Als wären sie schon immer da gewesen: Das ist ein Eindruck, den Designklassiker erwecken, egal ob von Thonet, ...

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den Eames, ...

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Charlotte Perriand ...

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oder Jean Prouvé.

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Es muss ein wunderbarer Moment gewesen sein, als Billy Wilder zum ersten Mal in seinem Lounge Chair einbüselte. Welche Filmszenen dem kauzigen Regisseur wohl im Schlummer einfielen? Charles und Ray Eames hatten das Möbel ihrem Freund als Geschenk in die Stube gestellt. "Der Lounge Chair war von da an der Lieblingsplatz Wilders", weiß man bei Vitra, wo die Ikone heute erzeugt wird. Das Ehepaar Eames nannte das Möbel aus Leder und Speerholz ein "Denkmal der Freundschaft zu Billy ". Das Denkmal ist inzwischen 70 Jahre alt.

"Ich wollte dem Lounge Chair das warme, bequeme Aussehen eines vielbenutzten Baseballhandschuhs geben", sagte Charles Eames über das Stück, für das Billy Wilder noch 1980 in der Vitra-Kampagne "Personalities" mit erhobenem Zeigefinger posiert. Auch heute noch geistert der Sessel nicht nur durch viele gute Stuben, auch in unzähligen Settings für Film, Fernsehen und Werbung taucht er mit seinem knautschigen Leder auf. Je älter das gute Stück ist, desto mehr erinnert es an das Gesicht Wilders.

Das Schicksal, ein Möbelklassiker zu sein, teilt der Lounge Chair mit vielen Kollegen, egal ob es sich um den Freischwinger von Verner Panton, den Sessel Barcelona von Ludwig Mies van der Rohe, den Coconut Chair von George Nelson oder den Y-Stuhl von Hans J. Wegner handelt, der heute so manchen Bobo-Schuppen oder die aktuelle Kampagne für Miele-Geschirrspültabs bestuhlt.

Zusammengerechnet bringen es diese fünf Klassiker der Weltmöbelgeschichte auf ein Alter von über 300 Jahren (von links): Coconut Chair von George Nelson (1955), Panton Chair von Verner Panton (1959), RAR von Charles und Ray Eames (1950), MR 90 Barcelona von Mies van der Rohe (1929) und Antony Chair von Jean Prouvé (1950). Allesamt Miniaturen von Vitra.
Foto: Lukas Friesenbichler

Ein anderer Klassiker aus der Feder Wegners – er hinterließ gut 3.500 Möbelentwürfe – ist sein Runder Stuhl, der nach einem Auftritt bei einem Fernsehduell zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon nur noch The Chair genannt wurde und schnurstracks zur Ikone aufstieg.

Noch einmal bekam Billy Wilder ein Geschenk von den Eames. 1968 designten sie ihm das Möbel mit dem Namen Chaise auf den Leib. Der listige Wilder wünschte sich eine Liege, die so schmal war, dass er die Arme über der Brust verschränken musste. Schlief er wirklich ein, fielen die Arme herab, und er erwachte. Ein Klassiker? Mitnichten, obwohl das Möbel mehrere prominente Auftritte in der Fernsehserie "Friends" haben durfte.

Was ist ein Klassiker?

Das wirft die Frage auf, welche Voraussetzungen ein Möbelstück erfüllen muss, um als Klassiker benamst zu werden. Bei so gut wie jedem Stück dieser Gattung schwebt das Gefühl mit, es wären diese Formen immer schon da gewesen, auch wenn man das eine oder andere Stück vielleicht noch nie bewusst wahrgenommen hat. Möbeloberauskenner Rolf Fehlbaum von Vitra sagte zum Beispiel über den Panton Chair: "Es gibt Stühle, die eine gewisse Merkbarkeit vorweisen. Das müssen nicht die am meisten verbreiteten sein. Sie haben eine ikonische Anmutung. Da gehört der Panton sicher zu den, sagen wir einmal, 20 Stühlen, die man zuordnen kann."

Auch der Name des Designers trägt – wie auch in anderen Gefilden der Gestaltung – neben der Langlebigkeit eines Möbelstückes ein Stück weit dazu bei, einen Klassiker zu etablieren. Prominente Namen wie Alvar Aalto, Charlotte Perriand, Eero Saarinen, oder Le Corbusier geben Menschen, die in Sachen Design vielleicht nicht so sattelfest sind, etwas wie Sicherheit und Halt in Fragen der Einrichtung.

Die Sessel von Wegner, Panton, Eames und Prouvé sind vier Beispiele für Klassiker, die das gewisse Etwas haben. Es ist unter anderem die Anmutung, die sie zu etwas Ikonischem und Zeitlosem werden lässt.
Foto: Lukas Friesenbichler

Purer Kitsch

Klassiker sind heute omnipräsenter denn je. Ob Hollywood-Weichspülfilm, Interieur-Setting, Hotelzimmer, der Klassiker ist ein gern gesehener Statist. Ein Sessel aus der großen Eames-Familie hat zum Beispiel gerade einen prominenten Auftritt im Streifen "Man lernt nie aus" mit Robert de Niro und Anne Hathaway. Es lassen sich allerdings noch mehr Gründe für dieses "Gekommen, um zu bleiben" finden als die von Rehberger und Fehlbaum angeführten. Auch lassen sich diese durchaus kritisch betrachten.

