Die Offensive gegen eine Hochburg des "Islamischen Staats", der syrischen Stadt Minbij, läuft. Die von den USA, den arabischen Staaten und der Kurdenmiliz YPG unterstützten "Demokratischen Kräfte Syriens" wollen die islamische Terrormiliz aus der Stadt östlich von Aleppo vertreiben. Als Rafat Alzakout im Jahr 2013 in der Stadt war, war der IS bereits da.

Das meiste, was der 38-jährige Syrer während seines Aufenthalts gelernt hat, kann er in Europa nicht mehr brauchen. "Wenn man das Feuer eines MiG-Kampfbombers hört, hat man überlebt", ist so ein Satz, an den sich der Regisseur erinnert. "Denn die Jets fliegen schneller als der Schall." Alzakout filmte gerade für seinen Dokumentarfilm "Home", als die Bomber damals angriffen. Gemeinsam mit seinen Freunden machte sich der Filmemacher auf die Suche nach einem "Zuhause" im bürgerkriegsgebeutelten Syrien. Dem Land, in dem er 1977 zur Welt gekommen war, eine glückliche Kindheit verbracht hat und das er noch immer zuerst nennt, wenn man ihn nach seinem persönlichen "Zuhause" fragt.

Rafat Alzakout wollte ein "Zuhause" in seiner Heimat Syrien schaffen.
Foto: privat

Puppentheater

Mittlerweile ist "Zuhause" für Alzakout aber vielmehr ein inneres Gefühl, wenn er mit Menschen Zeit verbringt, mit denen er sich austauschen kann und bei denen er sich verstanden fühlt. Verstanden fühlte er sich in der Gruppe von Freunden auf ihrer Reise durch Syrien etwa. Gemeinsam mit dem Tänzer Ahmed, dem Deserteur Mohammed und dem ehemaligen Lehrer und nunmehrigen Kämpfer der "Free Syrian Army" Taj versuchte er durch Kunst und intellektuellen Austausch so etwas wie ein "Zuhause" in der umkämpften Stadt zu schaffen. In einem Haus, das der Familie eines der Freunde gehört, feierten die Männer gemeinsam, dachten über die Zukunft des Landes nach und kritisierten das damals brüchige Regime in öffentlichen Puppentheateraufführungen.

"Top Goon" musste im Libanon gedreht werden, da die syrische Geheimpolizei auf der Suche nach den Künstlern war.
Foto: privat

Ins Exil

Diese Aufführungen haben Alzakout bereits 2011 dazu veranlasst, seinen Beruf als Theaterregisseur in Damaskus aufzugeben und nach Beirut zu flüchten. Die regimekritischen Stücke seiner Künstlergruppe "Masasit Mati" hatten den Geheimdienst auf den Plan gerufen. Insgesamt drei Mal hatten Agenten an die Tür seines Elternhauses geklopft, um ihn abzuholen – auch, weil er an den Straßenprotesten gegen den Präsidenten Bashar al Assad und sein Regime teilgenommen hatte.

"Mir wurde klar, dass die Welt und Syrien selbst erfahren musste, was in unserem Land vor sich geht", erzählt Alzakout. Um gegen die Informationssperren der Führung vorzugehen, wollte er die Kunst verwenden. Das Projekt "Masasit Mati" war geboren. Die zehn teilnehmenden Künstler wollten ihre Solidarität mit der Revolution ausdrücken und gleichzeitig "die größtmögliche Anzahl an Syrern erreichen". Ihr Weg: die sozialen Medien.

In "Top Goon" machen sich syrische Künstler über Bashar al Assad lustig.
Massasit Matti

Der "Obertrottel"

Sie erfanden die Serie "Top Goon" (Obertrottel), in der sie mit Handpuppen das Regime in Syrien und vor allem Assad selbst bloßstellten. Der Präsident bekam den Namen Beeshu, einen Spitznamen, den sich die Künstler ausdachten, um dem Diktator seinen Schrecken zu nehmen. In der mittlerweile dritten Staffel wird Assad als verrückter Herrscher porträtiert, dem die Macht entgleitet. So kriecht er vor dem russischen Präsidenten oder mischt sich unter befohlene regimefreundliche Demonstrationen – nur um dann von seinem eigenen Geheimdienst gefoltert zu werden, da er den Präsidenten nicht preisen will.

Mit der Ausstrahlung der Satiresendung wollen die Künstler ein "kleines Lächeln auf die Gesichter der Syrer" malen, wie Alzakout erzählt. Die zahlreichen Reaktionen aus dem In- und Ausland hätten die Gruppe angefeuert, mit der Serie weiterzumachen. "Zum Glück gab es nie körperliche Gewalt gegen uns – nur verbale Anfeindungen", sagt der Regisseur. Das liege vor allem daran, dass die Künstler anonym und außer Landes agieren. Inspiration für den Inhalt der einzelnen Folgen gibt es laut Alzakout genug: "Wir hatten das ‚Glück‘, die Brutalität des syrischen Regimes am eigenen Leib zu erfahren, mitzubekommen, wie kritische Stimmen unterdrückt werden."

Der Trailer der Dokumentation "Home".
Rafat Alzakout

Zerstörte Hoffnungen

Während der Dreharbeiten zum mittlerweile preisgekrönten Dokumentarfilm, der auch bei der Viennale eingereicht wurde, sei aber schließlich so etwas wie "Aufbruchsstimmung" und "Optimismus" in der Luft gelegen. Man habe das Gefühl gehabt, dass die Revolution kurz vor einem Erfolg stehe, dass Syrien es schaffen werde, erinnert sich Alzakout. Doch Schritt für Schritt seien die Hoffnungen zerstört worden, Enttäuschung habe sich breitgemacht.

Der Regisseur steht noch immer in Kontakt mit den Freunden, mit denen er den Roadtrip veranstaltete. Taj, der Soldat der Free Syrian Army, sei frustriert, kämpfe aber weiter, "weil ihm nichts anderes übrigbleibt". Tänzer Ahmed und er selbst sind nach Deutschland geflohen. Sie bezeichnen sich als Syrer im Exil. Alzakout hat einen dreijährigen Aufenthaltstitel erhalten. Und schreibt bereits an seinem nächsten Drehbuch: Gemeinsam mit einem deutschen Autor möchte er den schwierigen Integrationsprozess der Syrer in Europa aufarbeiten. "Es soll eine Liebesbeziehung zwischen Deutschland und Syrien werden", sagt Alzakout. (Bianca Blei, 13.6.2016)