzer inszenierter Spaß darauf angelegt ist, die gehorsam Spaßigen auch zu missbrauchen, verleugnet er in diesem sehenswerten Stück trotzdem nicht. (Helmut Ploebst, 26.5.2016)