Clemens Tissi verkaufte in Berlin jahrelang Vintage-Möbel in seiner international renommierten Galerie – bis er zur Einsicht gelangte, der Retrotrend gehe auf die Angst vor dem eigenen Geschmack zurück. Tissi dachte um und ging von da an strenger an das Thema heran: "Wenn heute jemand einen Eames-Lounge-Chair sieht, dann zählt für ihn nur die Form und das Label 'Vintage' – und in keiner Weise der Inhalt des Möbelstücks, das heißt: warum und wie das Stück entworfen wurde.

Die Form ist nur noch dazu da, ein Gefühl zu evozieren. Es geht nicht um Inhalt, um Haltung. Bei den Neuauflagen der Eames-Möbel von Vitra, sollen Gefühle wie Coolness und Trendysein hervorgerufen werden. Das ist purer Retrokitsch", sagte Tissi in einem Interview mit RONDO. Dabei ist es nicht der Entwurf an sich, gegen den er Einwände hat, der weitverbreitete Umgang mit dem Phänomen Klassiker lässt ihn die Nase rümpfen. "Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ein Eames-Plastic-Chair aus der ersten Auflage ist nach wie vor ein wunderbares Objekt. In den Händen eines Trendaffen aber wird er zur Waffe gegen den guten Geschmack", ergänzt Tissi.

Auf der sicheren Seite

Denkt man den kritischen Zugang zum Thema weiter, geht es beim Klassiker mitunter auch um einen gesellschaftlich und monetär abgesicherten Wert, um eine "sichere Seite", im Sinne von "Was lange gut war, das bleibt auch gut." Hinter diesem Verhalten lässt sich durchaus eine gewisse Unsicherheit lokalisieren, gesellschaftlich nicht mithalten zu können. Wie ein Auto oder eine Uhr hat auch das Möbeldesign seine mehr oder weniger prestigeträchtige Außenwirkung.

Die Auseinandersetzung zeitgenössischer Designer mit aktuellen Problemstellungen wird im Falle einer Entscheidung für einen Klassiker überhaupt ausgeblendet – so wie das Hinterfragen der Beschaffenheit des Möbels. Eine sozial- und kulturhistorische Auseinandersetzung ist eher die Ausnahme.

Nicht selten verkommen so manche hochpreisigen Klassiker also zu drapierten und inszenierten Prestigeobjekten, die Geschmackssicherheit vermitteln sollen, ein Schicksal, das sich reziprok zu dem verhält, was sich Designer wie Eames, Wegner oder Aalto wünschten. Vielen dieser Gestalter schwebte im Zusammenhang mit ihren Möbeln der Geist von Demokratie, Leistbarkeit und Freiheit vor, kein Aufpimpen von sterilen Bürovorzimmern oder Bonzenbleiben. Auch entstanden viele Ideen in Umbruchzeiten, ein Umstand, der sich je nach Epoche nicht selten auf die Beschaffenheit und das Aussehen der Möbel auswirkte.

Massenmöbel als Zeichen von Individualität

Manche gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von einer längst voranschreitenden "Verkunstung" der Möbelwelt. Die Designexpertin Gerda Breuer zum Beispiel schrieb in ihrem Buch "Die Erfindung des Modernen Klassikers": "Betrachtet man die Rezeptionsgeschichte, lässt sich erkennen, welche Erfindungskraft herrscht, wenn es um die scheinbar zeitlose Aktualität der Möbel geht. Die Berufung auf die klassische Moderne verleiht ihnen den Glanz der Avantgarde, unterstellt ihren Designern eine Kreativität ex nihilo. Obwohl Massenmöbel, erhalten die modernen Klassiker dadurch den Status von individuellen Preziosen."

Bei aller gebotenen tiefer gehenden Auseinandersetzung mit diesen Entwürfen gibt es einen weiteren Punkt, den man beim nächsten Möbelkauf vielleicht nicht außer Acht lassen sollte: Was ist mit all den guten zeitgenössischen Designern, die von den erwähnten alten Meistern lernten und heute, 70, 80 Jahre später nach deren Entwürfen großartige Möglichkeiten haben, neues Möbeldesign zu schaffen? Schließlich ändern sich nicht nur Materialien und Techniken, sondern auch Bedürfnisse und Umstände.

Die Stichworte lauten "Mobilität", "kleinere Wohnungen" und "immer älter werdende Zeitgenossen". Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass sich eine zu starke Orientierung an Klassikern nicht unbedingt förderlich auf die Kreativität junger Designer auswirken könnte.

Drängt sich im Weiteren der Gedanke auf, ob nicht so manches Unternehmen eine Kollektion aus Klassikern als "sichere Bank" sieht und das Risiko scheut, sich an Neuem zu versuchen.

Mutige Produzenten

Auf die Frage, wie man heute einen Klassiker schaffen könne, meint der Wiener Designer Philipp Bruni: "Ein Klassiker hängt nie allein vom Entwurf ab. Es geht um die Gesamtintelligenz eines Produkts, darum, die Balance zwischen Zeitgeist, Ästhetik, Markt, Produktion, Technologien und den sozialen Gegebenheiten da draußen zu finden. Ferner benötigt man den richtigen Partner mit den richtigen Visionen, einen, der die Eier hat, so ein Projekt gemeinsam anzupacken."

Vielleicht geht es nicht nur um die "Eier" der Produzenten. Vielleicht sollten sich auch mehr Konsumenten trauen, über den Tellerrand des Möbelklassikers hinauszublicken und dem zeitgenössischen Design mehr Chancen zu geben. Die Eames wären damit mehr als einverstanden. Bestimmt. Schließlich waren auch sie einmal zeitgenössisch. (Michael Hausenblas, RONDO, 13.6.2016)